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Riding
Giants
We used to get our kicks reading surfing magazines
Some good looking people wearing Lee Cooper jeans
They're breaking on the headland,
they're breaking on the shore
And when you're living in
We used to wet our fingers on surfing magazines
Going to throw school and follow those scenes
Going to get a Kombi and go from beach to beach
Be the kind of people the authorities can't reach
We used to get our kicks reading surfing magazines
Wake up in the morning and the waves are clean
Standing on the headland taking in the scene
Just like they do it ... in surfing magazines
(The
Go-Betweens: „Surfing Magazines“)
Rasender
Stillstand
Von Drop-Outs
zu Profisportlern
Lange Zeit hatte das Wellenreiten in der hawaiischen Gesellschaft
eine religiöse Bedeutung. Ralf Chudoba und Michael Zöllner liefern
als Herausgeber des Readers “Endloser Sommer” (Tropen Verlag, Köln 2001)
dazu den Lagebericht eines Vertreters anderen Glaubens. Der kalvinistische Prediger
Hiram Bingham freute sich 1847, knapp 70 Jahre nach der Ankunft James Cooks
auf Hawaii, für die “Einwohner der Sandwichinseln”: “Die Übernahme
unseres Kostüms verringert in großem Maße ihre sportlichen
Betätigungen in der Brandung, da es im Wasser weniger zweckmäßig
ist als ihr traditioneller Lendenschurz, und da es zudem weniger schicklich
und sicher ist, das Kostüm bei jeder Gelegenheit, die sie für einen
Sprung ins Wasser oder ein Wellenrennen finden, gänzlich abzulegen. Überdies
findet sich für diejenigen, welche sich, wie unter zivilisierteren Völkern
üblich, Stoffkleidung verdienen oder selber anfertigen, weniger Zeit für
Vergnügungen.”
Mitte der 1960er, als eine gewissermaßen an vorkoloniale Zeiten
anknüpfende US-amerikanische Jugendkultur den unpuritanischen Müßiggang
kurzzeitig rehabilitierte, entstand der Surf-Film “The Endless Summer”. Zwei – in diesem Fall finanziell gut umspülte – "hedonistische Vollzeitsurfer ohne Zukunftsperspektive"
(Chudoba/Zöllner) reisen samt Hipster-Regisseur Bruce Brown um die Welt,
dem Sommer hinterher – und der perfekten Welle, auf die sie u.a. an menschenleeren
afrikanischen Stränden treffen, wo vermutlich das erste Mal ein Surfbrett
zum Einsatz kommt. Zu dieser Zeit vermochte die Jugendkultur noch ein paar Versprechen
jenseits von Marketingstrategien einzulösen. Anfang der 90er mussten realistische
Polemiker wie Tom Frank mit Verweis auf Adornos Thesen zur Massenkultur konstatieren,
dass der Kapitalismus absolut jede dissidente kulturelle Randerscheinung früher
oder später als Verbesserungsvorschlag zur Zerstörung der Welt korrumpiert
haben wird.
Wie in „Riding Giants“ dokumentiert, dem neuen Film von Stacy Peralta,
wurde die Surf-Hausse der 60er in den 40ern in Süd-Kalifornien von jungen
Aussteigern eingeleitet. Peralta, ein ehemaliger Profi-Skater, fiel 2001 mit
„Dogtown and Z-Boys“ auf, einer autobiographischen Doku über die Ursprünge
des Skatens. „Riding Giants“ zeigt Typen wie Greg Noll, die es in den 50ern
an polynesische Strände zog, wo man ohne Geld monatelang glücklich
unter einem kaum vorhandenen Dach leben und jeden Hummer(!) und was man sonst
noch aß, ertauchen oder erklettern konnte.
Es galt, immer höhere Wellen zu meistern. Neben dem Surfen gab
es keine Obsessionen. Jede Frau, die ein Date mit einem knackigen Beachboy hatte,
musste mit Frustrationen rechnen. Stundenlang am Strand als vernachlässigter
Eindringling in eine Männerdomäne buchstäblich verbraten zu werden,
war so langweilig und zermürbend, dass keine wiederkam. Es sei denn mit
Brett. Für den Durchbruch des Surfens sorgte erstaunlicherweise ein 15jähriges
Mädchen: Kathy Kohner alias Gidget. Von einer Romanfigurvorlage war sie
in den späten 50ern postwendend zum Filmstar avanciert, der eine Surf-Euphorie
auslöste.
Die Pioniere wurden Schauspieler, Stuntman, Surf-Magazin-Herausgeber
usw.; Rebellen mutierten zu Kleinunternehmern. Zunächst bastelten Freaks
für sich und ihre Kumpels in der eigenen Garage Bretter, die sie für
neu erschlossene Wellentypen benötigten. Alte Holzbretter wichen neuen
aus Kunststoff. Aus Garagenwerkstätten wurden Manufakturen, die industriellen
Charakter bekamen. Ausrüstungshersteller lieferten stetig verbesserte,
entlang diverser Wellenarten aufgefächerte Brettersortimente und immer
ergonomischere Sportbekleidung. Während der untersetzte Greg „The Bull“
Noll mit seinem Markenzeichen, den breit gestreiften Shorts, lediglich auf Wiedererkennungswert
mit zweifelhaften modischen Akzenten setzte, ohne sich um Funktionalität
zu scheren, steckten Nachfolger wie Mark Foo in modifizierten Tauchanzügen.
Jetzt hätte sich der eingangs zitierte Hiram Bingham freuen können.
Der Körper der Surfer war, zumindest in kälteren Jahreszeiten und
Meeresgewässern, weitestgehend eingekleidet (auch wenn er sich unter dem
enganliegenden elastischen Material proper abzeichnete), und die sportlichen
Vergnügungen waren zum auskömmlichen Broterwerb geworden. Ob Bingham
das sortiert gekriegt hätte? Aus Surf-Rebellen waren, nachdem ihr Lebenswandel
lang genug „in“ gewesen war, Profi-Sportler
geworden. Ein gefährlicher Beruf, bei dessen Ausübung Mark Foo 1994
in der Half Moon Bay starb.
Der Prototyp des Profi-Surfers ist Laird Hamilton. Seine Fertigkeiten
hielten die Jahre über Schritt mit Variationen des Sports wie Snow-Boarding,
James-Bond-Doubling usw. Hamilton wuchs in Hawaii auf, wo er als blonder Weißer
von seinen Mitschülern gehänselt wurde und sich fortan mit dem Surfbrett
aufs Meer zurückzog, was sich nicht mehr änderte, erst recht nicht,
nachdem er seine alleinerziehende Mutter mit der Surf-Legende Billy Hamilton
verkuppelt hatte. Als an keinem Strand mehr was zu toppen war, erfand Laird
Hamilton das Tow-in-Surfen. Auf dem offenen Meer wird richtig hohen Wellen,
den Big Waves, aufgelauert, deren Geschwindigkeit nicht mehr mit den Armen erpaddelt
werden kann. Mit einem Jet-Ski läßt man sich auf sie ziehen, von
seinem Team, das gleichzeitig als Rettungsteam fungiert. Hier entstehen beeindruckende
Bilder eines alleinstehenden Menschen im Zentrum wuchtiger Naturgewalt. Während
zur Präsentation der Heldentaten eines Greg Noll noch Phantombilder der
Monsterwelle gezeichnet werden mussten, wird Hamilton von einem Hubschrauber
aus mit der Kamera begleitet.
So wandelte sich eine marktferne Sub- zur vom Marketing durchdrungenen
Nischenkultur. Pionierarbeit wird selten gut bezahlt, aber das eingefahrene
kulturelle Kapital ist nicht zu unterschätzen. Die Erinnerungen der Veteranen
an die Subkultur-Ära klingen nicht selten wie Kriegserzählungen. Waschechte
Surfer fahren zum Strand, um Heldentaten zu vollbringen und Adrenalinschubweltrekorde
aufzustellen, gegen den Strom ordinärer Einwohner, die wegen eines sich
anbahnenden Unwetters evakuiert werden. Die Rhetorik der Surfer erinnert zuweilen
an die der Fremdenlegion. Die Fremdenlegion übernimmt schließlich
auch oft die brenzligen Aufgaben im Off der Legitimät. In „Riding Giants“
ist einmal ein Schild zum Wohle ordinärer GIs (und der Staatskasse) zu
sehen: „No Military Personnel Allowed!“ An solchen Stränden wird es für
waschechte Surfer erst spannend.
Frank Geber
Dieser Text ist
(in ähnlicher Gestalt) zuerst erschienen am 12.07.2005 in: Junge Welt
Riding
Giants
USA
2004 - Regie: Stacy Peralta - Darsteller: Laird Hamilton, Greg Noll, Jeff Clark,
Peter Mel, Dick Brewer, Grant Washburn, Darrick Doerner, Kelly Slater, Sarah
Gerhardt, Buzzy Kerbox - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 101
min. - Start: 7.7.2005
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