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Robert Altman's Last Radio Show
Täuschungsmanöver
Ein versöhnter, in vielerlei
Hinsicht rühmlicher Abschied: "Robert Altman's Last Radio Show".
Kulturpessimistisch, trotz seines bittersüßen Beiklangs, der ohne
falsche Zugeständnisse ist
Wenn man Robert Altman eins nie
vorwerfen konnte, dann, dass er eine sentimentale Ader gehabt hätte. Zu
groß war sein Misstrauen gegenüber dem, was soziale Gemeinschaften
oberflächlich zusammenhielt: Glamour, Macht, bürgerliche Ideologien,
politische Gesinnung, selbst der Glaube an die Vernunft. Darin blieb Altman
bis zum Schluß ein Pessimist. Seine Ensemblefilme der siebziger und neunziger
Jahre (die Achtziger waren für Altman wie für viele seiner New Hollywood-Kollegen
ein schwarzes Loch) untersuchten in ihrer dissonanten Vielstimmigkeit jene Kräfte
und heimlichen Übereinkünfte, die als sozialer Kitt für die von
ihm portraitierten Milieus und Gesellschaften dienten. Altmans kultivierter
Zynismus wurde zu einem Markenzeichen, aber das Fehlen einer autoritären
Stimme bewahrte seine Filme auch vor den Irrtümern festgefahrener Erfahrungsbilder.
Jeder Missklang zeigte in Altmans Filmen zugleich neue Möglichkeiten und
Wege auf, und wenn bloß in Form negativer Utopien.
Als “A Prairie Home Companion“
auf der letztjährigen Berlinale seine Premiere erlebte, wurde er von der
Kritik recht gefällig aufgenommen. Altman sei im Alter milde geworden,
lautete das einhellige Urteil. Ein halbes Jahr später, “A Prairie Home
Companion“ war in den USA längst angelaufen, starb Altman 81-jährig,
und plötzlich stand dieser für ihn so untypische Film mit seinem ganz
und gar unpraktischen Hang zur nostalgischen Verklärung als letztes Vermächtnis
im Raum. Eine glückliche Fügung ist es da, dass Altmans Film erst
posthum unter dem etwas missverständlichen Titel „Robert Altman's Last
Radio Show” in die deutschen Kinos kommt. Denn Altmans Letzter ist in vielerlei
Hinsicht ein rühmlicher Abschied: kulturpessimistisch wie eh und je, aber
mit einem bittersüßen Beiklang; versöhnlich, ohne den falschen
Leuten Zugeständnisse zu machen; konservativ in seiner Kenntnis der bedeutenden
Dinge im Leben, für die es sich morgens noch aufzustehen lohnt (und die
bald schon nicht mehr sein könnten).
Country Music gehört zu diesen
Dingen, allerdings nicht die Sorten, die Altman in „Nashville“ noch genüsslich
in den Dreck gezogen hat. In „Nashville“ ist ihm nichts heilig gewesen; jede
menschliche Regung musste an diesem
groteskem Ort zur Farce verkommen. Es war Altmans
pessimistischster Film, steckengeblieben in einer leeren Bewegung, weil selbst
die traurigen Balladen über Einsamkeit und Sehnsucht von kostümierten
Clowns gesungen wurden. Dreißig Jahre später hat Altman mit “A Prairie
Home Companion“ nun doch sein Herz für den Country entdeckt - in der ‚Old
Timey Music’ des amerikanischen Mittelwestens, in der noch ein Rest kommunitaristischen
Gemeinsinns überlebt hat. Die Cowboy-Songs in “A Prairie Home Companion“
fungieren als Stimmen aus der Vergangenheit; nicht im Sinne einer oral history, sondern als nostalgische
Projektion. Nostalgie steht im amerikanischen Kino gerade wieder hoch im Kurs,
und “A Prairie Home Companion“ bedient sich ihrer schamlos. Nur sollte man von
Altman kein tröstendes Schulterklopfen erwarten. Er stellt solchen eskapistischen
Affekten lieber die Kraft des Performativen entgegen.
In Garrison Keillor hat Altman
einen Verbündeten gefunden. Keillor produziert seit über dreißig
Jahren eine erfolgreiche Radiosendung, die das Vergangene, Authentische und
Parochiale genauso beschwört wie sie die Eigenarten von Kleinstadt-Amerika
durch den Kakao zieht. “A Prairie Home Companion“ basiert auf der gleichnamigen
Radioshow Keillors und auf dessen Drehbuch. Lake Wobegon heißt das fiktive
Städtchen in Minnesota, aus dem Keillor, ein Master of Ceremony alter Schule,
jede Woche Anekdoten zum Besten gibt. Hier scheint die Zeit in den Vierziger
Jahren stehengeblieben zu sein. Die Werbespots, von Keillor mit musikalischer
Unterstützung seiner Hausband vorgetragen, preisen fiktive Artikel aus
lokaler Produktion an, und die Charaktere sind so kauzig wie Keillor selbst,
dessen breiter Akzent klingt, als würde er jeden Vokal erst zerkauen, bevor
er ihm über die Lippen kommt. Auf den ersten Blick scheinen Altman und
Keillor, der sich im Film selbst spielt, eine unmögliche Paarung. Doch
die beiden haben eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe und sind außerdem
großartige Geschichtenerzähler.
Die Betulichkeit ist ein elegantes
Täuschungsmanöver. Denn so billig ist Nostalgie bei Altman nicht zu
haben. Die Sehnsucht nach dem Vergangenen führt in “A Prairie Home Companion“
immer wieder Vergänglichkeit vor Augen. Der Tod ist im Film allgegenwärtig:
als Abschied von der Geschichte und alten Freunden, im Aussterben einer überlieferten
Kultur, dem Ende familiärer Enklaven und in der Figur eines blonden Todesengels,
der durch den Film geistert. Die traurige Schlusspointe, könnte man sagen,
hat Altman schließlich selbst gesetzt.
Auch Keillor scheint das Spiel
mit der (eigenen) Vergänglichkeit weidlich auszukosten. “A Prairie Home
Companion“ schildert die letzte Ausstrahlung seiner gleichnamigen Radioshow.
Ein texanischer Medienkonzern hat das Fitzgerald Theater in St. Pauls, Minnesota,
aus dem Keillor seit 1974 sendet, aufgekauft und „Prairie Home Companion“ für
immer gecancelt. Wehmütig bereitet sich Keillors Truppe auf die letzte
Sendung vor. Resignation und Existenzängste machen sich unter seinen Mitarbeitern
breit, von denen viele von Beginn an dabei sind. Wie die Garderobenfrau, die
der Crew seit dreißig Jahren die Brote schmiert. Oder der alte Cowboy
Chuck Akers, dessen Herz mitten in der Show einfach zu schlagen aufhört.
Altman hat auch auf Leute aus der Show zurückgegriffen, fiktive wie echte.
Die Musiker natürlich, und Tom Keith, Keillors Mann für handgemachte
Geräuscheffekte. Oder den Privatschnüffler Guy Noir, eine Schöpfung
Keillors. In „A Prairie Home Companion“ übernimmt er die Rolle des nicht-wissenden
Erzählers: ein Westentaschen-Marlowe, der sich ständig selbst im Weg
steht. Kevin Kline hat solche Figuren schon öfters gespielt, aber selten
besser.
Altmans Gemeinschaftssinn und
das Todesmotiv fügen sich in „A Prairie Home Companion“ zu einer interessanten
Dialektik, die seinen Film von jedem Verdacht romantischer Verklärung enthebt.
Keillor wirkt dem persönlich entgegen, wenn er nach der Nachricht vom Tod
Chucks darauf beharrt, die Sendung bis zum Ende durchzuziehen. „Ich halte nichts
von Grabreden,“ meint er einmal. Auf die Frage, ob er nicht auch wolle, dass die Menschen
sich einmal an ihn erinnern, entgegnet er: „Ich will nicht, dass ihnen jemand
vorschreibt, sich an mich zu erinnern.“ Die Erinnerungsleistung, die Altman
hier anstrebt, hat nichts vom konservatorischen Gestus bürgerlicher Kultur.
Es geht ihm weder um identitäre Selbstvergewisserung noch um verzagte
Larmoyanz - sondern die Wertschätzung eines alten Wissens um kulturelle
Praktiken. Keillors Live-Radio hat diese ganz besondere Qualität, die Altman
schon in dem sträflich unterschätzten „The Company“ fasziniert hat:
Es verfügt über ein soziales Gewebe, in dem die Performanz kultureller
Produktion noch im Spiel zwischenmenschlicher Dynamiken aufgewertet wird. Wie
in seinem Film über das Chicagoer Joffrey Ballet hat Altman nach anderen
Möglichkeiten der Performance gesucht, jenseits der strengen Formen des
narrativen Films.
Als Hommage an die Frühzeit
des Radios bleibt „A Prairie Home Companion“ auch stilistisch dem alten Format
mit seinen halb-improvisierten Comedy-Einlagen und Country-Songs treu. Altmans
Film lebt von der Verve seiner Darsteller; ohne sie wäre „A Prairie Home
Companion“ nicht mehr als eine leere Geste. In den letzten Jahren ist Altman
das nicht immer gelungen. Während Ensemblefilme wie „Gosford
Park“ oder
„Prêt-à-Porter“ in ihrer panoramischen Breite eher zerrissen wirkten,
ist es nun umso bemerkenswerter, wie die Vielstimmigkeit in „A Prairie Home
Companion“ zu harmonischer Übereinkunft findet. Meryl Streep und
Lily Tomlin spielen die überlebenen Schwestern einer Musiker-Dynastie („...wie
die Carter Family, nur nicht so berühmt.“). Tochter Lola (Lindsay Lohan)
hat mit dieser Tradition nichts mehr am Hut, aber am Ende steht sie doch mit
ihrer Mutter auf der Bühne und singt – ein Lied über Selbstmord. Die
singenden Cowboys Dusty (Woody Harrelson) und Lefty (John C. Reilly) haben dagegen
ein Faible für versaute Lieder und schlechte Witze, mit denen sie es nie
in die Grand Ole Opry schaffen werden. Und in all dem Trubel versucht G.K.s
hochschwangere Aufnahmeleiterin Molly (Maya Rudolph) verzweifelt, die letzte
Sendung reibungslos über die Bühne zu bringen.
Ed Lachmans Kamera ist dabei ständig
in Bewegung, hebt die Grenzen von Backstage und Studio, Hinter-den-Kulissen-Chaos
und Inszenierung mühelos auf. Wie eine Sonde gleitet sie durch die Räume
des Fitzgerald Theaters, schnappt Gespräche auf, verweilt kurz bei den
Figuren und verliert sich immer wieder in den verwinkelten, schummerigen Gängen.
Es sind die Bewegungen Guy Noirs, die sie imitiert. Klines Detektiv-Figur mit
dem sinnigen Namen ist der einzige in „A Prairie Home Companion“, der des Todes
habhaft zu werden versucht: Der schöne Todesengel im weißen Trenchcoat
(Virginia Madsen) hat es ihm angetan. Was ihm jedoch eine erotische Obsession,
ist Altman eine morbide. Diese schizoide Todessemantik durchzieht den Film wie
eine düstere Vorahnung, fast als hätte Altman erst mit seinem Tod
endgültig mit „A Prairie Home Companion“ abgeschlossen.
Es ist kein Grund zur Traurigkeit.
In einer letzten prophetischen Anwandlung hat Altman sich bereits von seinen
Fans verabschiedet, lange bevor die Schlusscredits ablaufen. „Der Tod eines
alten Mannes,“ sagt die mysteriöse Schönheit im Trench, „ist keine
Tragödie. Vergebt ihm seine Unzulänglichkeiten und dankt ihm für
seine Liebe.“ Wenn Altman einen Trost für uns bereithält, dann den,
dass er in seinen Filmen weiterleben wird.
Andreas Busche
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der taz
Zu diesem Film
gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Robert
Altman's Last Radio Show
USA
2006 - Originaltitel: A Prairie Home Companion - Regie: Robert Altman - Darsteller:
Garrison Keillor, Meryl Streep, Kevin Kline, Tommy Lee Jones, Lily Tomlin, John
C. Reilly, Woody Harrelson - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge:
105 min. - Start: 12.4.2007
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