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Die
Reise nach Tokio
Eine
subjektive Einstellung: Blick von der Seite auf Shukishi (Chishu Ryu), dann
der Schnitt, gerahmter Blick aus dem Fenster, links füllt ein Haus die
Hälfte des freien Raums, rechts sieht man auf einem Damm fast als Schatten
gegen den Horizont seine Frau Tomi (Chieko Higashiyama) mit ihrem Enkelsohn.
Mit dem nächsten Schnitt springt die Kamera zu den beiden, er pflückt
(oder eher: rupft) Blumen, sie beobachtet ihn dabei und fragt sich, wie viel
sie noch erleben wird von der Zukunft des Kindes.
So
vieles ist vertraut aus früheren Filmen, Konstellationen gleichen sich,
gar die Namen, die Themen und Motive. Stadt und Land, die Züge wiederum;
ein schräg angeschnittener Blick auf einen Bahnhof ist, parallel zum Fahren
der Schiffe, auf der Tonspur durch ein ständiges Tuckern untermalt, eines
der Leitmotive des Films, der das Fahren und Fließen betont und diese
ständigen (langsamen) Bewegungen mit dem Sitzen und Reden kontrastiert.
Eine kleine Typologie des Sitzens und Liegens ließe sich erstellen in
diesem Film: gesellig, Tee trinkend etwa; das Trinkgelage der drei alten Männer
in einer Kneipe, dem Unglück abgetrotzt, nirgends recht erwünscht
zu sein. Shukishi, der mit seinem Freund zurückkehrt ins Haus der Tochter,
die ihn verachtet, betrunken torkeln sie in die Sessel des Friseursalons, sinken
in sich zusammen und schlafen ein. Die Fahrt im Bus durch Tokio, in dem eifrig
gebaut wird, mit Liebe, nicht ohne Komik zeigt Ozu die staunenden Provinzler,
Shukishi mit Hut, im Gewackel des fahrenden Buses. Shukishi und Tomi mitten
in der Stadt, essend, vertrieben aus dem Haus der Tochter, der anderer Besuch
wichtiger ist, dann im Badeort, nachts in ihren Betten liegend, von draußen
der Lärm, sie können nicht einschlafen. Am nächsten Morgen sitzen
sie, müde, am Meer auf der Mole. Sie wissen, dass man sie hierher abgeschoben
hat, sie beschließen, nach Hause zu fahren. Dann: Tomi sterbend, Shukishi
sitzt daneben, kurz darauf draußen, der Sohn, der Arzt ist, sagt, sie
wird die Nacht nicht überleben. "Das also ist das Ende", meint
Shukishi, mehr sagt er nicht.
Das
Nicht-mehr-Sagen ist nicht mit Lakonie zu verwechseln. Alles Sprechen hat in
den späten Ozu-Filmen eine Tendenz ins Formelhafte, vom Sprichwort zur
ständig wiederholten, die Zustände wie vorsichtig abschmeckenden Floskel
("So des ne" heißt es immer wieder. "So also ist das"
oder "Aha" oder "Nun ja"). Das Sitzen, das Sprechen, das
Wahrnehmen der Welt: das alles tut sich nicht auf einmal. Das Schweigen und
das leere Sprechen ist ein Kauen an der Welt, nicht Reflexion, nicht Reaktion.
Dem, was einem widerfährt - und es sind die schlimmsten Bösartigkeiten
darunter - gilt es mit aller Höflichkeit zu begegnen, es ist, als würde
ihm ein Recht eingeräumt, einfach, weil es ist. Wenn der jüngste Sohn
den trauernden Vater verlassen will, eines Baseballspiels wegen, meint der nur
(und er meint es, wie er es sagt): Ihr habt viel zu tun. Noriko (Setsuko Hara),
die Schwiegertochter, ist die rätselhafteste Figur des Films. Verwandt
den von ihren Kindern enttäuschten Eltern in derselben Demut den Dingen
gegenüber, die auch eine Unfähigkeit zur Aktion ist, ein Verhaftetsein
ans Vertraute, in ihrem Fall: der im Krieg ums Leben gekommene Ehemann. Manchmal
denke ich tagelang nicht an ihn, sagt sie, den Verdacht (seiner Eltern) abwehrend,
sie komme nicht von ihm los. Sein Foto steht auf einer Kommode wie auf einem
kleinen Altar im winzigen Zimmer. Sie ist es, die im Gespräch, ohne mit
der Wimper zu zucken, davon spricht, dass man vom Leben nicht zu viel erwarten
darf. "Das Leben ist eine Enttäuschung", sagt ihr Gegenüber.
"So ist es", sagt sie. Mehr nicht.
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Die
Reise nach Tokio
TOKYO
MONOGATARI
Japan
- 1953 - 136 min. - schwarzweiß
FSK:
ab 12; feiertagsfrei
Verleih:
Atlas
Erstaufführung:
9.7.1965/3.11.1970 ARD
Fd-Nummer:
13565
Produktionsfirma:
Shôchiku (ôfuna)
Produktion:
Takeshi Yamamoto
Regie:
Yasujirô Ozu
Buch:
Kôgo
Noda
Yasujirô
Ozu
Kamera:
Yûshun Atsuta
Musik:
Takanobu Saitô
Schnitt:
Yoshiyasu Hamamura
Darsteller:
Chishû
Ryû (Shûkichi Hirayama)
Chieko
Higashiyama (Tomi, seine Frau)
Sô
Yamamura (Kôichi Hirayama)
Setsuko
Hara (Noriko)
Haruko
Sugimura (Shige Kaneko)
Nobuo
Nakamura (Kurazo)
Kyôko
Kagawa (Lehrerin)
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