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Requiem
Die Gespenster
der Vergangenheit
Der letzte Song auf der bisher letzten Platte der
Band Weezer trägt den Titel "Haunt you every day". Er handelt
von einer Liebe, die geendet hat, die vielleicht nie existiert hat, die einen
aber gerade deswegen nie mehr loslassen wird, und das Lied hat genau diese Wirkung.
Es besteht aus einer banalen, eigentlich ziemlich unoriginellen Akkordfolge,
in die sich kein Mensch verliebt, aber es weckt im Hörer große Trauer
über eine Vergangenheit, die es nie gegeben hat.
Was hat das mit Hans-Christian Schmids neuem Film
zu tun?
Zunächst einmal gar nichts.
"Requiem" ist ein hervorragender, gewissenhaft
und gut gemachter Film, der erzählt, wie eine Studentin aus dem ländlichen
Schwaben in den 70er Jahren an ihrem religiösen Umfeld zerbricht, sich
in eine imaginierte Besessenheit hineinsteigert und schließlich einem
Exorzismus zustimmt. Ohne besondere dramaturgische Kraftanstrengung nimmt der
Film uns mit auf eine Reise in eine Zeit und ein Land, das uns sehr fremd und
zugleich furchtbar vertraut erscheint, und dann auf einmal zieht man uns ohne
Vorwarnung den Film unter den Füßen weg und läßt uns allein
mit ein paar dürren Worten auf der Leinwand, die erzählen, was wir
schon wissen: Michaela Klingler beziehungsweise ihr reales Vorbild Anneliese
Michel starb im Jahr 1976 nach einer Serie von Exorzismen an Entkräftung.
Das ist die Erzählung des Films. Doch eigentlich
erzählt er von etwas ganz anderem. Und der Schlüssel dazu liegt mal
wieder in der Musik.
Schon vor sieben Jahren, in "23", irritierte Hans-Christian Schmid, indem er
Songs spielte, die für den Film zehn Jahre zu alt waren, die nämlich
aus den 70ern stammten. Das könnte man als persönliche Marotte abtun,
daß nämlich Schmid, Jahrgang 1965, seine eigene musikalische Sozialisation
einfach nicht los wird, und das ist vermutlich auch so, aber es ist zugleich
Ausdruck einer Erzählhaltung, die sich durch all seine Filme zieht - sie
handeln nur an der Oberfläche von der Jugend und ihrem Ende, in Wahrheit
erzählen sie von der Trauer um eine Jugend, die nicht stattgefunden hat.
In "23" verliert ein Junge zu früh seinen Vater,
den er aber ohnehin gehaßt hat, und verliert sich daraufhin in einer versponnen
Fantasiewelt. In "Crazy" endet eine imaginierte Liebe, auf die der
Held im wahren Leben sowieso nie eine Chance gehabt hätte, und in "Lichter"
sterben Hoffnungen, die von vornherein keine waren. Die Heldin von "Requiem"
darf keine entspannte Jugend haben, all das, was die anderen so ganz normal
mitnehmen, bleibt ihr verschlossen, und als sie es doch versucht, wird sie bestraft.
Einzig die Musik bleibt als Sinnbild ihrer Sehnsucht, als Symbol für das
gelingende, aktive Leben, das immer nur die anderen haben, und so wie die Songs
auf der ansonsten musikfreien Tonspur eingesetzt werden, wecken sie große
Trauer um eine Geborgenheit, die es nie gegeben hat.
In bisher konzentriertester Form erzählt H.-C.
Schmid hier von einem Leben, das zu Ende geht, bevor es richtig anfangen konnte;
von einer Jugend, die nicht stattfinden kann, weil das Elternhaus keine Basis,
sondern nur einengende Zwangsjacke ist, in der elterliche Erwartungshaltungen
sich als Liebe tarnen und eine demonstrativ nach außen getragene Religiosität
als Sinnersatz herhalten muß.
Hier spürt man ein ganz persönliches Anliegen,
und wenn man einen Blick auf Hans-Christian Schmids Biographie wirft - er wuchs
in dem katholischen Wallfahrtsort Altötting auf - so kann man davon ausgehen,
daß er mit "Requiem" seinen bisher privatesten Film gemacht
hat.
Und dieses persönliche Anliegen ist es, das
"Requiem" seine Kraft verleiht - jenseits der schwäbischen Provinz
der 70er Jahre, jenseits der katholischen Milieuschilderung, die es einem eigentlich
leicht machen sollte, sich dagegen abzugrenzen, weckt er im Betrachter Emotionen,
die universeller sind und tiefer liegen. Der Film geht weiter. Nachdem er aufgehört
hat, wirkt er lange nach, er tut das, was Weezer in unübersetzbare Worte
gekleidet haben: "Haunt you every day."
Noch eine Anmerkung zur verlorenen Vergangenheit:
Ziemlich gegen Anfang des Films bekommt die Hauptfigur die Haare geschnitten
und sieht auf einmal aus wie Angela Merkel in jung. Die war bekanntlich in den
70ern nicht im ländlichen Schwaben, sondern ganz woanders, auch das ist
also eine Vergangenheit, die nie existiert hat, aber hier handelt es sich natürlich
nur um einen dummen Zufall, der nichts weiter zu bedeuten hat.
Dietrich Brüggemann
Dieser Text ist zuerst erschienen
im:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Requiem
D
2005.
R: Hans-Christian Schmid. B: Bernd Lange. K: Bogumil Godfrejow. S: Bernd Schlegel, Hansjörg
Weißbrich. P: 23.5. D: Sandra Hüller, Burghart Klaußner, Imogen
Kogge, Friederike Adolph u.a. 92 Min. X Verleih (Warner) ab 2.3.06
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