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Romance
Eine Frau auf der spirituellen
und sexuellen Selbstsuche - kontroverser und komplexer Kunstfilm von Catherine
Breillat.
Die Lehrerin Marie (Caroline Trousselard)
lebt mit Paul (Thomas Sagamore Stévenin) zusammen, der zwar behauptet
sie zu lieben, aber nicht mit ihr schläft. Verzweifelt macht sich Marie
auf die Suche nach anderweitigen Abenteuern - zuerst mit einem Fremden (Rocco
Siffredi), den sie in einer Bar aufliest, später auch mit dem Direktor
ihrer Schule, Robert (Francois Berléand), von dem sie sich fesseln und
knebeln lässt. Dazwischen versucht sie Paul immer wieder zu Sex zu überreden
- doch der bleibt abweisend und verbringt seine Abende lieber alleine vor dem
Fernseher oder Bukowski lesend in einer Sushi-Bar. Als es doch zu einem kurzen
Sexualakt kommt, wird Marie schwanger, doch spürt sie eine zunehmende Lieblosigkeit
seitens Pauls - was soweit geht, dass Robert an seiner statt bei der Geburt
des Kindes anwesend ist. Doch Marie glaubt inzwischen zu sich selbst gefunden
zu haben und der Film endet in einem Akt der Befreiung.
Kritik
Catherine Breillat sind Kontroversen
über sexuellen Inhalt beileibe nicht fremd. Mit 17 schrieb sie ihren ersten
Roman, der wegen seiner sexuellen Offenheit erst ab 18 freigegeben wurde. Ihre
sieben bisherigen Filme kreisen alle um Leidenschaft und erotische Begierden,
zumeist präsentiert von einer weiblichen Ich-Erzählerin. Ihr neuester,
Romance, macht da keine Ausnahme - während ihre bisherigen Arbeiten außerhalb
von Frankreich nur geringe Verbreitung erfahren haben, gelang diesem Werk nach
Erfolgen auf Festivals auch der internationale Durchbruch. Gleichzeitig wurde
er allerdings zur cause celebre: Weniger seine Errungenschaften standen zur
Diskussion als seine sexuelle Direktheit - diverse Szenen an der Grenze zum
Hardcore erregten die Sittenwächter (in Australien etwa wurde der Film
zuerst verboten) und ließen eine Vielzahl von Kritikern den Film als prätentiös
aufgemascherlten Aufreger abschreiben - eine engstirnige Kurzsichtigkeit, die
der widersprüchlichen Komplexität von Romance beileibe nicht gerecht wird.
Schon die Eröffnungsszene
hinterfragt die Welt des Abgebildeten: Sie zeigt die Dreharbeiten zu einem Werbespot,
in dem ein Torero und ein Model für Szenen posieren. Der Torero ist, wie
wir anschliessend erfahren werden, Paul (das strategische Zurückhalten
von Information ist auch im weiteren Verlauf ein Kennzeichen dieses Films; so
erfährt der Zuschauer erst später und ganz unvermittelt von Maries
Job, als wir sie zum ersten Mal beim Unterrichten sehen). Und während die
seltsame Diskrepanz zwischen den blassen, gepuderten, sterilen Gesichtern und
den gelackten Aufnahmen zuerst prinzipiell auf Abbildungsfragen hinzuweisen
scheint, stellt sich später heraus, dass Paul auch ansonsten nicht anders
ist. In Romance verkörpert er das Prinzip
reiner Geistigkeit: Körperliche Avancen lehnt er ab, ständig vergräbt
er sich hinter Büchern und anderen Informationsquellen, seine Wohnung schließlich
ist in klinischem Weiss gehalten (in dem nur die Bilder des Fernsehers Farbtupfer
setzen), ein Anblick, der nicht zufällig eher an Laboratorien in Science-Fiction-Filmen
erinnert - hier wird die Versuchsanordnung zwischen Begierde und Vergeistigung
vollzogen, mit erschütternden Resultaten. Zwischen die Aufnahmen des Werbespots
sind Bilder einer weinenden Frau an einem Tisch vor einem Café geschnitten.
Auch hier werden wir erst anschließend erfahren, dass es Marie ist. Ihr
gehört dieser Film.
Romance lebt vom radikalen Widerspruch
zwischen Bild und Ton: Die Bilder, auch die sexuellen, spielen vor einer radikal
stilisierten Farbpalette (infolge derer auch der Sex zwischen stimulierend und
klinisch schwankt) und scheinen weniger um die Schauplätze als um die Körperlichkeit
der Personen choreographiert; auf der Tonspur erzählt immer wieder aus
dem Off Maries Stimme von ihrer Befindlichkeit, wobei auch hier der Tonfall
zwischen sexueller Direktheit und philosophischer Betrachtung schwankt - in
beiden Fällen ergeben sich auf- und abschwellende Bewegungen von Distanz
und Identifikation, die dem Film seinen zwiespältigen Charakter verleihen.
Breillat hat den Film selbst als
"Kreuzzug" der Heldin beschrieben, die "in einen Abgrund steigt,
um einen Weg des Lichts zu beschreiten". Und tatsächlich scheint der
Film (obwohl Breillat ausdrücklich verneint, dass er eine "Moral"
hat) diesem Bogen zu folgen. Zurückgewiesen von Paul (implizit wird angedeutet,
dass er nicht mit Marie schläft, um sein Bild der jungfäulichen Gattin
anstelle demjenigen einer Geliebten zu erhalten), begibt sich Marie in zunehmends
verstörendere sexuelle Begegnungen - vom Akt mit Pornostar Rocco Siffredi
über die extensiven Bondage-Sequenzen mit Robert bis zu einer Szene, in
der sie sich im Treppenhaus gegen Geld von einem Mann schlecken läßt
- und die dann so kippt, dass zwischen Vergewaltigung und Triumph nicht mehr
unterschieden werden kann, werden die Bilder dabei fortschreitend ambivalenter
und kulminieren in einer der eindringlichsten Sequenzen des Films: Während
sie von Gynäkologen untersucht wird, imaginiert Marie einen phantastischen
Raum der Zweiteilung. Schwangere Frauen liegen nebeneinander, und die jeweiligen
Körperhälften befinden sich auf verschiedenen Seiten einer Wand: Innen
liegt der Oberkörper, umgeben von Ärzten und Freunden, die andere
Seite präsentiert ihren Unterleib in einem höllischen Kreisgang, in
dem sich austauschbare Primaten abwechselnd in Hardcore-Manier an den freiliegenden
Geschlechtsteilen vergehen.
Die Trennung zwischen Körper
und Geist wird hier durch einen halluzinatorischen Effekt aus der Proportion
geworfen - das Bild verstört nicht nur durch seine explizite Natur, sondern
auch durch seine architektonische Unmöglichkeit (der innere Raum scheint
nicht kreisförmig zu sein). Und tatsächlich ist es Breillats Umgang
mit mise-en-scene und der Körperlichkeit der Schauspieler, die die Vielschichtigkeit
des Werks ausmachen - ob mit oder gegen den Willen der Regisseurin, sei dahingestellt.
Zwar wehren sich auch in der Handlung
des Films immer wieder Momente gegen die scheinbare Linearität des Ablaufs
einer weiblichen Selbstfindung (so steht dem konservativen Satz von Marie "Man
sagt eine Frau sei keine Frau, bis sie eine Mutter ist; es ist wahr" gleich
darauf der wohl härteste Anblick des Films gegenüber: Während
der Geburt verharrt die Kamera zum ersten Mal in insistierender Direktheit auf
dem weiblichen Geschlechtsteil - ein Bild, das sowohl im Stil wie auch im Konzept
des Films eine Kulmination der Widersprüche manifestiert), aber es ist
der sich gegen die - streckenweise prätentiösen - Monologe sperrende
Blick auf die Figuren, der Breillats Film eine rare Qualität verleiht.
So sprechen die Bilder von den
Persönlichkeiten eine andere Sprache als ihre Sätze und ihre Einordnung
durch Maries Kommentare. Zu sehen etwa in der achtminütigen Sexszene mit
Rocco Siffredi, die ohne Schnitt verläuft: Die Grenzen zwischen Dominanz
und Unterordnung verlaufen sich in der Hingabe. Nicht nur Dusey (die eine durchwegs
schwierge Aufgabe mit souveräner Beherrschung meistert), sondern auch Siffredi
verliert sich ganz im Akt und es entsteht eine beiderseitige Verletzlichkeit,
die jedem Pornographievorwurf Hohn spricht, ohne den Blick abwenden zu müssen.
(Die Ausnahmen sind die Szenen mit Paul - die auch als einzige ohne Off-Kommentar
verlaufen: Der Geschlechtsverkehr mit ihm, dem Konzept, ist konsequenterweise
der erbärmlichste des Films.) Breillat verschärft dieses Starren in
weitern Sequenzen; besonders geladen und ungreifbar gibt sich die bereits erwähnte
Szene, die zwischen Vergewaltigung und Verkehr schwebt. "Hure! Dir hab
ich´s besorgt!" schreit der Mann der noch immer zitternden Marie
zu, sie richtet sich leicht auf und ruft ihm nach "Ich schäme mich
nicht!"
Tatsächlich beeindruckt Breillats
Film weniger durch einen unverstellten weiblichen Blick auf den Sexualakt (das
manifestiert sich - gelegentlich zwiespältig - im gesprochenen Wort sowie
in der willkommenen Seltenheit, dass hier auch das männliche Geschlechtsteil
mit Selbstverständlichkeit nicht nur bei der Penetration präsent ist)
als durch den Rückgewinn einer komplexen, geheimnisvollen Körperlichkeit,
die eine Rohheit und unverfälschte Direktheit der Emotionen gestattet,
wie sie seit dem Tode Cassavetes kaum noch auf der Leinwand zu finden ist (etwa
in den Werken des nicht nur bei uns sträflich unterrepräsentierten
Maurice Pialat). Das gelingt zum Beispiel besonders schön in den Szenen
zwischen Marie und Robert (den Veteran Francois Berléand mit subtiler
Genauigkeit spielt): In langen, choreographierten Bewegungen werden immer kompliziertere
Verrenkungen bei den Fesselungsakten verzeichnet. Breillat gelingt es hier,
eine fragile Balance zu halten, ohne die widersprüchlichen Untertöne
aneinander zu verraten. Zum einen ist die Beziehung der beiden von einem gegenseitigen
Einverständnis getragen (nachher unterhalten sie sich gemütlich im
Restaurant bei Wodka und Kaviar), zum anderen manifestiert sich natürlich
in den Spielen eine unbehagliche Selbstaufgabe und durch das lange Beoabachten
der teilweise umständlichen Manöver eine gewisse Lächerlichkeit.
Diese komische Seite offenbart sich schon zuvor, wenn Robert damit angibt, 10.000
Frauen besessen zu haben, obwohl - oder viel mehr weil - er nicht gut aussieht.
(Auch andere Sequenzen bereits vor dem überbordenden, hochkomischen Schluss
balancieren zwischen dem
Lächerlichen und Unangenehmen, am eindrucksvollsten vielleicht in der schmähstad
absolvierten gynäkologischen Untersuchung,
die sich ins Absurde vervielfacht.)
Die Regisseurin scheint sich der
gelegentlich unfreiwilligen Komik durchaus bewußt zu sein (auch wenn sie
sich in Interviews todernst gibt, alleine der Titel des Films weist auf ihren
Sinn für Humor hin) - nicht zuletzt erinnert Romance in der Art, wie er sich vom ruhigen Blick zu einem hysterischen
Showdown (der ebenso lachhaft wie provokativ ist) entwickelt, an den großen
Meister der tabubrecherischen Komik, Luis Buñuel (neben dessen Belle
de jour
gibt Breillat einen anderen "Skandalfilm", Nagisa Oshimas Im
Reich der Sinne
als Inspirationsquelle an, in einem dritten vergleichbaren Film, der sich ernsthaft
mit Sexualität auseinandersetzt - Bertoluccis Der letzte Tango in Paris - hatte sie eine Nebenrolle). Der behielt auch ein Pokerface,
wenn er von seiner Arbeit sprach. Und so redet zwar Breillat todernst über
alchemistische Untertöne, aber was auch immer Romance letztendlich bedeuten mag - im Erschaffen einer vielschichtigen
Bildsprache setzt er sich über einfache Zuschreibungen ohnehin hinweg.
Fazit: Ein fordernder, eigenwilliger
und in seiner visuellen Genauigkeit (leider) seltener Film, dessen freizügige
Natur zweifellos Kontroversen hervorrufen wird (und damit sicher nicht jedermanns
Sache ist) - und dessen künstlerischer Erfolg zweifelsohne daneben untergehen
wird.
Christoph Huber
Dieser Text ist
zuerst erschienen bei: www.allesfilm.com
Romance
ROMANCE
Frankreich - 1998 - 99 min. - Verleih: Arthaus - Produktion: Jean-François
Lepetit
Regie:
Catherine Breillat
Buch:
Catherine Breillat
Kamera:
Giorgos Arvanitis
Musik: Raphael Tidas, DJ Valentin
Schnitt: Agnès Guillemot
Darsteller:
Caroline
Ducey (Marie)
Sagamore
Stévenin (Paul)
François
Berléand (Robert)
Rocco
Siffredi (Paolo)
Reza
Habouhossein
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