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Das
Rettungsboot
Mr.
Hitchcock an der Propagandafront
In dem klassischen Interview
von Truffaut bezeichnete Hitchcock Lifeboat als seinen eigentlichen und
geringen Beitrag zum Zweiten Weltkrieg und schenkt ihm entsprechend wenig Aufmerksamkeit.
Dabei widerlegt dieser lange Zeit übersehene Film gleich zwei gängige
Klischees über das Werk Hitchcocks – dass seine Filme intellektuell flach
seien und Schauspieler darin nur eine untergeordnete Rolle spielten, drastischer
formuliert, Verfügungsmasse des
Regisseurs seien.
Rauch und
etwas Treibgut stellen die kurze Exposition dar: Lebensmittelkisten, Granaten,
Pokerkarten, ein toter Deutscher. Es ist (See-)Krieg, ein amerikanischer Frachter
ist soeben versunken, das deutsche U-Boot hat es ebenfalls erwischt. Gleich
darauf gleitet ein Rettungsboot durch dichte Rauchschwaden. Nach wenigen Minuten
haben es neun
Menschen in das Boot geschafft, zuletzt der
deutsche U-Boot Kapitän. Was folgt, ist nur augenscheinlich die Fortführung
des großen Krieges auf wenigen Quadratmetern.
Denn obwohl Lifeboat 1944 erschienen ist, also auf
dem Höhepunkt des Totalen Krieges, ist er überraschend unpropagandistisch,
was wohl nicht zuletzt an der Romanvorlage von John Steinbeck liegt. Im Gegenteil:
Hitchcock versteht es – ganz ohne suspense! – das Typische am Wechselspiel unterschiedlichster
Charakter packend und nachdenkenswert zu inszenieren, dabei sogar kriegsirrelevante
Themen aufzunehmen. Das Rettungsboot wird zur Metapher für das Leben schlechthin,
verwischt etwa kontingente Klassenunterschiede, macht Geld im Angesicht des
Untergangs so lächerlich und wertlos, wie es eigentlich ist, und entdeckt
generell die fragile Interdependenz zwischen seinen Insassen, auch den Feinden
unter ihnen. Ein solches Abdriften von der Propagandafunktion des Films geht
bis zu der indirekten Kritik am großen Bruder: Der schwarze Seemann, im
Zivilleben natürlich Dieb, wird bei einer Abstimmung um sein Votum gebeten,
fragt aus Gewohnheit, ob er denn eine Stimme habe – und enthält sich. Ein
Krieg kann vielleicht eindeutig gewonnen werden, moralische Überlegenheit
sicherlich nicht.
Der
wichtigste und faszinierendste Charakter ist indes der deutsche Kapitän.
Seine Darstellung – polyglott, intelligent und durchtrieben – hat Hitchcock
Ärger eingehandelt; man könnte meinen, das Geschwätz von Reklamezwerg
und Anstreicher über den Herrenmenschen hätten bei ihm verfangen.
Alle acht Überlebenden spielt der “SA-Superman” allein aus – sie fürchten
schon allen Ernstes, in ein Konzentrationslager
auf den Bermudas gebracht zu werden. Doch sein egoistisches, gegen die Lebensgemeinschaft
gerichtetes Handeln scheitert am Ende und die verzweifelten Überlebenden
werfen ihn über Bord – mit vereinten Kräften, so die Kriegsmoral des
Films, ist selbst der teuflischste Feind zu besiegen.
Dadurch, dass er diese Lektion
erst am Ende gibt, erweist sich Hitchcock als schlechter Werber für den
Krieg und rettet zugleich seinen parabelhaften Film vor propagandistischer Belanglosigkeit.
Nicht nur Hitchcock-Liebhaber sollten sich dieses ungewöhnliche Kleinod
im Œuvre des Meisters nicht länger entgehen lassen.
Thomas Hajduk
Zu diesem Film gibt's im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Das
Rettungsboot
LIFEBOAT
Lifeboat
- Das Rettungsboot (ORF-Titel)
USA
- 1943 - 90 min. – schwarzweiß - Erstaufführung: 2.8.1974 ZDF
Regie:
Alfred Hitchcock
Buch:
Jo Swerling
Vorlage:
nach einer Story von John Steinbeck
Kamera:
Glen MacWilliams
Musik:
Hugo Friedhofer
Schnitt:
Dorothy Spencer
Darsteller:
Tallulah
Bankhead (Connie Porter)
William
Bendix (Gus)
Walter
Slezak (Willi, der Deutsche)
Henry
Hull (Charles D. Rittenhouse)
John
Hodiak (Kovak)
Heather
Angel (Mrs. Higgins)
Canada
Lee (Joe)
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