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Ein
charmantes französisches Beziehungsdrama, ja gibt’s denn so was! Rois
et Reine,
der jüngste Film von Arnaud Desplechin, arbeitet sich mit unerträglicher
Leichtigkeit zweieinhalb Stunden lang an zwei Menschen ab, die nicht mehr viel
miteinander zu tun haben.
Zuerst
hören wir Moon
River,
schwärmerisch und behäbig auf einer Gitarre gezupft, sehen Nora, eine
Frau von Welt, wie sie sich gewandt und strahlend durch ein sonniges Paris bewegt,
in parallel daran montierten Schnipseln versonnen ihre bisherigen Liebschaften
in die Kamera kommentiert, danach in einer exklusiven Kunsthandlung ein Geschenk
für ihren Vater besorgt.
Bürgerweh
Wir
könnten mit gutem Recht annehmen, wir wären bei Claude Sautet gelandet:
In jenem großbürgerlichen Kino-Frankreich, für das Schwärmerei
über Rotweine, das Ersteigern schicker alter Kommoden, das Fahren von Segelbooten
und das beiläufig elegante Anzünden von Zigaretten mindestens ebenso
sehr Les
Choses de la Vie,
die (essentiellen) Dinge des Lebens sind, wie die thematisierten Grundsatz-Entscheidungen
und Sinnkrisen. In einem solchen Klima der Faszination fürs schönen
Leben kommt die melodramatische Anklage von vergeudeter Zeit, Lebenslügen
und Charakterschwächen zwangsläufig nicht über als Gewissenbisse
getarntes Selbstmitleid hinaus.
Auch
in Rois
et Reine
kann das bürgerliche Subjekt das stille Vergnügen an seiner Qual und
den damit einhergehenden Selbstbespiegelungen nie ganz leugnen. Aber wie z.B.
Werke von André Téchiné, so erschöpft sich auch dieser
Film nicht in seinen gelegentlichen gespreizten Annäherungen an ein narzisstisch
bourgeoises Klischee des französischen Films. Wenn hier Sympathien und
hartes moralisches Urteil einander in die Quere kommen (wie in einer Sequenz,
wo über einen der Hauptcharaktere ernst und unversöhnlich aus dem
Jenseits der Stab gebrochen wird), hat das weniger mit dem feigen, wohligen
Schauer zu tun, den es uns bereitet, uns ab und zu zwecks Gewissensberuhigung
gesellschaftskritisch die Leviten lesen zu lassen, als mit dem aufrichtigen,
schizophrenen Humanismus von Jean Renoirs La
Règle du Jeu:
"Das Schreckliche ist, dass jeder seine Gründe hat", und zwischen
Moral und Sympathie vermittelt eben nichts, wenn man ehrlich ist.
Königsdrama
"Zwei
Märchen" erzähle dieser Film, so drückte es Desplechin aus,
als er ihn im Rahmen der VIENNALE 04 vorstellte. Nora (Emanuelle Devos - nüchtern
gesagt: brillant), eine bezaubernde Schneekönigin, verwitwet, aber Regentin
mit fester Hand in ihrem Leben, ihr Kind in die Obhut des Großvaters abgeschoben,
ihr neuer Buhler ein Edelmann, arrangiert eine Hochzeit als glimpfliches, wenn
schon nicht glückliches Ende für ihre Geschichte. Da kommt die tödliche
Erkrankung des Vaters dazwischen. Ismaël (Mathieu Amalric - vorsichtig
ausgedrückt: wunderbar), ein übermütiger, launenhafter König,
wird aufgrund einer Hofintrige in eine psychiatrische Anstalt zwangsexiliert,
wo er sich mit Schwung ein neues Reich aufbaut. Als er entlassen wird, macht
er sich auf die Suche nach den Intriganten.
Nora
und Ismaël waren einmal ein Paar. Dieser "Sachverhalt" konstituiert
die Form von Rois
et Reine.
Sie treffen im Lauf des Films - zumindest in dessen dominanter "Gegenwart"
- nur zwei Mal aufeinander und ihre Handlungsstränge verschmelzen nie wirklich
zu einem. Und doch werden ihre jeweiligen Geschichten parallel erzählt,
nebeneinander gestellt, als gäbe es ein dauerhaftes Band zwischen ihnen,
eine emotionale Bindung, die diese Montage dann auch für uns herstellt.
Der
Film ist durch Inserts in zwei etwa gleich lange Teile und einen Epilog gegliedert,
und die Handlung zerfällt ihrerseits durch die Parallelführung der
Stränge Noras und Ismaëls in einen eher dramatischen Teil rund um
Nora und einen leichtfüßigeren, komödiantischen um Ismaël.
Entgegen
dieser Strukturierung und einiger anderer Feinheit im Aufbau ist Rois
et Reine
alles andere als streng, und in der Masse seiner (nicht selten tragischen und
ambivalenten) Geschehnisse ebenso wenig niederdrückend.
Ganz
im Gegenteil: Rois
et Reine
ist aus Luft gemacht, könnte immer so weiter gehen. Dieser Film ist zweieinhalb
Stunden lang in Bewegung – und dabei ändert
sich auch immer etwas – und doch explodiert er weder in die Breite verästelter
Subplots noch in übermäßig kühne Wendungen und Drehungen.
Selbst die abenteuerlichste Episode bleibt im Rahmen einer der beiden Erzählungen,
um die es hier geht, und die in leicht wackeligen, sehr dynamischen Kamerabewegungen
vorwärts treiben, unbeirrbar, aber ohne übertriebene Hast. Nachher,
wenn man sich besinnt, merkt man dann erst richtig, wie formal agil dieser Film
mit seinen Rückblenden, Totenerscheinungen, Bewegungsausbrüchen und
Off-Kommentaren war.
Diese
Leichtigkeit mag die Quintessenz eines Films sein, der erzählt vom Leben,
"wie es wäre, wenn wir Königinnen und Könige wären"
(Desplechin). Die "Märchenhaftigkeit" dieses Films verweist somit
nicht auf Schwarzweißmalerei und sichere Wunder in der Not, auch nicht
so sehr auf Urängste und -sehnsüchte und eine straff um diese organisierte
Narration, sondern auf eine Erzählhaltung zwischen Abstraktion und Drauflos-Fabulieren,
die den Schicksalen hier eine fast parabelhafte strukturelle Klarheit verleiht,
ohne das phantastisch Einfallsreiche damit auszurotten.
Am
Ende hören wir Moon
River,
sehen Nora und ein sonniges Paris. Und wir beginnen, das lebensbejahende Versprechen,
aber auch die Ambivalenz, die unbarmherzige Gleichgültigkeit der Zufälle,
zu begreifen, die sich im Märchen zu dem einen Satz anzuordnen pflegen:
Und
wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Dieser
Text ist auch erschienen bei:
Rois
et reine
Frankreich
2004
Regie:
Arnaud Desplechin
Darsteller:
Mathieu
Amalric
Nathalie
Boutefeu
Catherine
Deneuve
Emmanuelle
Devos
Maurice
Garrel
Valentin
Lelong
Noémie
Lvovsky
Jean-Paul
Roussillon
Magalie
Woch
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