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Red
Eye
Er
sieht nicht unbedingt blendend aus, aber das, was er hat, weiß er einzusetzen.
Seine pazifikblauen Augen etwa, die sanfte, aber zwingende Stimme, seine gewandte
Ausdrucksweise. Er ist vielleicht nicht perfekt rasiert, aber doch so, dass
man darin charmantes Understatement erkennt. Er ist höflich, zuvorkommend,
gewitzt, aber keineswegs aufdringlich, er bleibt auf reservierter Distanz, und
ist dann wiederum selbstbewusst und vorpreschend. Sein Auftreten gegenüber
Frauen mag ein wenig altmodisch wirken, doch könnte man darin fast schon
wieder ein Stück wiederentdeckter Galanz ausmachen. Kurzum: Der Mann hat
Charisma bis auf die Knochen, und zwar von jener Sorte, bei der man sich nie
ganz sicher sein kann, ob sie nicht doch einen ganz und gar anderen, halbseidenen
Charakter verbirgt, den er immerhin schon in seinem Namen mehr schlecht als
recht versteckt hält: Jackson Rippner. Gespielt wird er von Cillian Murphy,
den man in 28
Days Later
als Sympathieträger durch die menschenleeren Straßen Londons irren
und kürzlich auch in Christopher Nolans hervorragendem Reset des Batman-Franchise
als fürchterlich madigen Bösewicht Scarecrow agieren sah. In Wes Cravens
Red
Eye
wirft er nun erneut sein ganzes Talent in die Waagschale und zieht nicht nur
das Publikum, sondern auch Lisa Reisert (Rachel McAdams) in seinen Bann.
Die
wiederum besetzt im Servicebereich einer renommierten Hotelkette eine hochrangige
Position und fliegt deshalb oft genug, für die kleineren Angestellten in
der Lobby aber stets mobil erreichbar, kreuz und quer durch die Staaten. Ihr
Machtwort übers Handy macht zuvor aussichtlose Umbuchungswünsche mit
einem Male möglich, zur Not wird auch das persönliche Login übers
Telefon kommuniziert – der Kunde ist schließlich König. Jackson Rippner
begegnet sie an einem dieser Abende, an denen der Stress mal wieder kein Ende
nimmt und das Flugzeug auch noch Verspätung hat. Er steht in der Gruppe
echauffierter Reisender hinter ihr, man kommt ins Gespräch, trinkt etwas
zusammen, wagt den kurzen Flirt und findet sich schließlich im Flugzeug
auch noch auf benachbarten Plätzen wieder. Beim rumpelnden Abflug lenkt
er noch charmant von jeder aufwallenden Flugangst ab, nur um sich dann – kaum
dürfen die Gurte wieder geöffnet werden – unter voller Beibehaltung
der charismatischen Jovialität als verschlagener Gegner in einem abgekarteten
Spiel zu erkennen zu geben. Er verlange ja gar nicht viel von ihr, gibt er ihr
rasch und einnehmend zu erkennen, nur ein bisschen Mitarbeit. Ein einzelner
Anruf in jenem Hotel, wo heute Nacht ein hochrangiger Minister untergebracht
ist, genüge schon. Eine außerplanmäßige Umbuchung des
Politikers in ein anderes Appartement, in dem sich ein gezieltes Attentat ein
wenig leichter bewerkstelligen ließe, mehr sei es ja gar nicht. Dann,
so Rippner weiter, würde ihrem Vater, der sich gerade frisch pensioniert
in ihrem Zuhause vor dem Fernseher trollt, auch kein Haar gekrümmt. Über
den Wolken nimmt der Psychokrieg auf beengtestem Raume seinen Lauf...
Nach
5 Jahren Pause ist Red
Eye
neben dem peinlichen Werwolf-Reinfall Cursed bereits
der zweite Craven-Film in diesem Jahr, und im Vergleich macht er viel wett.
Zwar zeichnet sich Red
Eye
nach all den postmodernen Meta-Spielereien, anhand derer Craven den Horrorfilm
der 90er definierte, durch vollkommene Abwesenheit solcher selbstreflexiver
Zaubertricks aus; dafür bietet er aber eine hübsch konstruierte und
angenehm straight runtergespulte Genre-Story, die sich allerdings im Vorfeld
etwas verheißungsvoller anhört, als ihre Konkretisierung es letzten
Endes erfüllt. Aber ein Craven ist eben kein Hitchcock, der aus diesem
Stoff eine exakt ausgezirkelte Studie in Sachen Suspense entwickelt hätte.
Craven
hingegen zieht es, getreu seiner Werktradition, vor, den Zuschauer direkt zu
affizieren: Weg vom Drehbuch-Gimmick, hin zum gezielten Einsatz von Filmtechnik
und der Suggestivkraft der exzellent spielenden und aufeinander abgestimmten
Darsteller. Er versteht es, an pointierten Stellen durch exakten Kamera- und
Soundeinsatz beispielsweise die immer schon latent bedrohliche Atmosphäre
eines Flugzeugstarts adäquat in Film zu übersetzen; die beengten Verhältnisse
des Passagierraums - Hauptspielort des Geschehens - werden durch schlängelnde
Kamerafahrten über und zwischen den Sitzreihen vermittelt, ein kleiner
Höhepunkt der Raum-Inszenierung ist schließlich die kämpferische
Auseinandersetzung zwischen Jackson und Lisa in der schmalen Toilettenkabine.
Und dann eben Cillian Murphys umschmeichelnde Stimme, für die alleine man
den Film unbedingt in einem ordentlich ausgestattetem Kino und in der originalsprachlichen
Fassung sehen sollte. In seinem Umgang mit dem Material erweist sich Craven
hier als Meister der filmischen Ökonomie, der sich in angenehm unaufgeregter
Weise zurückzunehmen weiß und keine prahlerische Smartness, wie sie
im Genrekino spätestens seit The
Usual Suspects
leider zum Standard wurde, sondern gutes altes Genre-Handwerk vorlegt (und wie
es die Generation der Werbefilmemacher, die heute an die Fleischtöpfe der
Produktionsfonds vorgerufen wird, wohl niemals zustande bringen wird).
Dass
sich die Story späterhin wieder umbiegt zu einem Katz-und-Maus-Spiel nach
üblicher Manier, dessen Finale entfernt an jenes des ersten Nightmare-Films
erinnert, ist vielleicht nur konsequent. Craven ist kein Hitchcock und Red
Eye
kein großartiges Meisterwerk, dies nun ganz sicher nicht. Lediglich sorgfältig
austariertes Genrekino fernab affektierter Artisterie, im besten altmodischen
Sinne. Und das immerhin ist schon Einiges.
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
USA 2005 - Originaltitel: Red-Eye - Regie:
Wes Craven - Darsteller: Rachel McAdams, Cillian Murphy, Brian Cox, Jayma Mays,
Jack Scalia, Laura Johnson, Max Kasch, Angela Paton, Suzie Plakson, Teresa Press-Marx,
Robert Pine - FSK: ab 12 - Länge: 85 min. - Start: 8.9.2005
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