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Das
Reich und die Herrlichkeit
Tausche Frau gegen
Land
Michael Winterbottom nutzt das Bildrepertoire
des Westerns, um in seinem Film "Das Reich und die Herrlichkeit" eine
Geschichte von Schuld und Sühne im amerikanischen Frühkapitalismus
zu erzählen
Der Ort, den Daniel Dillon zur Zeit des Goldrauschs
– im Jahre 1849 – inmitten den Einöde der Sierra Nevada errichtete, trägt
den Namen „Kingdom Come“. Mitte des 19. Jahrhunderts war das amerikanische Hinterland
noch immer ein „Terra Incognita“, das man individuell mit seinen Träumen
und Sehnsüchten aufladen konnte: Städte erhielten den Namen der verstorbenen
Geliebten, der fernen Heimat oder wurden Wort eines unternehmerischen Schöpfungswillens,
der sich die karge Wildheit des amerikanischen Westens Untertan zu machen versuchte.
Eine riesige Bedeutungslandkarte, in die die individuellen Ansprüche an
das gemeinsame Zukunftsprojekt „Amerika“ unauslöschbar eingeschrieben waren.
Die Außenposten der Zivilisation waren immer auch die Grenzen des Vorstellbaren
und je tiefer die Pioniere in das Innere des Landes vordrangen, desto unwideruflicher
opferten sie seine unbeschreibliche Schönheit für eine neu aufkommende,
kapitalistische Ordnung. Der Pionier strebte dabei von Beginn an auch auf seine
Selbstauflösung zu: Je mehr Land er erschloss, desto größer
wurde seine Gewissheit, dass für ihn in dieser Gesellschaft irgendwann
kein Platz mehr sein würde, weil er selbst die Idee der „Frontier“ ad absurdum
führte. Was ihm blieb, war die Möglichkeit, sich niederzulassen und
der Verwertungslogik der ihm nachfolgenden industriellen Kolonialisierungswelle
zu fügen.
Daniel Dillon hat in Michael Winterbottoms Film „Das
Reich und die Herrlichkeit“ seinen Ort Kingdom Come auf dem Fundament einer
alten Schuld errichtet. Das ist das Schicksal der gesamten amerikanischen Nation:
Kein Fortschritt ohne Schuld, keine Herrlichkeit ohne Verdrängung. Aber
es sind nicht mehr die Pioniere, die das Schicksal Amerikas bestimmen, sondern
die nächste Generation von Abenteurern, die ihr Ideal der Eroberung des
Unbekannten in ihrem vollen Geldbeutel bestätigt sehen. Nicht mehr das
natürliche Streben nach grenzenloser Freiheit lässt sie nicht zur
Ruhe kommen. Motor ist ihr narzistischer Fortschrittsglaube, angetrieben vom
kapitalistischen Schmieröl der Eisenbahn- und Telegrafenfirmen.
Donald Dalglish kommt nach Kingdom Come, um „seine“
Eisenbahn weiter in das Land zu treiben. Jahrelang hat Dillon auf diesen Moment
gewartet, denn die Eisenbahn bringt Arbeit und Wohlstand in seine Stadt; doch
das Schicksal von Dillons kleinem imaginierten Königreich inmitten der
Schneewüste der Sierra Nevada hängt längst nicht mehr von seiner
Gunst ab. Als Dalglish sich gegen die Route über Kingdom Come und für
den einfachen Weg durch das Tal entscheidet, bricht auch das Verdrängte
aus Dillons Vergangenheit, symbolisch überhöht unter einer dicken
Schneeschicht begraben, offen zu Tage. Die alte Schuld gegenüber seine
Frau und seiner Tochter, die er zwanzig Jahre zuvor für ein Stückchen
Land verkaufte, will beglichen werden, und der Preis dafür ist sein Königreich.
Was Winterbottom in seinem übergroßen,
Mythen-aufgeladenen Melodram zeichnet, ist mehr als der Ausläufer eines
historischen Epochenwechsels oder das Fitzcarraldo-ähnliche Scheitern eines amerikanischen Archetypus.
Winterbottom nutzt das Zeichensystem bzw. das Bilderrepertoir des Western, um
die essentielle Frage nach Schuld und Sühne auf den Bedingungen des (früh-)kapitalistischen
Gesellschaftswandels abzubilden. Im Originaltitel „The Claim“ ist diese Konstellation
bereits enthalten: die gewaltsame Landnahme zum einen, zum anderen der emotionale
Anspruch auf Wiedergutmachung, wo es nichts mehr gut zu machen gibt.
Der englische Schriftsteller Thomas Hardy, auf dessen
Geschichte „The Mayor of Casterbridge“ aus dem Jahr 1886 Winterbottom sich bezieht,
hat in vielen seiner Romane die Auswirkungen der Industrialisierung auf das
Leben der einfachen Menschen und deren Beziehungen untereinander beschrieben.
Winterbottom schafft auf dieser Grundlage eine semantische Topographie der Begehrlichkeiten.
Alle Aktionen sind Symbolakte, jeder Gegenstand verweist auf eine weitere Zukunftsoption
- oder das Ende aller Illusionen: das vergilbte Bild von Dillons junger Familie
in seiner verschneiten Berghütte, der Berg von Gold in seinem Safe, der
Transport eines prachtvollen Hauses über einen Bergkamm, die brennende
Stadt vor dem makellosen Weiß des Schnees.
Das Scheitern der alten Pioniere bringt neue hervor.
Die Geschichte der Besiedlung Amerikas ist eine Geschichte der Brüche.
Dillons Mätresse Lucia folgt dem Zug der Bahnarbeiter, und errichtet am
Fuß des Tales ein neues Kingdom Come namens Lisboa – die Heimat ihrer
Eltern. So wird das Land auch zur paradiesischen Projektionsfläche des
neuen kapitalistischen Herrschaftssystems, dem sich die Menschen fügen
müssen. Die Bedeutungslandkarte wird umgeschrieben. Dillons verstoßene
Frau hatte ihrer Tochter den Namen Hope gegeben. Es hätte auch ein schöner
Name für eine Stadt sein können.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz
Zu diesem Film gibt's im archiv mehrere Texte
Das
Reich und die Herrlichkeit
Großbritannien
/ Kanada 2000 - Originaltitel: The Claim - Regie: Michael Winterbottom - Darsteller:
Peter Mullan, Wes Bentley, Milla Jovovich, Nastassja Kinski, Sarah Polley, Julian
Richings, Sean McGinley, Marie Brassard - Länge: 120 min. - Start: 8.11.2001
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