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Die Reise des jungen Che
Schön, schön, schön
Walter Salles erkundet in seinem Film »Die
Reise des jungen Che« die Jugend der Ikone – und zeigt vor allem tolle
Landschaften
Die Pampa. Eine Landschaft, mindestens so
weit, mindestens so Naturtheater wie die einschlägigen Westernhintergründe in
Arizona. Zwei junge Männer kämpfen sich mit einem Motorrad durch Staub und
Lehm. Dahinter majestätisch die Anden. Weitere Abenteuer winken. Das Motorrad
klettert über verschneite Pässe. Oh Patagonien! Spektakuläre Ausblicke,
erhabene Höhen, schließlich ein Bergsee. Hier überquert man die Grenze von
Argentinien nach Chile, der erste Auslandsaufenthalt für die Jungs.
Der eine ist grob, aber herzensgut. Er
redet ein bisschen viel von den Mädchen, die er zu vögeln gedenkt. Der andere
(Gael García Bernal) ist dagegen bildschön, redet weniger und hat den Erfolg
bei den Mädchen, mit denen der Erste angibt. Während der ganzen Zeit bewahrt er
15 Dollar auf, obwohl die zwei sie verdammt gut ausgeben könnten. Die sind für
einen Bikini bestimmt, den seine Freundin aus Florida mitgebracht haben will,
dem Fernziel der panamerikanischen Reise.
Erst nach 60 Minuten taucht ein junger
Kommunist auf
Der Erste lebt heute noch. Das zerfurchte
Gesicht des echten Alberto Granado beendet den Film. Man macht das heutzutage
so bei Spielfilmen mit historischem Charakter. Er schaut über die Bucht von
Havanna und sinniert. Vermutlich, so sollen wir Filmzuschauer glauben, denkt er
an seinen Freund und Reisegefährten Ernesto Guevara de la Serna, bekannt als
Che. Der hatte in den frühen Fünfzigern, als noch nicht ganz fertiger Arzt mit
seinem Kommilitonen Granado eine große Südamerika-Reise auf einem lustig
klapprigen Motorrad unternommen. Später wurden die Tagebücher, die er auf
dieser Reise schrieb, zu wichtigem Material erklärt, das Auskunft über die
Politisierung des jungen Medizinstudenten enthalte. Auch Granado schrieb ein
Buch, in dem er sich an die Reise erinnerte. Aus beiden Vorlagen bastelte
Walter Salles seinen Film Die Reise des jungen Che.
Gut eine Stunde gibt es keine größeren
Ereignisse außer Landschaftsbildern. Hin und wieder kippt das Motorrad um. Es
gibt auch keine nennenswerten Vorgänge hinter den gut eingeführten Gesichtern,
nur dauernd die dolle Landschaft. In chilenischen Mittelstädten kichern die
Provinzmädchen. Erst nach 60 Minuten taucht ein junger Kommunist auf. Er wird
als Arbeiter einer chilenischen Mine schikaniert. Der junge Che ist ein wenig
empört und schmeißt mit Steinen nach dem Auto des Verwalters.
Wer bei Che nur an seinen
europäisch-westlichen Mythos denkt, wird sich fragen, warum man über einen
Charakter einen Film dreht, über den sein Fan Biermann auf dem Tiefpunkt der
neuen Linken dichtete, dass »gut war und klar war, dass man bei dir immer
durchsah«. In dem milliardenfach verbreiteten linken Logo des Che-Schattenrisses
entleerte sich die Politisierung der sechziger Jahre bis zur bitteren Neige.
Transparenz als moralisches Ideal trug dazu ihren Teil bei und eignet sich auch
nicht fürs Kino. Doch konnte dafür der empirische Guevara nichts. Man sah bei
ihm nämlich gar nicht immer durch, und vieles blieb unklar zwischen dem
anarchoiden Gerechtigkeitskämpfer, dem militärischen Hasardeur, verschiedenen
öffentlichen Personae und den Erinnerungen der Beteiligten.
Noch weniger aber hat die Rolle, die Che
Guevara noch immer in Lateinamerika spielt – ob als Mythos oder als historische
Figur –, mit solidarischen Sentimentalitäten europäischer Liedermachos zu tun.
Denn obwohl auch Lateinamerika eine für politischen Kitsch jederzeit
empfängliche Weltregion abgibt, so erfüllt der Mythos Che dort eine andere,
konkretere Funktion. Er steht weniger für herb romantische »Jesus mit
Knarre«-Fantasien als für die Idee eines spezifisch lateinamerikanischen Weges
aus der Abhängigkeit von den USA und aus der Unterentwicklung. Das ist seit den
jüngsten Globalisierungskatastrophen nicht zuletzt in Ches argentinischer
Heimat gerade wieder aktuell. In einem uruguayischen Elendsviertel habe ich
einmal ein politisches Befreiungskonzept in der Länge von drei Druckseiten als
Graffito an einer Brandmauer gelesen. Es verstand sich explizit als die
Applikation der Lehren Ches auf die aktuelle lateinamerikanische Situation, mit
ihren so unterschiedlichen Hoffnungsträgern wie Kirchner, Chavez, Lula oder dem
Subcommandante Marcos.
Warum nicht die Interrail-Fahrten des
jungen Friedrich Merz?
Vor diesem Hintergrund müsste ein Film
eigentlich zu verstehen sein, der erklären soll, wie der junge Che politisiert
wurde – wo zwischen Panlateinamerikanismus und »indigenem Sozialismus« die
Widersprüche liegen und welche Aktualität es hier jenseits melancholischer
Blicke auf die Bucht von Havanna noch geben könnte. Er könnte Zusammenhänge
zeigen, die bis heute Wert und Wahnsinn eines solchen erweiterten
Befreiungsnationalismus prägen, und sie filmisch aus den Physiognomien dieser
beeindruckten Bürgerkinder herausarbeiten.
Stattdessen landen wir aber erst mal in
Lima. Hier gibt es einen sehr belesenen und freundlichen Arzt. In einem seiner
Bücher findet Che eine Zeile über Lateinamerikas Weg zum Sozialismus. Mit
dessen Erwähnung hat es dann aber auch sein Bewenden. Später auf den Höhen der
Anden wird er seinen zweiten politischen Satz sagen und sich im Gespräch mit
Ureinwohnern für eine Gesellschaft aussprechen, die die Besonderheiten der
indigenen Kulturen in den Mittelpunkt stellt. Der Widerspruch zwischen beiden
Positionen, die heute in der lateinamerikanischen Linken wieder eine große
Rolle spielen, wird nicht mal angedeutet.
Aber um Positionen, Ideen, Diskussionen,
verbalisierbares Interesse an der Welt geht es eh nicht. Ein Revolutionär muss
in erster Linie schön sein. Und er muss für seine Revolution eine schöne
Landschaft finden. Und schöne Frauen, die ihm dabei zuschauen. Doch halt: Kommt
da nicht Bewegung in unsere beiden Helden? Sehe ich da nicht ein Lebenszeichen?
Nun ja. They stay in character. Alberto will
ficken, Che drängt es in ein Krankenhaus. Er muss schon wieder helfen.
Am Amazonas arbeiten sie in einer
Lepra-Station. Der charismatische Asthmatiker Che weigert sich erstens, die Kranken
mit Handschuhen anzufassen, und überwindet zweitens die Trennung zwischen
Personal und leicht Erkrankten auf der einen Seite des Flusses und den schwer
Kranken auf der anderen Seite mit einem beherzten Sprung ins Wasser. Wirklich
gefährlich ist es dann doch nicht. In diesem dünnen Film geht es nämlich
wirklich um nichts, nicht einmal um Abenteuer. Er bleibt an der Beiläufigkeit
von Reiseerinnerungen hängen und kann sie nur sehr selten und dann ungeschickt
mit einer im Nachhinein erworbenen »historischen Dimension« verknüpfen.
Offensichtlich hatten der Regisseur und sein prominenter Coproduzent Robert
Redford vor Geschichte und Politik große Angst. Warum nicht gleich ein offensiv
belangloses Sujet, warum nicht die Interrail-Fahrten des jungen Friedrich Merz?
Dem schönen Che ist derweil ein Bart
gewachsen. Wenigstens sieht er langsam aus wie er selbst. Von Politik hat er
nicht mehr gesprochen, dafür viel an Krankenbetten gesessen und sehr menschlich
auf vage angedeutete Szenen von Elend und Tod geschaut. Sein Hauptcharakterzug
in diesem Film bleibt die Unfähigkeit zur Lüge. Immer muss er die Wahrheit
sagen, und wenn er sich und seinen Freund damit in die Scheiße reitet. Es
bleibt am Ende nicht viel mehr von dem asthmatischen Charismatiker als, wie es
schon in dem schrecklichen Biermann-Text (nach Carlos Puebla) heißt, dass man
bei ihm »immer durchsah«. Ach ja, »und Liebe, Hass, doch nie Furcht sah…« Wenn
man doch wenigstens einmal Hass gesehen hätte.
Diedrich Diederichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: Zeit
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
Die Reise des jungen Che
DIARIOS DE MOTOCICLETA/THE MOTORCYCLE DIARIES, USA, D, GB 2004 – Regie:
Walter Salles. Buch: José Rivera. Nach „The Motorcycle Diaries“ von Ernesto Che
Guevara und „With Che Through Latin America“ von Alberto Granado. Kamera: Eric Gautier. Mit: Gael García Bernal, Rodrigo de la Serna, Mía
Maestro, Mercedes Morán. Constantin, 126
Minuten.
„Die Reise des jungen
Che“ ist auf DVD erschienen bei: www.highlightvideo.de
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