zur
startseite
zum
archiv
Rangoon
BEYOND
RANGOON (so heißt John Boormans neuer Film im englischen Original) - jenseits
von Rangoon, da locken die Geheimnisse Hinterindiens, Dschungel und Opiumfelder,
buddhistische Klöster und Mandalays. „Not beyond Rangoon", das ist
auch die administrative Formel für das Reiseverbot, mit dem die burmesische
Diktatur während des Ausnahmezustands 1988 die Regionen außerhalb
der Hauptsadt für ausländische Besucher belegt hat. Für eine
kurze Zeit stand damals Burma im Rampenlicht der Welt: Die brutale Unterdrückung
der Widerstandsbewegung gegen das Militärregime hatte auch westliche Berichterstatter
aufgeschreckt.
In
jener Zeit, 1988, spielt auch dieser Film, und er variiert ein bewährtes
Muster des politischen Abenteuerfilms: Man nehme eine Person, am besten bürgerlich,
auf jeden Fall aus einem westlichen Industrieland, versetze sie in eine möglichst
einschneidende Lebenskrise und lasse sie dann auf einigermaßen plausible
Weise irgendwo in der Ferne stranden. Den Rest vollbringt dann schon die wohlarrangierte
Eigendynamik der Situation. (Interessant ist zu sehen, wie Gianni Amelio mit
LAMERICA aus einer sehr ähnlichen Grundsituation einen gänzlich anderen
Film gemacht hat.)
Zum
Beispiel Laura Bowman: eine junge und hübsche amerikanische Ärztin,
traumatisiert durch den brutalen Mord an Sohn und Ehemann. Über den Umweg
einer Fernreise katapultiert das Drehbuch sie mittels einigermaßen geschickt
angelegter dramaturgischer Verwicklungen (Paßverlust, Sightseeingtour)
mitten ins Herz der burmesischen Freiheitsbewegung. Aus einem Tagesausflug wird
eine lebensgefährliche Flucht, aus dem kopfschüttelnden „How can they
do that?" gegenüber den Repressionen des Staatsapparates engagiertes
Eingreifen, aus anfänglicher Apathie Hilfs- und Handlungsbereitschaft.
Nach anderthalb Stunden, das ist bald schon beruhigend vorauszusehen, wird aus
der verstörten und ein wenig arroganten sommersprossigen Touristin ein
guter Mensch mehr gewonnen sein.
John
Boorman ist ein Moralist, ein Aufklärer ist er nicht. Ein romantischer
Verzauberer und trickreicher Verklärer, der es fertigbrachte, selbst eine
Kindheit in Großbritannien unter dem „Blitz" als phantastisches Märchen
erleuchten zu lassen (HOPE AND GLORY). Einer, der auf Geheimnisse setzt, nicht
auf ihre Aufdeckung. Immer wieder hat Boorman in seinen Filmen die vermeintlichen
Degenerationen der Zivilisation mit den - je nach Bedarf heilsamen oder zerstörerischen
- Kräften der Natur konfrontiert, westliche Rationalität auf Spiritualität
und Naturverbundenheit prallen lassen.
Nach
zwei Filmen, die eher persönliche - und urbane - Erfahrungen beschrieben,
ist Boorman jetzt wieder dort angelangt, wo er sich auch vorher schon am liebsten
herumtrieb: in der Wildnis an den Grenzen unserer Kultur.
BEYOND
RANGOON ist die Geschichte einer spirituellen und lebenspraktischen Genesung,
angelegt als therapeutischer Stationenweg. Teils in wohldosierter Schrittfolge,
teils in schockartiger Überrumpelung, läßt der Film seine Protagonistin
aus dem Anfangszustand psychischer Erstarrung dem Sinn des Lebens entgegenstolpern.
„l'm a doctor, can I help?" fragt die rehabilitierte Ärztin am Ende,
gerade mal dem Granathagel in die Sicherheit einer thailändischen Erste-Hilfe-Station
entkommen. Abenteuerurlaub zur Überwindung von Existenzkrisen, Befreiungskampf
als Heilmittel gegen Sinnverlust und Überdruß: Die Frauen und Männer
der Opposition, die vor den Übergriffen der Militärs in ein Lager
geflohen sind, das aussieht wie ein Feriencamp, und sonst gerne in malerischen
Ensembles gruppiert werden, fungieren als edelmütiges Vorbild und unterstützendes
Umfeld. Und Aung San Suu Kyi, Symbolfigur der Bewegung, die in ihrem realen
Leben seit ihrem Wahlsieg unter Hausarrest steht, tritt uns im Film als auratische
Heiligenfigur entgegen, die mit einem Lächeln die Waffen schweigen macht.
Die
Rolle des Therapeuten und Mentors übernimmt ein zum Fremdenführer
degradierter Professor, ein verständnisvoller Übervater, der immer
im rechten Moment zur Stelle ist, um unterstützend einzugreifen oder als
Opfer zur Verfügung zu stehen und ansonsten buddhistische Sinnsprüche
zur philosophischen Motivierung liefert.
Viel
über Burma erzählt das nicht, einiges aber über den Bewußtseinszustand
einer gespaltenen Welt. Verschwiegen
werden soll nicht, daß der Regisseur wie auch alle anderen Beteiligten
ihr Handwerkszeug vorzüglich verstehen: Tempo und Action stimmen, der Soundtrack
schwelgt wirkungsvoll in atmosphärisch stimmigen Klängen (Musik: Hans
Zimmer), und - gedreht wurde unter anderem in Malaysia - das Licht ergießt
sich verführerisch über idyllische Dörfer, sattgrüne Auen
und glitzernde Wasserläufe. Merken wir's uns vor, die nächste Lebenskrise
kommt bestimmt.
Silvia
Hallensleben
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd film
7/95
Rangoon
BEYOND
RANGOON
USA
1995. R: John Boorman. B: Alex Lasker, Bill Rubenstein. P: Barry Spikings, Eric
Pleskow. K: John Seale. Sch:
Ron Davis. M:
Hans Zimmer. T:
Gary Wilkins. A: Anthony Pratt, Errol Kelly. Ko:
Deborah La Gorce Kramer. Pg:
Castle Rock Entertainment. V: Concorde. L: 97 Min. St: 6.7.1995. D: Patricia
Arquette (Laura Bowman), Frances McDormand (Andy Bowman), Spalding Gray (Jeremy
Watt), U Aung Ko (U Aung Ko), Victor Slezak (Mr. Scott), Adelle Lutz (Aung San
Suu Kyi).
zur
startseite
zum
archiv