zur
startseite
zum
archiv
Reise
nach Kandahar
Poesie
per Helikopter
Mohsen
Makhmalbafs Film "Reise nach Kandahar" ist ein Roadmovie durch das
noch von den Taliban beherrschte Afghanistan. Die ornamentalen und poetisierenden
Bilder des Regisseurs sind allerdings durchaus diskutabel
Mohsen
Makhmalbafs neuer Film "Reise nach Kandahar" muss im Kontext der aktuellen
politischen Entwicklung gegen einige Bilder gelesen werden, die im November
um die Welt gingen. Afghanische Männer tanzen auf den Straßen von
Kabul zu westlicher Musik, unverhüllte Frauen jubeln in Kameras und feiern
den Sturz des Regimes der Taliban. Diese Bilder hatten eine beängstigende
Verbindlichkeit in der Argumentationslogik der westlichen Kriegsallianz, genauso
wie kurz zuvor Aufnahmen von abgeworfenen Carepaketen oder von überfüllten
Flüchtlingscamps: Dieser Krieg war ein sinnvoller, ja nötiger Krieg,
weil er eben nicht gegen die afghanische Bevölkerung geführt wurde,
sondern im Gegenteil Linderung der jahrzehntelangen Schmerzen versprach.
Die
CNN-Bilder aus Kabul markierten damit sozusagen das (nicht mehr für möglich)
gedachte Happy End von "Kandahar", der bereits im Mai in Cannes mit
einem Spezialpreis ausgezeichnet wurde. Niemand hätte damals erwartet,
dass es zum Krieg kommen würde, noch dass es jemals mehr als eine kleine
Fraktion von Aktivisten ernsthaft interessieren könnte, unter welchen Bedingungen
die Menschen, insbesondere die Frauen, in Afghanistan lebten.
"Reise
nach Kandahar" ist Kriegs- und Katastrophenfilm. "Das Einzige, was
hier in Afghanistan modern ist, sind die Waffen", sagt der amerikanische
Arzt Tabib Sahib zu der Journalistin Nafas - die Krise des Humanitären
gegen die Legitimation eines archaischen Waffenrechts. Nafas ist aus Kanada
in ihre Heimat zurückgekehrt, weil ihre Schwester in einem Brief von ihrem
geplanten Selbstmord geschrieben hat, am Tag der großen Sonnenfinsternis.
Das Regime, die Armut, der alltägliche Tod, das alles sei zu viel für
sie. Die Schwester befindet sich in der Stadt Kandahar, und Nafas begibt sich
direkt nach ihrer Ankunft in Afghanistan auf eine gefährliche Reise durch
das völlig desolate Land.
Entstanden
ist "Reise nach Kandahar" unter erschwerten Bedingungen im Grenzgebiet
von Afghanistan und Iran, was man dem Film in jeder Sekunde ansieht. Makhmalbafs
reportageähnlichem Stil kommt die improvisierte Form zu Gute. Auf Schauspieler
im herkömmlichen Sinne hat er gleich ganz verzichtet; seine Darsteller
wurden direkt am Drehort gecastet und hatten noch nie zuvor einen Kinofilm gesehen.
Die formalen Freiheiten, die ihm dieser Dokumentaransatz verschafft, überfordern
Makhmalbaf allerdings auch sichtlich. Die Folgen des Talibanregimes liefern
ihm vor allem einige sehr anschauliche Elendstableaus, die er etwas zu eindrucksvoll
in Szene zu setzen weiß. Die Unterdrückung der afghanischen Frauen
und die Armut der Bevölkerung wird ausgestellt, ohne eine Anbindung an
die historischen oder politischen Kontinuitäten in der Entwicklung des
Landes zu finden. Es ist ganz bestimmt richtig, dass das Regime der Taliban
kein religiös-politisches System war, wie Makhmalbaf kürzlich in der
taz meinte, sondern ein System der Unterdrückung, trotzdem reicht es nicht,
diese Tatsache lediglich reich zu bebildern.
Als
Kriegsberichterstatter fehlt Makhmalbaf die Hartnäckigkeit, hinter die
äußeren Zustände zu blicken, was man ihm in seiner Situation
nicht einmal vorwerfen kann. Als Poet ist er in Afghanistan allerdings schlichtweg
fehl am Platz. Das Wechselspiel von Dokumentar- und Spielfilmelementen führt
zu einigen sehr ungenauen Darstellungen und einer inkohärenten Bildsprache,
die nur für äußerst zynische Gemüter als surreal zu lesen
ist. Beinprothesen, die an Fallschirmen für die Flüchtlingslager abgeworfen
werden, verlieren ihre poetische Qualität angesichts der sehr realen Not
in den Camps. Bei Makhmalbaf jedoch strömt die Masse der Minenopfer synchron
wie in einem olympischen Wettbewerb nach der lebenswichtigen Beute aus. Vom
Helikopter aus gibt das wunderschöne Ornamente.
Der
Zeitpunkt hätte für "Kandahar" nicht besser sein können.
Heute trifft der Film auf ein Interesse, das weit über die üblichen
Cineasten-Zirkel hinausgeht. Das ist gut für Makhmalbaf. Medial gesehen
setzt "Reise nach Kandahar" zu diesem Zeitpunkt jedoch auch eine ganz
bestimmte Kontinuität von Fernsehkriegsbildern fort, deren assoziativer
Wirkung er sich nicht entziehen kann.
Im
taz-Interview befürchtete Makhmalbaf ein verstärktes Interesse an
seinem Film aus Gründen "politischer Rache", nicht aus humanitärem
Interesse (die politische Rache und das Humanitäre wurden im Übrigen
schon in der Rhetorik der US-Regierung auf wundersame Art und Weise in Deckung
gebracht). Der Vermischung von beidem hat er selbst jedoch durch die Hermetik
seiner Darstellung Vorschub geleistet.
Plötzlich,
am Ende des "Jahres des 11. September", lässt sich sein ambitionierter
Film auch in einer Reihe mit inzwischen etablierten Bildern der amerikanischen
Rechtfertigungslogik lesen. Das ist das Schicksal von "Reise nach Kandahar".
Das Kino ist oft schon schneller gewesen als die Wirklichkeit. Manchmal wird
es einfach von ihr überholt.
Andreas
Busche
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: taz
Reise
nach Kandahar
Iran
2001 - Originaltitel: Kandehar - Regie: Mohsen Makhmalbaf - Darsteller: Nelofer
Pazira, Hassan Tantaï, Sadou Teymouri - FSK: ab 6 - Länge: 85 min.
- Start: 3.1.2002
zur
startseite
zum
archiv