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Requiem
for a Dream
Wir Kinder von
Coney Island
Die komischen Geräusche aus dem Gefrierfach
verwirren Mrs. Goldfarb. Aber der Doktor braucht die ältere Dame nicht
einmal anzusehen, um scharfsinnig zu diagnostizieren: "No Problem".
Dann verschreibt er Valium statt dieser bunten Appetitzügler, die Sarah
Goldfarb, alleinstehende Witwe, Mutter eines Sohnes, drogenabhängig gemacht
haben. Darren Aronofskys "Requiem for a Dream" ist, nicht zuetzt,
Ellen Burstyns Film. Und wenn ihr im Drogendelirium ein stöhnender Kühlschrank
entgegenrumpelt, lässt sich das auch als augenzwinkerndes Lob der Akteurin
auffassen, denn sogar William Friedkins "The
Exorcist", wo Kleiderschränke
auf sie eindrangen, wurde dank Burstyns Schauspielkunst erträglicher.
Friedkin kriegte nicht einmal in „French
Connection“ saubere Szenenübergänge
hin; Aronofsky („Pi“) präsentiert mit “Requiem” dagegen eine formal
und erzählerisch glänzende Studie des Zerfalls. Vier Sucht-Protagonisten
zählt sein Film, alle treiben tief und tiefer in die Isolation. Die Hölle,
das sind wir selber.
Aronofskys Heroin- und Pillendrama beginnt beinahe
gepflegt, im kühlen Idyll. Ein merkwürdig aufgeräumtes Manhattan,
ein auf pittoreske Weise morbides Coney Island. Zeit und Zerfall kriechen dort
wie das Efeu, das Besitz von der maroden Achterbahn ergreift. Harry (Jared Leto)
hat sich aus dem Griff seiner Mutter freigestrampelt. Er liebt Marian (Jennifer
Connelly). Beide lieben Heroin. Mithilfe von Harrys witzigem Freund Tyrone (Marlon
Wayans) lässt sich das Zeug locker besorgen, sogar für einen neuen
Fernseher als Geschenk an Harrys Mutter ist noch etwas übrig. Die ist schon
selber Junkie, weil sie für den ersehnten Auftritt in einer launigen Gewinnshow
kleine bunte Schlankmacher zum Abnehmen schluckt. Im Akkord. Hier die Tragödie
der Alterseinsamkeit, dort ein Haufen Jugendlicher, die abgeklärter handeln,
nicht so sehr nach Glück schnappen, sondern beinahe bewusst in die Katastrophe
zu marschieren scheinen. Als Geld und Stoff knapp werden, landet Marian auf
dem Strich, Tyrone im Knast und Harry auf dem OP-Tisch: der kaputtgespritzte
Arm muss amputiert werden. Seine Mutter kriegt derweil via Elektroschock-Behandlung
den amtsärztlich verordneten Rest.
Wie die dunkelrot schwärende Blutvergiftung,
die allmählich Harrys linken Arm zerfrisst, nimmt das in Konsumwelten und
Tagträumen nicht gelebte Leben gierig Besitz auch von der Filmerzählung,
zerreißt sie in die Fetzen einer grandios orchestrierten Parallelmontagesequenz.
Indem er die verheerende Schnellschnitt-Ästhetik der Werbung vier Biographien
gleichsam den Garaus machen lässt, betreibt Aronofskys Film konsequente
Kapitalismus-Kritik. Dass einem streckenweise vor Staunen über den virtuosen
Einsatz filmischer Mittel und optischer Tricks das Mitleid mit den Figuren etwas
abgeht: diese Konzeptkälte kann, muss man aber nicht bemängeln. Am
Ende erschüttert vor allem Burstyns Sarah, die als wächsernes Wrack
in der Psychiatrie vegetiert. Nicht nur ihr amerikanischer Traum ist am Ende
ausgeträumt.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der Braunschweiger Zeitung vom 12.11.2001
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Requiem
for a Dream,
Regie: Darren
Aronofsky; Romanvorlage: Hubert Selby jr.; Drehbuch: Hubert Selby jr., Darren
Aronofsky; Kamera: Matthew Libatique; Schnitt: Jay Rabinowitz; Musik: Clint
Mansell; Ton: Steve Baine; Produzenten: Ben Barenholtz, Beau Flynn
Darsteller:
Ellen Burstyn (Sarah Goldfarb), Jared Leto (Harry Goldfarb), Jennifer Connelly
(Marion Silver), Marlon Wayans (Tyrone C. Love), Christopher McDonald (Tappy
Tibbons), Louise Lasser (Ada), Hubert Selby Jr.(Lachender Gefängniswärter)
Homepage
zum Film: http://www.requiemforadream.com
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