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Rauchzeichen
Mit „Rauchzeichen“ vollendet Rudolf Thome seine „Zeitreisen“-Trilogie
mit dem verbliebenen Film über die „Zukunft“. Wie bei den beiden vorausgegangenen
Teilen „Rot
und Blau“ (fd 36 268) und „Frau fährt,
Mann schläft“ (fd 36 775) entwirft
Thome auch diesmal nicht etwa eine Zukunftsvision, sondern vielmehr ein Spannungsgeflecht
mit den Variablen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: In der Gegenwart sind
Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen verborgen.
„Rauchzeichen“ beginnt mit einer retro-futuristischen
Variante der klassischen Western-Exposition, die an eine Zeit erinnert, als
das „junge deutsche Kino“ seine Weltläufigkeit beweisen wollte. Jonathan
Fischer aus Florida, ein agiler 60-Jähriger, „reitet“ per Flugzeug nach
Sardinien hinein. Er ist auf der Suche nach seiner Ex-Frau Isabella, die mit
einer Freundin ein Gästehaus am Ende der Welt führt. Dort angekommen,
trifft er auf eine merkwürdige Gesellschaft. Zwar ist Isabella nicht anwesend,
dafür aber deren Freundin Annabella Silberstein, in die sich Jonathan sogleich
verliebt. Ferner leben gerade Annabellas Sohn Michael, Hans, der ständig
betrunkene „Gott des Kinos“, und die „arabische Prinzessin“ Leila auf dem großzügigen
Anwesen. Früh fühlt sich Joe in der scheinbaren ländlichen Idylle
wie im Paradies, verstrickt in ganz gegenwärtige Liebeshändel mit
Annabella. Doch seine Vergangenheit holt ihn ein, als er zunächst seiner
Tochter Jade und später auch seiner Ex Isabella begegnet, die nach all
den Jahren noch immer wütend auf den „Schweinehund“ ist. Mittlerweile hat
sogar Hans bemerkt, dass Joe „so eine Unruhe hier rein bringt“. Doch da hat
sich der Film bereits entschieden, die Liebe auf den ersten Blick zwischen Joe
und Annabella zu feiern. Mit selbstbewusster Unbekümmertheit beginnt Joe,
der übrigens einmal ein Rock-Star gewesen sein soll, das Leben auf Sardinien
umzukrempeln: „Wer Bäume pflanzt, muss an die Zukunft denken“, weiß
der frisch Verliebte und frisch gebackene Vater. Annabella, die einmal als Astronautin
auf dem Mond war und von dort aus „das Leben und die Welt hier auf der Erde“
verstanden hat, gesteht Joe, dass sie davon träume, am Wasser zu leben.
Der bietet sogleich sein Haus in Florida oder ersatzweise einen neuangelegten
Teich auf dem Grundstück des Gästehauses an. Während sich Joe
auf die Realisierung seiner Pläne stürzt, wird Leila Opfer eines Mordanschlags.
Wenig später wird sich Hans, der in Leila verliebt war und im Film als
passives, männliches Gegenmodell zu Joe fungiert, aus Selbstmitleid und
Verzweiflung umbringen. Vor den Alten sterben die Jungen, doch das Leben geht
weiter. „Uns kann das alles nichts anhaben, versprochen?“, bittet Annabella.
Provokant schneidet Thome jetzt die Leere um die Toten gegen den Baulärm.
Man wird Leila und Hans im Grund des Teichs bestatten; so spare man sich noch
die Grabpflege, bringt es Isabella auf den Punkt.
Glaubt man dem Presseheft, ist dies als Attacke des
Realismus gegen die „bürgerliche Scheinheiligkeit“ gemeint. Bestattung
und Hochzeit finden auf demselben Terrain statt. „Rauchzeichen“ bewahrt explizit
den Tunnelblick der von Pathosformeln gesättigten Liebesmetaphysik, doch
wenn man sieht, wie Joes Aktivitäten die sardische Landschaft verschandeln,
wie Annabellas Angst vor den näher einschlagenden Katastrophen nur als
Bedrohung des privaten Glücks empfunden wird, dann wähnt man sich
– wider die Absicht des Films – als Zeuge eines durch und durch egozentrischen
Methusalem-Komplotts, in dessen Verlauf sich distanzlose Alt-Rocker der Sardinien-Fraktion
mit großer, fast schon imperialer Geste („Auf ein paar Tausend Euro kommt
es mir nicht an!“) die Erde untertan machen und ihr Tun mit etwas pseudo-philosophischem
Zierrat aufbrezeln. Insofern ist „Rauchzeichen“, dieser offensive Liebesfilm
aus lauter Western-Einstellungen, diese filmische Liebeserklärung an Sardinien,
für jüngere Zuschauer wohl in erster Linie ein veritabler Gruselfilm.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
im: film-dienst
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Rauchzeichen
Deutschland
2005 - Regie: Rudolf Thome - Darsteller: Hannelore Elsner, Karl Kranzkowski,
Adriana Altaras, Serpil Turhan, Joya Thome, Nicolai Thome, Cornelius Schwalm,
Hansa Czypionka, Nicole Becker - Länge: 124 min. - Start: 16.11.2006
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