Raus
aus Amal - Fucking Åmål
Dem
jungen Schweden Lukas Moodysson ist mit seinem ersten abendfüllenden Film
gleich der große Wurf gelungen: "Raus aus Amal" hatte in Schweden
ebenso viele Zuschauer wie "Titanic"
und auch in Deutschland hört man nur Gutes.
Dabei
war mein erster Eindruck durchaus negativ. Aha, dachte ich bei den grobkörnig-schaukelnden
Anfangsbildern, ein weiteres Beispiel für das in Skandinavien heftig grassierende
Dogma-Fieber. Das Symptom für diese ansteckende Krankheit ist die willkürliche
Anwendung eines vermeintlich Echtheit garantierenden Stils auf ein beliebiges
Thema. Doch weit gefehlt. Moodyssons anspruchsvolles Projekt ist es, das Schicksalsschwere
des Dramas in der Banalität des Alltags aufzufinden. Mit leichter Hand
ist dem Regisseur diese Kunst gelungen: "Raus aus Amal" ist ein unpathetischer,
kleiner Film über ein großes Thema.
Agnes
und Elin sind beide von einem grausamen Schicksal betroffen: Pubertät in
einer Kleinstadt. Die gesellschaftlichen Rollen, die sie zu spielen haben sind
dagegen grundverschieden: Elin ist die kleine blonde Princess of Proll, an der
Schule umschwärmt und umworben, Traumberuf: Model. Ihre lebenshungrige
Experimentierlust wird durch den dumpfen Provinzrhythmus von Saufen und Knutschen
allerdings kaum befriedigt.
Agnes
dagegen ist die Außenseiterin aus gutem Hause. Sie hat keine Freunde.
In ihrem Zimmer hängen keine Plakate von Boygroups, sondern von Morrisey.
Sie liest viel und will später Schriftstellerin werden. Außerdem
ist sie seit langem unsterblich in die unerreichbare Elin verliebt.
Nüchtern
und trotzdem voller zartem Humor erzählt Moodysson von der scheinbar unmöglichen
Liebe zwischen Agnes und Elin. Dabei beweist er einen genauen Blick für
Gesten und Situationen, die die leidenschaftliche und verzweifelte Absurdität
der Pubertät enthüllen: Geburtstagsfeiern ohne Gäste. Aufgedonnertes
Stöckeln durch kalte Winternächte. Heimliche Zigaretten am Fenster.
Triste Partys, die auf dem Klo enden. Die Peinlichkeit des ersten Verkehrs.
Nachmittage auf dem Spielplatz, Abende vor dem Imbiß. Willst Du mit mir
gehen? Ja, nein, vielleicht.
Die
unprätentiöse Bildsprache und die überzeugenden Schauspieler
gleichermaßen lassen "Raus aus Amal" glaubwürdig erscheinen.
Nur einmal erlaubt es sich Moodysson einen romantisierenden Kontrapunkt zu setzen:
In rotes Licht getaucht und zu den Klängen von Foreigners "I want
to know what Love is" tauschen Elin und Agnes ihren ersten echten Kuß.
Wunderbar.
Genauso
gut hat mir das Ende gefallen. Nach einigem hin und her kommt es zur finalen
Aussprache zwischen Agnes und Elin auf dem Schulklo. Sie gestehen sich ihre
Liebe, aber leider hat sich vor der Tür in der Zwischenzeit eine gierige
Meute eingefunden, die Elin mit ihrem neuen Lover im Klo vermutet. So wird das
frische Paar gezwungen, seine Liebe öffentlich zu beweisen. Als sich die
Tür öffnet und die beiden durch ein Spalier verstörter Mitschüler
schreiten, sagt Elin: "Laßt uns durch, wir gehen jetzt ficken!"
Zuhause angekommen gibt es aber erst einmal einen heißen Kakao.
Dieses
wundervoll lakonische und optimistische Happy End bildet den glorreichen Abschluß
für einen durch und durch sympathischen Film, den ich Euch hiermit ans
Herz gelegt haben möchte.
Björn
Vosgerau
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Raus
aus Amal - Fucking Åmål
Lukas
Moodysson, Schweden / Dänemark 1998