zur
startseite
zum
archiv
Der
Prozeß
Die Frage ist vielleicht nicht so sehr, ob man Franz
Kafkas Roman „Der Prozeß" verfilmen kann oder nicht (das kommt immer
darauf an, was man unter „verfilmen" versteht); die Frage ist eher, wozu
man es tut. Der englische Regisseur David Jones hat versucht, Kafka als ,.Klassiker"
zu behandeln. Das kann einerseits nicht vollständig schiefgehen, verführt
aber auch leicht zu penibler Leere.
Auf den ersten Blick scheint es, als hätte Harold
Pinter das Buch geradezu buchstabengetreu übersetzt. Und doch verschiebt
er klammheimlich die Akzente, nicht nur, indem er die Betonung von den inneren
Konflikten des Helden, vom Problem der Schuld, überträgt auf äußere
Konflikte von Verführung und Macht, sondern auch, weil er allen mystischen
Nebel vermeidet. Pinter „entdeckt" die Oberfläche des Romans und verweigert
sich immerhin der gängigen Praxis, den Text gleich mit einer Anzahl seiner
Interpretationen zu adaptieren. Daß er Kafka beim Wort nimmt, gibt ihm
mehr Freiheit, als sie jemand hätte, der in seinem Geist zu arbeiten sich
bemühte.
Orson Welles ist in seiner Version aus dem Jahr 1962
sehr frei mit dem Stoff umgegangen. Sein Joseph K., von Anthony Perkins verkörpert,
war ein Gehetzter, einer, der im wahnsinnigen Geschehen des Außen auch
den Wahnsinn seines Innen erfuhr. Kyle MacLachlan dagegen ist ein wunderbarer
Darsteller der Außenseite. Man glaubt ihm, daß er weniger von Abgründen
als von Ordnungszwängen geplagt wird, und wie in seinen Filmen mit David
Lynch als Regisseur verkörpert er einen bizarren, aber durchaus zeitgemäßen
Typus: den jungen Mann, der zugleich von unerschütterlichem Selbstbewußtsein
und von wachsendem Wirklichkeitsverlust geprägt ist. Kurzum, dieser Mann,
der noch im grauenvollsten Geschehen merkwürdig unberührt zu bleiben
vermag, steht immer kurz davor, komisch zu werden. So erschiene die Besetzung
geradezu genialisch (einmal davon abgesehen, daß MacLachlan schon immer
ein wenig Kafka gespielt hat), wäre es die Absicht des Filmes gewesen,
auf das eminent komische Potential in Kafkas Text zu verweisen.
Aber David Jones benutzt diese Möglichkeit nur zur
Erzeugung einer unterirdischen Spannung. Sie ersetzt mögliche dramaturgische
Effekte, die ganz der geradlinigen Konstruktion des Films in einem Erzählstrang
geopfert wurden; wir haben das Gefühl einer klaren Zeitstruktur, und auch
die Räume, in die uns der Film führt, Joseph K.s Wohnung, der schäbige Saal, in dem das Gericht tagt,
die Wohnung des alten Verteidigers, die Bank, bei der K. als Prokurist beschäftigt
ist und schließlich die Kirche, in der Anthony Hopkins als Pfarrer ihm
im Gleichnis vom Türsteher die Aussichtslosigkeit seiner Lage vor Augen
führt, sind zwar der Alltagslogik widersprechend aufeinander bezogen (sie
wirken, als könnten sie sich nur in den Seitengassen eines Prag auftun,
das seit langem aufgegeben hat, sich der Welt ringsumher noch anzupassen), aber
sie bilden eine durchaus überschaubare Ordnung. Wir befinden uns in einer
Welt, in der es womöglich Willkür, keinesfalls aber Unordnung gibt.
Jones und Pinter vermeiden alles, was den Film als „Traum" erscheinen lassen
könnte. So entsteht durch das Spiel des Hauptdarstellers und durch die
Gliederung von Zeit und Raum der absurde Effekt, daß uns alles, was geschieht,
vollkommen klar erscheint.
Josef K. wacht eines Morgens auf, und statt seiner Vemieterin
mit dem Frühstück erwarten ihn zwei Herren vom Gericht und teilen
ihm, ohne Gründe zu nennen, seine Verhaftung mit. Alles was er in der Folgezeit
unternimmt, macht seine Lage offensichtlich nicht besser. Im wesentlichen betritt
der Held in diesem Film beständig ungeheuer kunstvoll ausgestattete Räume,
führt darin heftiger werdende Dialoge über das Wesen und die Legitimation
des Gerichtes und verläßt sie verzweifelt. Hineingeführt in
diese Räume, Vorzimmer des Todes, wenn man so will, wird er immer von Frauen;
an welche Pforte er auch gelangt, stets ist es eine Frau, die ihn hineinläßt
oder gar zum Eintreten verführt, und ebenso konsequent sind es Männer,
die ihn wieder hinauswerfen - überhaupt scheint der Pintersche K. mehr
als unter einer nicht verstandenen Schuldzuweisung unter der nicht verstandenen
Allianz alter Männer und junger Frauen zu leiden. Es ist im wesentlichen
gerade seine Suche nach der Frau, die den Helden um seine Chancen bringt, und
je ,.schamloser" sich die Frauen bewegen, je offensichtlicher ihre Abhängigkeit
und Korruption wird, desto unerreichbarer werden sie für ihn. Die zunächst
so unnahbare Zimmernachbarin Fräulein Bürstner, der vielleicht K.s
eigentliche Leidenschaft gilt (und die möglicherweise der Schlüssel
für seine Verhaftung ist), wird ersetzt durch die Frau des Gerichtsdieners,
die Geliebte eines opportunistischen Jurastudenten, dann durch die Geliebte
des ebenso siechen wie mächtigen Anwalts, die nymphischen Musen des „Gerichtsmalers",
und so wie der Weg über das Gericht vielleicht nur ein Umweg in das Zimmer
von Fräulein Bürstner ist, so ist der Weg zu Fräulein Bürstner
vielleicht nur ein Umweg zur Kirche. Mit dieser Konstruktion haben Pinter und
Jones nicht so sehr eine womöglich tiefenpsychologische Deutung des Textes
unternommen, als vielmehr der sinnlichen Präsenz der Kinobilder Rechnung
getragen. Wir erkennen das Schicksal von Joseph K. zugleich als offenes Gleichnis,
als Abstraktion und als die Geschichte eines Mannes, dessen verzweifelte Sehnsucht
nach der Frau von bösen Vätern unterbunden wird.
Daß dann doch kein „richtiges" Kino aus DER
PROZESS geworden ist, liegt vielleicht auch daran, daß die Spannung zwischen
diesen beiden Erzählungen nicht wirklich bearbeitet ist. Weder die Bilder
noch die Bewegungen, weder das Spiel noch die Musik deuten auch nur an, wo die
Beziehungen zwischen der sexuellen Frustration und der sozialen Entmündigung
liegen. Wenn mich nicht alles täuscht, haben Jones und Pinter Kafkas Text
für einen Versuch über das Patriarchat verwenden wollen. Dabei ergeht
es ihnen ein wenig wie ihrer Hauptfigur. Auf die Frage nach dem Wesen antwortet
nur die Form.
Georg Seeßlen
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd film 6/93
DER
PROZESS
THE
TRIAL
USA
1993. R: David Jones. B: Harold Pinter (nach dem gleichnamigen Roman von Franz
Kafka) P: Louis Marks. K: Phil Meheux. Sch:
John Stothart. M: Carl Davis. T: Jim Greenhorn. A: Don Taylor, Jim Holloway.
Ko: Anushia Nieradzik. Pg: BBC FiIms Europanda Entertainment. V:
Kinowelt. L: 118 Min. FSK: 12, ffr. St: 13.5.1993. D: Kyle MacLachlan IJosef
K.1, Anthony Hopkins (Der Geistliche), Jasan Robards (Advokat Huld), Jean Stapleton
(Wirtin), Polly Walker (Leni) Alfred Molina (Titorelli), Juliet Stephenson (Fräulein
Bürstner), Michael Kitchen (Block), Catherine Neilson (Die Waschfrau).
zur
startseite
zum
archiv