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Rocky
IV - Der Kampf des Jahrhunderts
Seit
Jahr und Tag bastelt Sylvester Stallone an einer Privatmythologie. Schlüsselvorstellungen
darin sind: Der Held wird mehr oder weniger ausgezogen und bis aufs Blut gequält.
Ihn treffen nicht nur körperliche Pein, sondern auch emotionale Verluste.
Dann invertiert sich das Problem. Stallone quält sich selbst. Am Ende hat
er sich, hat er seinen Körper in eine Maschine verwandelt, genauer gesagt
in eine Kampfmaschine, siegend, weil unfällbar, gelingt es dem Helden,
sozial zur Kenntnis genommen zu werden.
Je
perfekter Stallone dieser Privatmythologie Ausdruck verleiht, je souveräner
er über die Mittel verfügt, sie zu erzählen, desto mehr verschwimmen
die Grenzen zwischen dem Stallone-Mythos und dem Amerika-Mythos der Reagan-Ära.
Stallones Privatmythologie funktioniert umso reibungsloser, je mehr sie sich
mit „Propaganda" auflädt. Und das wiederum muß sie tun, weil
sie zur stetigen Steigerung verdammt ist. Die Widersacher werden immer unmenschlicher,
und während die Grenzen der USA überschritten werden, wird Stallone
für den Rest der Welt zu einem Symbol der aggressiven politischen Dummheit
Amerikas in diesen Tagen.
Die
Rocky-Sage umschließt auch eine Verlagerung des Rassismus von innen nach
außen. Die Schwarzen werden akzeptiert, und das umso mehr, als sie im
Sinne der aktuellen Wirtschaftsphilosophie erfolgreich sind, ja, es wird der
schwarze Anteil an der popular culture gewürdigt, solange er mit der geforderten
Dosis von Patriotismus verkauft wird. Statt dessen entstehen die neuen rassischen
Feindbilder außerhalb der USA-Kultur, oder alte werden reaktiviert.
ROCKY
IV treibt die „frontier" voran bis nach Sibirien und Moskau. Das hat gegenüber
dem Weltraum den Vorteil, mit etwas real Existierendem zu tun zu haben, auch
wenn man sich nicht die geringste Mühe macht zu erfahren, was das eigentlich
sei.
Rocky
ist nun schon ein wenig alt geworden, ein family
man,
der gern mit seinen Kindern flachst und in seinem einstigen Gegner einen Freund
fürs Leben gefunden hat. Seinem Schwiegervater schenkt er einen Roboter,
der den Träumen der Jetsons aus den fünfziger Jahren entsprungen scheint.
Man hat schon jahrelang keinen Kampf mehr bestritten.
Da
erreicht ein russischer Boxer die USA, den üblichen Troß aus Politniks
und Mördervisagen im Gefolge. Ein Muskelhühne ist das, ein Sport-Homunkulus,
jedenfalls kein Mensch mehr. Er ist nur zu knappen Sätzen fähig wie
„I Will Win" oder „You Will Be Destroyed".
Nicht
Rocky, sondern sein schwarzer Freund ist es, der die Herausforderung annimmt.
Es soll ein Schaukampf stattfinden, dessen äußerliche Begleiterscheinungen
in merkwürdigem Widerspruch zu der Philosophie des Kämpfers stehen,
der sich selbst als „Krieger" sieht, der nur im Kampf lebt. Schon bei der
Pressekonferenz wird deutlich, daß von amerikanischer Seite vieles Show
ist, selbst die politischen Provokationen. Diese Art, sich zu verkaufen, verstehen
die Russen nicht und werden entsprechend böse.
Der
Kampf selbst wird eingeleitet von einer gewaltigen Show-Orgie. James Brown wirbelt
noch einmal über die Bühne, und der schwarzamerikanische Hero steigt
als glitzernder Uncle Sam in den Ring. Nur kurz ist
der Russe irritiert, ein wenig wie ein Tier im Käfig vor allzu vielen Blitzlichtern.
Dann nimmt er den Kampf auf, und es wird blutig ernst. Er schlägt seinen
Kontrahenten tot.
Rocky
selbst ist an diesem Tod nicht ganz unschuldig. Er hat gezögert, das Handtuch
zu werfen, als schon abzusehen war, daß sein Freund diesen Kampf nicht
überstehen würde. Es war ein Versprechen unter Männern, unter
Kriegern. Und dieses Versprechen drängt nun Rocky dazu, den Kampf fortzusetzen.
Die
Gegenseite besteht darauf, daß der Kampf in Rußland stattfindet.
Rocky fliegt nach drüben, mit seinen alten Freunden und einmal mehr getrennt
von seiner Frau. (Frauen verstehen eben nichts von Kriegern.) Er wird in eine
gottverlassene Gegend gebracht; zwei Wächter in einem schwarzen Mercedes
immer auf den Fersen. In einer Holzhütte in Sibirien, ohne jegliche Hilfsmittel,
trainiert er, schindet sich, bereitet sich auf den Kampf seines Lebens vor.
Währenddessen wird auch sein russischer Gegner, der zwei Meter große
blonde Box-Zombie, auf den Kampf vorbereitet. Doch wie anders geschieht dies.
Er hängt an Apparaten, Computer steuern sein Training, Wissenschaftler
sind um ihn; seine Trainingsgeräte ähneln modernen Industrierobotern,
und schließlich wird auch nicht vergessen zu zeigen, daß er mit
Spritzen fit gemacht wird.
Rocky
statt dessen ist im fernen Sibirien zum Ursprung, zu seinem Körper zurückgekehrt.
Er stemmt Steine, zieht Schlitten, erklimmt Berge, wuchtet Holzstämme.
Auch seine Frau ist mittlerweile angekommen. (Wenn sie auch nichts von Kriegern
verstehen, die Frauen, sie lieben sie eben doch.) Dann kommt der Tag des Kampfes.
Und er besteht wieder aus einer mörderischen Schlägerei mit dramatischen
Pausen. Das Publikum sieht aus wie auf einer Parteitagsveranstaltung; sogar
ein Gorbatschow-Look-alike ist anwesend. Die Farbe Rot hat doppelte Bedeutung.
Rocky ist in Feindesland. Er ist zugleich aber auch in der Hölle. (Erinnern
wir uns an den Kampf in Amerika: hier herrschten die hellen Farben, das wolkige
Blau vor; der schwarze Kämpfer selbst stieg aus dem Himmel in den Ring,
singend, tanzend, lachend.)
Zu
lachen gibt es nun nichts mehr. In einem Meer von Blut, Schweiß und Tränen
beweist Rocky erneut, daß er zu siegen vermag, weil er sich schlagen lassen
kann, weil er den Schmerz zu besiegen weiß. In der letzten Runde gewinnt
er, nachdem er von seinem Gegner den ersten menschlichen Satz gehört hat:
„Laß uns ein Ende machen". Und das Publikum, das vorher so feindselig
war (natürlich besteht es zum großen Teil aus Uniformierten), hat
sich auf seine Seite geschlagen. Sogar Gorbatschow bequemt sich zu verhaltenem
Applaus.
Rocky
hat auch eine Schlußbotschaft. Sie hätten ihn nun kennengelernt und
er sie, nachdem sie sich vorher nicht leiden konnten. Und es sei besser, daß
sich zwei Leute im Ring bekämpften als die Völker im Krieg. Rocky
also hat Moskau erobert, indem er einen russischen Zombie zum Menschen geprügelt
hat und das Publikum davon überzeugte, daß er schon vorher einer
war. Daß das Moskauer Publikum das Stallone-Genuschel versteht, das mit
dem Begriff Sprache nur ungenau bezeichnet ist, gehört zu den Wundern amerikanischer
Überzeugungsarbeit.
Die
Fähigkeit der amerikanischen Kultur zur Ignoranz ist schier grenzenlos.
Und nicht viel weniger grenzenlos ist ihre Begabung, Brutalität mit Wehleidigkeit
zu verbinden. Aber ROCKY IV ist zugleich die Erfüllung eines amerikanischen
Traums wie eine unruhige Wende darin. Ein Mythos der Körperlichkeit, der
Fitneß um jeden Preis, beginnt in sich zu rotieren, womöglich auf
der Suche nach seinen verlorenen Ursprüngen. Was noch in anderen Filmen
gepriesen wurde, die Verwandlung des Körpers in die erotisch-maschinelle
Uberlegenheit, was am Beginn des Stallone-Mythos stand, das wird hier zumindest
einer neuen Interpretation unterworfen. Der blonde russische Kämpfer ist
nichts anderes als ein Schreckbild, das direkt aus den Fitneß-Centern
Kaliforniens entstammen könnte. Möglicherweise mußte sich Stallone
hier gegen seinen Rivalen und Gegen-Mythos Arnold Schwarzenegger verteidigen.
Raffiniert, daß er ihn als Russen verkleidet!
Zwei
Konzeptionen der neuen Körper-Barbarei treffen hier aufeinander: die natürliche
und die maschinelle Version. Es gewinnt die natürliche durch einen alles
andere als technischen KO.
Mitten
im Kampf entdeckt der russische Homunkulus plötzlich seine Seele. Ich kämpfe
für mich, schreit er blutend seinen Schöpfern entgegen. Und erst in
dieser (amerikanischen) Einsamkeit wird er zu einem lebenden Wesen. Die Kamera
sieht ihn nun anders, nicht mehr von unten als fleischgewordenes Monstrum eines
Körper-Fetischisten mit einem Touch von Sozialistischem Realismus. Sie
gestattet uns nun Mitleid mit ihm. Im nächsten Film ist er vermutlich Stallones
Freund. Gegen wen werden sie sich wenden?
Georg
Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd Film 2/86
Rocky
IV
Der
Kampf des Jahrhunderts
ROCKY
IV
USA
1985. R und B: Sylvester Stallone. K:
Bill Butler. Sch:
Don Zimmerman, John W. Wheeler. M.-
Vince DiCola. Ba:
Bill Kenney. A: Rick T. Gentz, Marti Wright. Ko: Tom Bronson. Pg.- United Artists.
Gl.- James D. Brubaker, Arthur Chobanian. P: Irwin Winkler, Robert Chartoff.
V: UIP. L: 2508 m (92 Min.). FSK.- 16, ff.. St: 13.2.1986. D: Sylvester Stallone
(Rocky Balboa), Talia Shire (Adrian), Burt Young (Paulie), Carl Weathers (Apollo
Creed), Brigitte Nielsen (Ludmilla Drago), Tony Burton (Duke), Michael Pataki
(Nicolai Koloff), Dolph Lundgren (Drago), R.J. Adams (Ansager), Rocky Krakoff
(Rocky Junior).
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