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Über
Ernst Lubitschs Filme wird selten geschrieben. Meist ist nur von "Lubitschfilmen"
die Rede: als einer selbstgenügsamen, autonomen und fetischisierten Gattung
von kunstvollen Unterhaltungs-Maschinen, die sich beim lustvollen Sehen selbst
verbrauchen (vergleichbar nur dem Komplex "Hitchcockfilme"). Deshalb
hier: Parallel montierte Anmerkungen zu einem problematischen, einem spannenden
und eigensinnigen Filmemacher im Allgemeinen, und zum aufschlussreichen Einzelfall
Rendezvous
nach Ladenschluss (The Shop Around the Corner (1940))
im Speziellen.
Es
gibt keinen Regisseur der Geldmaschine Hollywood, der so unverschämt (man
könnte auch sagen: schamlos) seine job
description
zur Handlung seiner Filme gemacht hat, wie Lubitsch: Verführung durch die
geballte Macht des Kapitals, Aphrodisieren durch Klimbim. Geld haben (oder so
tun) war im Kino nie wieder so unverklemmt sexy wie bei Lubitsch. Zwischen all
den schimmernden, glitzernden, anziehenden Schmuckstücken, Abendkleidern
und Kulissenstädten vergisst sogar die gestrenge Kommunistin Ninotchka
ihre
alberne Gleichheitsideologie und setzt sich in den Westen ab. (Und nicht etwa,
weil sie sich nach der Freiheit westlicher Demokratien sehnen würde.)
Vom
Verkaufen als Fertigkeit und vom Kaufen als einem Akt des Hedonismus erzählt
auch ein Film, der sonst in denkbar großem Abstand von Lubitschs weltmännischen
sex
comedies
erscheint: Das Budapest, MGM, in dem The
Shop Around the Corner
spielt, hat mit Lubitschs geistigem Heimatort, dem mondänen Paris, Paramount,
zumindest rein äußerlich wenig gemein. Statt des Gesellschaftstreibens
der Reichen und Gerissenen zeigt uns Lubitsch den Arbeitsalltag der Lower Middle
Class am Rande einer ökonomischen Krise. Statt des Schlafzimmers wird das
Kaufhaus zum Gravitationszentrum der Erzählung, und bezeichnenderweise
ist Lubitsch da wie dort in seinem Element.
Die
VerkäuferInnen, von denen der Film handelt, haben etwas von den Verführern
und Trickbetrügern in Lubitschs High-Society-Komödien: Untereinander
sprechen sie von Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsflaute, und den Kunden schwatzen
sie dann nach allen Regeln der Kunst, die das hier ist, die Luxusartikel auf,
die das Geschäft ausschließlich führt. Der Umsatz hängt
nicht so sehr von den Kunden ab, wie von den Anstrengungen des Personals: Zu
Weihnachten nehmen sich deshalb alle zusammen und schenken dem kränkelnden
Chef eine fette Verkaufsbilanz, eine der genuin rührendsten Weihnachtsszenen,
die in unserer Kultur vorstellbar ist.
Ob
Lubitschs amerikanische Komödien der 30er und 40er Jahre und ihre bisweilen
irritierend an Nihilismus gemahnende Version von "Menschenkenntnis"
nun part
of the problem Hollywood
sind (als ungehemmt hedonistische Eskapismus-Maschinen und Prozac amerikanischer
Depression) oder doch schon eine Lösung desselben (da sie mindestens ebenso
sehr wie vom Reichtum vom Schwindel erzählen, der dahinter steht, von schönem
Schein und leichtfüßiger Subversion der Ordnung), wer das gewissenhaft
zu klären versucht, der ist sehr schnell selbst die Zielscheibe von Lubitschs
mehr oder minder sanftem Spott geworden, wie jene Mitglieder der britischen
Upper Class in Cluny
Brown,
die dem vitalen tschechischen Faschismus-Flüchtling Adam Belinski mit einer
Mischung aus unterwürfiger Verehrung und großspurigem Verbrüderungs-Pathos
begegnen.
Bei
der Arbeit gehen sich der Geschäfts-Manager Alfred Kralik (James Stewart)
und die neu angestellte Verkäuferin Klara Novak (Margaret Sullavan) auf
die Nerven, privat haben sie sich ohne es zu wissen per Brieffreundschaft schwer
ineinander verliebt. Wer man während der Arbeit ist, und wer in seiner
Freizeit und wer in seinen kühnsten und freisinnigsten Gedanken, das deckt
sich nicht. Das hat nicht so sehr mit einer Binarität von Schein und Sein
zu tun, mit einem Konflikt zwischen Idealen und der Wirklichkeit. Es spielt
sich mehr im Raum dazwischen ab: Identitäten, die man annimmt, bloß
indem man sie für sich entwirft. Das gilt genauso für Lubitschs sozietäre
Sich-Versteller und Fallensteller. Und es gilt für Lubitsch, den auteur:
Seine Uneindeutigkeit ist nicht gleich oberschlaue Unaufrichtigkeit und radical
chic.
Dass
sich bei Lubitsch vieles partout nicht auf Eindeutigkeiten festnageln lässt,
das hat bekanntlich schon das Hays Office zur Weißglut getrieben, das
gegen all die Anzüglichkeiten nichts tun konnte, die er ins Off verlegte.
The
Shop Around the Corner
verdeutlicht,
dass Lubitschs doppelte, dreifache Böden mehr sind als eine Zirkusnummer
oder ein Manierismus. Lubitsch ergreift Partei für die, die gerne mehr
wären und es dadurch sind. Die, die ihren Platz im Gefüge und die
Gedanken, die sie zu denken haben, (zu) gut kennen, wirken dagegen zwangsläufig
lächerlich.
Lubitschs
Filme sind gegenüber moralischer Strenge und Konsequenz vor allem deshalb
so skeptisch, weil sie leidenschaftliche Apologien des Begehrens darstellen
- nach Schmuck, nach Sex, nach Liebe. Wer bei Lubitsch das Glück wählt,
der muss sich nicht gegen das Geld entscheiden. Wie sein brother
in dandyism
Oscar Wilde, und wie beider ungepflegter Ahnherr Friedrich Nietzsche, verneint
er in seinen Werken entschlossen einen Idealismus von oben, der Menschen ihren
Verzicht schön redet. Damit nahm er das Massenpublikum der amerikanischen
Wirtschaftskrise auf gewisse Weise ernster als z.B. Frank Capra, in dessen human
comedies
der Depressions- und Kriegszeit (siehe Platinum
Blonde
und It
Happened One Night)
die Kluft zwischen Ober- und Arbeiterklasse immer nur nach unten hin, durch
Umarmen der Arbeiter-Werte und das Aufgeben allzu großen materiellen Ballasts,
überbrückbar ist.
Frieda
Grafe hat sehr richtig das dunkle Herz bezeichnet, um das Lubitschs Gags leichtfüßig
kreiseln: "Wünsche und Lüste in der industriellen Gesellschaft
sind nicht natürlich, sie sind berechnet." Während beispielsweise
zahlreiche aktuelle österreichische Filme zwischen Haneke, Seidl und (auf
ambivalentere Weise) Albert diesen Umstand zum Ausgangspunkt adornoesker Tristesse-Erzählungen
vom Leben im Falschen macht, nimmt Lubitsch die Sehnsüchte und Konsumräusche
seiner Figuren und seines Publikums in Schutz. Mit genug Esprit, Unverschämtheit
und Mut verfolgt, können diese Lüste, das ist der Glauben, der aus
Lubitschs Filmen spricht, ganze Hierarchien sprengen.
Wenn
der Lieferjunge Pepi vom Chef befördert wird und den neuen Lieferjungen
distanzierter und strenger behandelt, als es ihm selbst ergangen ist, dann ist
es Lubitsch bei aller augenzwinkernden Wärme und Versöhnlichkeit,
die das Ganze als verschmitzte Bubendummheit ausgibt, damit genauso ernst wie
mit den Dienern in Ninotchka
und
Cluny
Brown,
die rigider als ihre Herren auf dem Standesunterschied beharren. Wahrscheinlich
hat Lubitsch auch deshalb seine Hollywood-Filme bis zuletzt immer wieder im
"alten" Europa angesiedelt: um dabei zuzusehen, wie stabil verinnerlichte
Systeme unter dem Druck frechen "amerikanischen" Konsums zusammenbrechen
und dahinter zumindest für Momente Freiräume entstehen. (In den Cultural
Studies
nennt man das bekanntlich "Aneignung", und da kennt man nach der Euphorie
der 80er inzwischen schon recht gut die Grenzen dieser Technik. Ob uns Lubitsch
über die etwas erzählen kann, bliebe zu untersuchen.) Zu diesen Relikten
gehört nicht zuletzt die Psychologie. "Psychologically, I'm very confused...
But personally, I don't feel bad at all", stellt Klara erstaunt fest, als
ihr Alfred die wahre Identität ihrer Briefliebe offenbart hat - und meint
das völlig ernst.
Dieser
Text ist auch erschienen in:
Rendezvous
nach Ladenschluß
THE
SHOP AROUND THE CORNER
USA
- 1940 - 97 min. - schwarzweiß
Literaturverfilmung, Komödie
Verleih:
Die Lupe
Erstaufführung:
April 1947/22.12.1969 ZDF/Dezember 1986 (Neustart)/11.7.86 DFF
Fd-Nummer:
26020
Produktionsfirma:
MGM
Produktion:
Ernst Lubitsch
Regie:
Ernst Lubitsch
Buch:
Samson Raphaelson
Vorlage:
nach einem Bühnenstück von Nikolaus Laszlo
Kamera:
William H. Daniels
Musik:
Werner R. Heymann
Schnitt:
Gene Ruggiero
Darsteller:
James
Stewart (Alfred Kralik)
Margaret
Sullavan (Klara Novak)
Frank
Morgan (Hugo Matuschek)
Joseph
Schildkraut (Ferencz Vadas)
Felix
Bressart (Perovitch)
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