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Road
to Guantánamo
Es beginnt alles ganz harmlos. Anfang Oktober 2001,
knapp drei Wochen nach den Anschlägen auf das World Trade Center, folgen
Shafiq, Ruhel und Monir ihrem Freund Asif von Birmingham nach Pakistan, um an
dessen Hochzeit teilzunehmen. Da es bei den Feierlichkeiten Verzögerungen
gibt, kommen die vier jungen Männer auf die grandiose Idee, einen Abstecher
nach Afghanistan zu machen. Die naive Erwartung, sie könnten der einheimischen
Bevölkerung zu Hilfe kommen, wird schnell enttäuscht. "Als wir
die Grenze überquerten, schien alles ganz normal", erzählt Asif
im Interview. "Es schien nicht einmal, als würden wir ein anderes
Land betreten. Doch mit unserer Ankunft ergab sich ein völlig neues Bild."
Die amerikanischen Bombardements auf die Taliban-Stellungen in der Region um
Kandahar im Süden Afghanistans haben gerade ihren Höhepunkt erreicht;
an humanitäre Hilfe ist nicht zu denken. Nach zwei Wochen in Kabul landen
die vier im falschen Bus, der sie, statt zurück nach Pakistan, weiter in
Richtung der Frontlinien transportiert, Monir geht in den Kriegswirren von Kunduz
verloren. Die übrigen drei werden im November 2001 von den vorrückenden
Truppen der Nordallianz zusammen mit fliehenden Talibankämpfern aufgegriffen
und dem amerikanischen Militär übergeben.
Der Fall der sogenannten Tipton Three Asif, Shafiq
und Ruhel machte 2004 international Schlagzeilen. Über zwei Jahre lang
wurden die drei Briten im amerikanischen Internierungslager Guantánamo
Bay festgehalten, bis man sie schließlich aus Mangel an Beweisen freilassen
mußte. Alles, was man gegen sie vorzubringen hatte, war eine englische
Strafakte wegen einiger kleinkrimineller Delikte und das grobkörnige Video
einer iranischen Demo aus dem Jahr 2000, auf der Osama Bin Laden zugegen war
- und laut CIA auch einer der Briten (als könnte der amerikanische Geheimdienst
einen Muslim vom anderen unterscheiden). Als der britische Regisseur Michael
Winterbottom von den drei Männern aus Tipton bei Birmingham hörte,
entschloss er sich spontan, einen Film über ihre Erfahrungen in Guantánamo
Bay zu machen.
Der zusammen mit Ko-Regisseur Mat Whitecross realisierte
Film, "Road to Guantánamo", erlebte auf der diesjährigen
Berlinale unter frenetischem Beifall seine Premiere. Die Berlinale ist immer
wieder gut für solcherlei deklamatorische Bekenntnisse. Nicht erst seit
dem Antritt von Dieter Kosslick steht sie in dem Ruf, von den drei großen
A-Festivals (Cannes, Venedig, Berlin) das politischste zu sein. Diese Haltung
hat auch etwas Penetrantes, und Winterbottoms Film, zweifellos mit hehren Absichten
(und der finanziellen Hilfe des britischen Senders Channel Four) gestemmt, ist
ein gutes Beispiel für diese Form der politischen Selbstverortung. Erwartungsgemäß
gab es auf der Berlinale jede Menge Schulterklopfer und zur Krönung den
Silbernen Bären (den Goldenen Bären hatte Winterbottom sich bereits
zwei Jahre zuvor mit dem Flüchtlingsdrama "In
this World" geholt). Die Filmwelt
war mit sich im Reinen.
Zusätzliche Brisanz erhielt "Road to Guantánamo"
wenige Tage darauf, als die Darsteller des Films sowie zwei der Tipton Three
bei der Einreise nach England von den britischen Behörden in Gewahrsam
genommen wurden und für einige Stunden Erniedrigungen und peinliche Fragen
über sich ergehen lassen mußten. Die britische Regierung tat diesen
Zwischenfall als Routineüberprüfung ab, aber das Vorgehen der Grenzer
und ihre Verhörmethoden ließen auf einen Akt polizeilicher Willkür
schließen. Unter anderen wollten die Beamten von den pakistanisch-stämmigen
Schauspielern wissen, ob sie vorhätten, in Zukunft mehr politische Filme
zu drehen.
Ein faires Urteil über "Road to Guantánamo"
fällt unter diesen Umständen schwer. Alles Filmische, Ästhetische,
selbst das Formale wird von seinem Thema überschattet. Das allein macht
Winterbottoms Film nicht per se problematisch, aber es verstellt bereits im
Vorfeld alle von Winterbottom nicht intendierten Rezeptionsmöglichkeiten.
Wenn der Regisseur in Interviews immer wieder betont, er habe einfach nur "eine
ganz konkrete Geschichte" erzählen wollen, ist Vorsicht geboten. Mit
"In this World" hatte das zum Teil noch funktioniert. Winterbottoms
pseudodokumentarische Spielszenen halfen, eine abstrakte politische Bedrohung,
die "Festung Europa", unmittelbar erfahrbar zu machen und den toten
Körpern in den Containern von Dover oder an den Grenzzäunen von Melilla
sozusagen eine (wenn auch fiktive) Geschichte zuzuschreiben.
Die Geschichte der Tipton Three hingegen ist bekannt
- "konkret", in den Worten Winterbottoms. Sie ist ein Skandal, eine
Menschenrechtsverletzung sondergleichen und eine Bankrotterklärung der
Demokratie. Die Aussagen von Asif, Shafiq und Ruhel sind immens wichtige Zeugnisse,
um Guantánamo Bay nicht nur als Politikum, sondern auch als menschliche
Tragödie begreiflich zu machen. Eine Erfahrung, die Schmerz und Traumata
nach sich zog. Das Politische ist hier vom Persönlichen nicht zu trennen,
und dennoch erfordern beide differenzierte Betrachtungsweisen. Genau hierin
versagt "Road to Guantánamo".
Winterbottom kann sich der Empörung des Zuschauers
gewiss sein, doch über diese Empörung hinaus scheint ihn kaum etwas
zu motivieren. Er begnügt sich in erster Linie damit, das spärliche
Bildmaterial, das von Guantánamo Bay existiert, lebhaft auszuschmücken,
als vermittele schon die bloße Abbildung von bereits ins Reich der Populärmythen
eingegangenen Folteringredenzien (die orangefarbenen Sträflingsanzüge,
die Hundezwinger, Heavy-Metal-Beschallung, Koranschändung) die letzte Erkenntnis
über das Skandalon Guantánamo Bay. Für die politischen Zusammenhänge
hingegen scheint sich Winterbottom nicht sonderlich zu interessieren. Statt dessen
hat er außerhalb von Teheran einen originalgetreuen Nachbau von Camp X-Ray
und Camp Delta errichtet.
"Road to Guantánamo" scheitert in
doppelter Hinsicht: als Augenzeugenbericht dreier ehemaliger Guantánamo-Häftlinge
- weil Winterbottom (im Gegensatz zu einem Humanisten wie zum Beispiel Claude
Lanzmann) kein Vertrauen in die Überzeugungskraft ihrer Geschichte hat
und der Versuchung nachgibt, die zweijährige Odyssee der Männer größtenteils
von Darstellern nachspielen zu lassen. So sind die Vorzeichen in "Road
to Guantánamo" plötzlich verkehrt. Nicht mehr die Bilder verleihen
den Aussagen von Asif, Shafiq und Ruhel Gewicht, sondern vereinzelt eingestreute
Interviewpassagen müssen dafür herhalten, den fiktiven Spielszenen
Authentizität zu verleihen. Das geht gründlich schief, weil Dokumentation,
Fiktion, Rekonstruktion und Nachrichtenmaterial irgendwann kaum mehr auseinanderzuhalten
sind – und Winterbottom darüber hinaus alles gleichermaßen mit einer
hochdramatischen musikalischen Soße untermalt.
Ebenso wenig funktioniert "Road to Guantánamo"
als Kritik, weil der Film im dramatischen Korsett eines Fernsehspiels nie über
seine "konkrete Geschichte" hinausweist. Daran ändern auch die
eingestreuten Nachrichtenschnipsel, die Wackelkamera und die hektischen "Action"-Szenen
wenig. Winterbottoms dubiose Methoden schaden nicht nur der Grundintention seines
Films, Empathie für die Opfer des "War against Terror" zu entwickeln.
Ärgerlicher ist, dass auch die notwendige Reflexion der politischen und
rechtlichen Umstände von Guantánamo Bay im Laufe des Films rapide
an Fallhöhe verliert. So verpasst er nicht zuletzt die Gelegenheit, eine
grundlegende Kritik an Folterpraktiken - egal ob an Dschihad-Kriegern oder Zivilisten
erprobt - zu üben. Winterbottom argumentiert wie liberale Kritiker der
Todesstrafe: Guantánamo Bay ist nicht gut, weil es auch Unschuldige treffen
könnte.
Weil Winterbottom sich den unbequemen Fragen - allem, was über den politischen Konsens (oder schlicht: den gesunden Menschenverstand) hinausgeht - verweigert, bleibt "Road to Guantánamo" als Kritik wirkungslos. Sein Film ist nicht mehr als ein Akt ziviler Selbstvergewisserung, der Aufstand eines Anständigen. Und darin in letzter Konsequenz auch ein typisches Produkt seiner Zeit: symptomatisch für eine Öffentlichkeit, die politische Diskussionen allzu bekenntnishaft um der eigenen Positionierung willen führt.
Andreas Busche
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Konkret
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Road
to
Großbritannien
2006 - Originaltitel: The Road to Guantánamo - Regie: Michael Winterbottom,
Mat Whitecross - Darsteller: Rizwan Ahmed, Farhad Harun, Waqar Siddiqui, Arfan
Usman, Shahid Iqbal, Adam James, Jason Salkey - FSK: ab 12 - Länge: 95
min. - Start: 21.9.2006
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