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Die
Reise ins Glück
Unvermutet und genau
da, wo man nicht hinkuckt: der große Hoffnungsstrahl in der Tristesse
von
Filmallerlei und allgemeiner Stagnation.
Ja, große Worte braucht es, wenn man ins Glück reisen will und sich
dem Reiseführer Wenzel Storch, Anfang 40, Langzeitstudent, anvertraut.
Die Rede ist von einem Film, der alle Regeln mißachtet und trotzdem oder
besser deshalb ein beispielloser Glückstreffer ist: "Die Reise ins
Glück" (ex "Coconut Dream").
Zu sehen ist ein Handlungsknäuel,
aus dem reichlich Fäden heraushängen, verquere Animationen, delirierende
Bauten & Kostüme und guter alter Sperrmüll, liebevoll vergoldet.
Offene Enden zum Selbstverknüpfen. Hierfür ist der Zuschauer verantwortlich,
und ich wette, das macht ihm den Spaß, den ich hatte.
"Die Reise ins Glück"
aktiviert Erfahrungen, die man seit Kindesbeinen hat. Die Sesamstraße
zum Beispiel. Bloß das man jetzt älter ist und es inzwischen dazugehört,
daß die Figuren pissen, kotzen und ficken und daß sie was auf die
Rübe kriegen. Auf die Nüsse auch. Wir haben mittlerweile genug Actionfilme
gesehen. Auch Werbung zum Erbrechen. Wie also präsentiert man sich bei
Hofe? Wichtig ist die Gehirnwäsche. Also steckt man im Gehirnwaschshop
den Kopf (Jörg Buttgereit) in eine dieser altmodischen eisernen Fixierhauben,
die Schädeldecke wird sauber und hygienisch abgetrennt und hochgeklappt,
die Zellen werde sorgsam entnommen, und dann zwingt das ultraneue Superhirnwaschmittel
Grau raus und Weiß rein. Auf zu König Knuffi. Der ist der Böse.
Was bedeutet, daß wir einen Guten haben. Das ist Kapitän Gustav,
autark und ungewaschen in einer Art Taucherglocke. Gespielt wird er von Jürgen
Höhne, 64, verrenteter Fernfahrer mit Bauch. Wie es sich für ein Melodram
gehört, kämpfen beide um die schöne junge Eva, bei der es sich
um die Kindergärtnerinazubi Jasmin Harnau handelt.
Wir haben also wüste
Action, ein triefiges Melodram, ein fabulöses Märchen, zusammen Fantasy,
wie das auf deutsch heißt, auch gibt es 68 andere Laiendarsteller und
vor allem Tiere, von denen der sowohl echte als auch musizierende Bär Identifikationsfigur
ist, wahrscheinlich weil er von Harry Rowohlt lefzengetreu synchronisiert wird
und Max Raabe das bärenstarke "Tellerlip Girl" vorträgt.
Ja, "Die Reise ins Glück" ist auch ein bißchen schräges
Musical und infolgedessen absurde Komödie dazu.
Das Kaninchen (Stimme:
Horst Tomayer) habe ich vergessen. So lethargisch, wie es ist, ist es doch Ejakulationswunder,
auch vermag der Rammelbock in fleischlicher Verbindung mit der spießigen
Kuckucksuhr eine altertümliche, aber funktionierende Zeitmaschine zu zeugen.
Das ist gut. Wir halten mal fest: der blöde Vogel, oder ist es der hölzerne
Zeitmesser, produziert ein Hightechwesen. Wir brauchen dafür keine Industrie
auf europäischem oder globalem Level. Wir brauchen nur einen bärbeißigen
Rentner aus Hildesheim, der, um mobil zu sein, nicht was aus Wolfsburg besorgt,
sondern sich aus kaputten Rübenrodern, Getreidegebläsen und was sonst
im Dorf vergammelt, ein Schneckenschiff baut, psychodelisch bemalt in den Farben
der Siebziger und groß genug für eine arg zusammengeschraubte Maschinenanlage
im Stil vom "Metropolis"-Film (Fritz Lang) der zwanziger Jahre. Die
Crew ist bestückt mit Tieren, die, wie in den alten Kinderbüchern,
sich ungeniert der menschlichen Sprache bedienen, aber völlig unberechenbar
sind; klar auch, daß es hildesheimer Kinder sind, die die Kommandobrücke
entern, und es ist kaum erstaunlich, daß diese Bagage auf hoher See an
einer Insel landet, die es, wie alle wissen, nicht gibt, auf der aber überperfektes
Hofbarock von einer als überwunden geglaubten Zeit kündet. Wir knien
vor einem Thron, der wohl nichts als ein größenwahnsinniger Zahnarztstuhl
aus dem 19. Jahrhundert ist. Den angemaßten Reichsapfel müssen wir
leider als vergoldetes Mundspülbecken entlarven und den barockösen
Ventilator als Heuwenderrotor. Überhaupt können wir nicht umhin, die
Reichsinsignien als banale gekreuzte Teppichklopfer zu identifizieren.
Des Kaisers neue Kleider
sind dank der verdienstvollen Schneckenschiffexpedition ein nichts oder besser:
nichts als Fummel, genauso blöder Klamottenkram wie der fatale „Metropolis“-Film,
aber doch nichts für Kleidersammlung und Entsorgung. Für Travestie
und Selbstversorgung ist das Zeug noch gut genug und untergründiger, ja
unverschämter Spaß dazu, daß Monty Python ihre helle Freude
gehabt hätten.
Die völlig alogische,
aber assoziative und auch aggressive Verknüpfung lädt zum guten alten
Mitmachen der siebziger und achtziger Jahre ein. Ein schöner Trip ist es
allemal. Eine aufrührerische Fantasie dazu. Eskapismus wäre es, sich
in andere, bessere Welten zu flüchten. "Die Reise ins Glück"
segelt aber in die Gegenrichtung. Wenzels Welt ist da, wo er ist, in Hildesheim,
neben Silos, Düngerhaufen und den Kränen des Mittellandkanals. Einer,
der sich frech bedient mit dem, was anderen heilig ist oder war, seien es Filmgenres,
Filmgeschichte, Kasperletheater, Kinderpädagogik, Werte aller Güte.
Ja, Storch ist ein besessener, genialer Chaot, einer der etwas zu Stande bringt
- nicht für andere, sondern für sich. Das Kaputte wird zum Wunderwerk
in einer auf Perfektion geeichten Zeit. Das Unfertige wird kohärent, eine
Botschaft wird nicht verordnet. Man muß sich selbst einen Plan machen.
Wer den Film kuckt, macht sich den Reim drauf. Kurzum: glückliche, befreite
Rezipienten. Das schafft Gemeinsamkeit und Tatendurst. Flippen wir also getrost
aus wie Käptn Gustav: Storch reißt mit, und ich reise mit. "Die
Reise ins Glück" macht euphorisch.
Einem wie Wenzel Storch,
der mit den "Pissing Cow Tapes" und als Comiczeichner angefangen hat,
sind Filmindustrie und Vermarktungsstrategien egal. Gedreht hat er mit einer
70 Jahre alten 35-mm-Kamera, viele Jahre lang. Gagen gab es keine, und Schulden
hat er reichlich. Die internationale Festivalschiene hat er mit seinem dritten
Film, der "Reise ins Glück", schon befahren (Jubel, Preise, so
im August auf der FanTasia in Montreal), und jetzt bringt er den Glückstrip in unsere Kinos. Sein Film davor,
"Sommer der Liebe" (1992 ,Super 8), war der größte Eigenverleiherfolg,
den es je gegeben hat. Kult meinetwegen. Ich tu mein Pathos dazu, à la
Ernst Bloch: "Die Reise ins Glück" wird was für jeden sein,
der auf den Lichtblick wartet und auf das güldene Aufblitzen dessen, was
zum Vorschein kommen will.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Konkret
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
Die Reise ins Glück
Deutschland
2004. R, P, K: Wenzel Storch. B: Wenzel Storch, Matthias Hänisch. Sch:
Matthias Hänisch, Iko Schütte. M: Diet Schütte. T: Stephan Konken.
A: Wolfgang Weber, Michael Stich. Animation: Majken Rehder. Sp: Michael Romahn,
Marcel Caspers. Pg: Wenzel Storch Filmproduktion. V: Wenzel Storch, Langer Garten
1, 31137 Hildesheim. L: 74 Min. FSK: 12, ff. Da: Jürgen Höhne (Kapitän
Gustav), Jasmin Harnau (Eva), Holger Müller (König Knuffi), Bernward
Klimek (Propagandaminister), Ralph Meyer (Propagandaminister), Marga Heinze
(Oma), Annemarie Willberg (Oma), Edeltraut Zotzmann (Clementine), Jörg
Buttgereit (Edelmann), Kathleen Brunke, Yasmin Frischling, Lena Kruse, Christina
Renger, Skarlett Schmalz (Kapitänskinder). Dt.
Start: 06.01.2005
DVD:
Originalfassung: Deutsch
Länge: 74 min
Bildformat: 1:1,66 (1:1,33 Vollbild)
Ton: Dolby Digital 2.0 & 5.1
Medien: 2 DVD's, Hauptfilm DVD-5,
Bonusfilme DVD-9
Extras: Bonus-DVD (DVD-9) mit 241 min Making Of + Trailer zum Making Of
'Der Glanz dieser Tage' und
'Sommer der Liebe',
Booklet, Faltposter,
Cinema Surreal Trailershow
FSK: ab 12 Jahre
die DVD ist bislang nur erhältlich bei:
CINEMA
SURREAL
Tel. +49(0)30.6341.3115, Email: more@cinemasurreal.com
Pressekontakt: Morris Nowka, Tel. +49(0)30.6341.3114, Email: presse (at) b-ware
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Vertrieb: Al!ve, Tel. +49.(0)221.5342.2000, Email: Order@alive-ag.de
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