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Die
Ritterinnen
Die
glorreichen Sieben
Berlin-Kreuzberg,
Ende der Achtziger. Das riecht nach brennendem Bolle, täglichen Politplena,
mal hier mal dort, bald zu dieser, bald zu jener Kampagne, nach IWF-Protest
und verbitterten Patriarchatsdiskussionen. Aber auch nach Flucht aus der Provinz,
anarchischem Freiheitsdrang, nach Befreiung von Spießermuff und der Sehnsucht
nach selbtbestimmten, besseren Leben. Kreuzberg, Ende der Achtziger - lang ist's
her.
Dies
mit dem "lange Hersein" legt zumindest Barbara Teufels Patchwork aus
Doku und Spielfilm nahe. Selbst aus linker Perspektive mutet Vieles wie längst
vergangene Geschichte an, wobei die Regisseurin weder ironisch distanzierend
noch nostalgisch, romantisch geschichtsverkleisternd vorgeht. Sieben waren sie,
links, radikal, zornig und zärtlich, so stellt sie ihre damalige Frauen-WG
"Die Ritterinnen" - denn im Ritterhof lebten sie - im gleichnamigen
Film zu Beginn vor, schneidet dabei, im weiteren Verlauf, fiktive Szenen zwischen
authentisches Filmmaterial und Interviews mit ihren ehemaligen Mitbewohnerinnnen
und, ja, auch -bewohnern, letztere im übrigen noch immer so stockig verklemmt,
als müssten sie mit jeder Geste, jeder Mimik vom Erfolg ihrer Patriarchatsdiskussionen
künden. Dass es in den fiktiven Szenen nicht nur autobiographisch zugeht,
davon erzählt Barbara Teufel selbst gleich am Anfang im stets begleitenden
Off-Kommentar: "Nicht alles hat sich genauso zugetragen, aber nichts hätte
so nicht möglich sein können." Es geht also um das Portrait einer
Zeit, in der offenbar alles möglich war, zumindest aber so erschien, und
um ein Portrait einer Bewegung, die heutzutage zwar immer wieder mal als medial
verdoppeltes Schreckgespenst - "1000 Autonome demonstrierten heute in Berlin!"
- auftaucht, unterm Strich aber weitgehend Geschichte ist, gespiegelt in den
eigenen Erfahrungen, der eigenen Biographie. Was diese Bewegung wollte, wie
sie sich selbst konstruierte, duch was sie sich im Alltag, jenseits von Demonstrationen
und konspirativen Treffen, auszeichnete und vor allem, welche gesellschaftlichen
Faktoren sie Geschichte werden ließ, davon erzählt der Film und das
- aufgrund seiner streng subjektiven Perspektive - auch gar nicht mal langweilig,
oft sogar recht spaßig, immer mit dem Wissen, dass damals nicht alles
richtig war, aber eben auch nicht alles falsch.
So
kommt Barbara als Punk aus der Provinz, aufgrund der "arroganten Großstadt-Szene"
zunächst etwas widerwillig, nach Berlin in die WG der besten Freundin,
die die Landflucht schon etwas früher gewagt hatte. Wenig später gibt's,
nach ersten WG-Diskussionen und wilden Konzerten, dann auch schon jenen legendären
1.Mai '87, von dessen mythischen Qualitäten - stundenlang wurden die Polizeikräfte
aus Kreuzberg vertrieben, der ganze Kiez ging ungeachtet der individuellen,
sozialen Milieuzugehörigkeit plündern - auch heute noch nicht wenige
APO-Linke Kräfte zehren: "Einmal zur rechten Zeit, am rechten Ort
sein!", so beschreibt Teufel das damalige Lebensgefühl: Endlich dort
sein, wo sich was bewegt, wo man sich politisch artikulieren kann, die eigenen
Freiheiten endlich eingefordert, vor allem aber umgesetzt werden können.
Dem folgen WG-Organisation - man bildet ein Kollektiv, in dem allen alles gehört
- und die Planung zu den Protesten gegen die IWF-Tagung in der Stadt, ein Großereignis
welches, neben dem 1. Mai '87, ebenfalls in die Historie eingehen sollte. Auf
diese Planung und die Widrigkeiten des Kommunenlebens - raus mit den Männern,
ja überhaupt wie eigentlich mit Männern umgehen, gerade und besonders
doch als Hetera - konzentriert man sich anschließend, zeigt, wie man damals
lebte, wie man sich, eigentlich doch wider besseren Wissens möchte man
meinen, das Richtige im Falschen herbeisehnte, welches sich, nach Möglichkeit,
dann auch umgehend einstellen sollte.
Sicher,
vieles wirkt - einer historischen Perspektive ist's geschuldet - gestelzt, vieles,
vor allem der häufige Gebrauch von Parolen und universellen Wahrheiten
im Zwiegespräch, aus der heutigen Perspektive dogmatisch und wie auswendig
gelernt - witzig vor allem, dass eine Ex-Bewohnerin rückblickend erwähnt,
dass in der Kommune nie der Dogmatismus geherrscht habe - , aber herzlos, im
Sinne von ironisch, wird DIE RITTERINNEN dabei an keiner Stelle. Eher liebevoll
und wissend, dank der Einsicht des zärtlichen Rückblicks auf die eigene
Vergangenheit, um die Fehler, aber auch eben um die Stärken. Der Film ist
somit auch Geschichtsdokument, keine Frage, vielleicht nicht gerade objektiv,
dafür aber mit nicht zu unterschätzendem Erkenntnisgewinn: Wie war
das damals in jener Zeit, wie lebten, wie dachten diese Leute, die für
einen Moment lang Geschichte schrieben? Ein authentischeres Bild der späten
Achtziger im Revoltenkiez Berlin-Kreuzberg hat man bislang jedenfalls wohl noch
nicht auf der Leinwand gesehen - trotz vieler Versuche der jüngeren Zeit,
die "linke Szene" für Spielfilme jenseits des Dokumentarischen
auszuwerten.
Auch
die Brüche innerhalb der Kommune, symptomatisch für die ganze Szene,
werden beleuchtet, die Abkehr von der politischen Forderung an die Gesellschaft
hin zur neuen Innerlichkeit etwa. Trotz 1.Mai '87 und den - je nach Perspektive,
auch davon erzählt der Film, von der Unfähigkeit der außerparlamentarischen
Linken, sich selbst und die eigene Relevanz verlässlich einzuordnen - geglückten
oder auch nicht geglückten Anti-IWF-Protesten, beginnt die Politarbeit
zum Zwang zu werden, zur gesellschaftlichen wie moralischen Verpflichtung: die
Autonomenszene als, gewissermaßen, "outgesourcetes" soziales
Regulativ, als moralische Instanz. Das kann - selbst gewähltem Szeneghetto
und damit einhergehender Selbst-Marginalisierung sei Dank - nur in der Verbitterung,
im Frust enden: Die einen fliehen davor in einen diffus esoterischen Spiritualismus,
die anderen arbeiten an der künstlerischen wie biographischen Selbstverwirklichung.
Dies
kann, wenn man in einer kollekiven Struktur lebt, nicht lange gutgehen und so
kommt es, wie es unter diesen Umständen eben kommen muss: Die Kommune löst
sich, durch die einzelnen Selbstverwirklichungstrips schon allein strukturell
nicht mehr überlebensfähig - "Da hätte es mal ein Update
gebraucht!", kommentiert Barbara Teufel -, auf. Der Wiedervereinigung der
beiden deutschen Staaten, quasi direkt vor der eigenen Haustüre, kommt
dabei eine besondere Rolle zu: Erstens der Schock, die plötzliche Orientierungslosigkeit
der Linken, wovon heute noch die Nachbeben zu spüren sind, zweitens der
mit einem Male brachliegende Osten der Stadt, mit seinen Hunderten von leerstehenden
Häusern, ganzen Straßen gar, die nur darauf warten, von Hausbesetzern
in Besitz genommen zu werden. Ironie des Schicksals: Jede der Ritterinnen bezieht
im Folgenden eine Einzimmer-Wohnung. Das Netz unter den Ritterinnen, darauf
legt das Fazit des Filmes jedoch Wert, sei aber nie gerissen - das merkt man
schon an der Art, wie die damaligen Kommunenbewohnerinnern auch heute noch im
Gespräch miteinander umgehen können.
Thomas
Groh,
2003
Diese Kritik erschien zuerst im Rahmen der Berichterstattung zur Berlinale 2003 auf der Website der Zeitschrift: F.LM - Texte zum Film
Zu
diesem Film gibts im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
Die
Ritterinnen
Deutschland
2003
Buch
und Regie: Barbara Teufel
Darsteller:
Jana Straulino, Ulla Renneke, Katja Danowski, Mieke Schymura, Bärbel Schwarz,
Tilla Kratochwil, Ursine Lardi u.a.
Länge:
96 Min
Verleih:
Neue Visionen
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