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Rosa Arbeiter auf Goldener Straße. 2. Teil.
Carla, soeben politischer Haft
in der SBZ entronnen, eilt durch eine westberliner Straße: »Ich
komme aus dem Osten und weiß, was es heißt, unter einem kommunistischen
Regime leben zu müssen. Jahrelange politische Haft hat mich eingeängstigt,
umsomehr glaube ich an die Notwendigkeit, die demokratische Freiheit der westlichen
Welt verteidigen zu müssen.. .. Wie gerne möchte ich mich verbrüdern und glücklich
werden, doch politischer Terror hat meinen Geist deformiert, und so wird es
allen denen gehen, die mit einem heftigen Linksdrall liebäugeln.«
Sie gerät auf eine Bühne, in ein Theaterstück, das mit den linken
extremistischen Intellektuellen abrechnet. Die Schauspieler, heftig agierend,
mimen »Intellektuelle, die versucht haben, Arbeitern ihren Willen aufzuzwingen«
(off-Kommentar). Sie setzen gar Rauschgift ein, um einen Willigen zu finden,
der mit dem Spaten den Kopf eines Polizisten lostrennt oder durch notorische
Faulheit das Mitleid vieler Menschen ausnutzt oder durch ständig praktizierte
Homosexualität dem lieben Gott den Tag stiehlt (was alles man, wohlgemerkt,
lediglich dem off-Kommentar entnehmen kann). - Carla sieht sich durch die Tendenz
des Theaterstücks bestätigt. Sie geht eine bürgerliche Liebesbeziehung
zum Hauptdarsteller ein. Doch dieser genügt ihren Ansprüchen nicht.
Er schlägt sich auf die Seite der Revolution, das heißt, er macht
sich die Rolle des linksextremistischen Studenten zu eigen: »Ich gehöre
zu den Rücksichtslosen, Geisteskranken und Perversen; um mich nicht selbst
bekämpfen zu müssen, bekämpfe ich die anderen.« Carla, ein Kind unter
dem Herzen, wankt ihm in unsäglichem Schmerz hinterher. Vergebens. Er ist
tot. Und sie, geisteskrank, inmitten hochkünstlerisch assemblierten Nippes,
erkennt »die Idiotie als die einzig große Idee, der nachzueifern
ist«. Mit letzter Kraft entwickelt sie eine Theorie: die »Schule
für angewandte Idiotie«. Ausgehend von der Ohnmacht, »sich
gegen eine Organisation zur Wehr zu setzen, die unter dem Deckmantel der Intelligenz
die Masse mit totalem Terror verängstigt«, postuliert sie: »Minderbemittelten,
Schadhaften und Häßlichen sollte nicht geholfen werden, sondern man
sollte von ihnen lernen, sich unökonomisch und willkürlich zu verhalten,
... statt für eine bessere Welt zu sterben.« Und dann folgen die
Sätze, die Rosa von Praunheim auf das Titelblatt der Zeitschrift film brachten: »Schweine,
Mörder, diese Bande von Intellektuellen haben mir meinen Mann genommen,
die Freude am Besitz gestohlen und mich meiner Lebensaufgabe entfremdet. ...
Nieder mit der Intelligenz, es lebe der Tod.«
ROSA ARBEITER AUF GOLDENER STRASSE
2. TEIL setzt den 1. Teil nicht fort. Er ist ein eigener Film, etwa ebenso lang
(11 Minuten), aber gedreht im größeren Format (16 mm) und zwanzigmal
aufwendiger (2000 Mark Produktionskosten). - Wieder ist der Film vom Bild her
angelegt. Nicht mit der Wiedergabe der Handlung, sondern mit der Beschreibung
von Räumen und Bewegungen kommt man ihm näher. In den alltäglichen,
aber exotischen Wohnzimmern, in denen Praunheims Freunde leben, herrscht jetzt
Carla Aulaulu. Mit Gängen, Gesten und mit ihrer Stimme. Begleitet werden
die Bilder von einem Kommentar, der einen mehr als losen Zusammenhang von Bild
und Handlung herstellt. Die Interpretation des Bildes ist aufgesetzt. Die off-Stimmen
geben eine Sprechblasengeschichte zum besten, deren Ernst in Frage
steht. Die gewollte Naivität des plots überschreitet mühelos
die Grenzen einiger ästhetischer und politischer Tabus. Sie entwaffnet.
Und da es Praunheim um die Entrüstung geht, wird das Ziel des Films voll
erreicht.
Gedreht hat Rosa von Praunheim
den Film mit (Hilfe von) allem, was er um sich herum vorfand. Das war zunächst
die Schauspielbühne im heute abgerissenen berliner SDS-Haus. (Er hatte
zuvor versucht, dort mit Werner Schroeter und Carla Aulaulu ein privates Stück
öffentlich zu machen. Mit Mißerfolg.) Das war auch die Wohnung des
Tänzers Hans Jürgen Saschmilewski. Künstliche Blumen, ausgestopfte
Tiere, glitzernde Ketten und sentimentale Bilder sind der Rahmen der Schlußsequenz,
die Begründung der Schule für angewandte Idiotie. Ins Bild kommt auch
die Wohnung von Klaus Tino S. V. P. (»Klaus Tino S. von Preußen«
steht an der Tür). Praunheim, der ihn »in einer homosexuellen Nachtbar«
kennengelernt hatte, bewunderte sein Talent, die Schauspielausbildung (an einer
Abendschule) für seinen Beruf als Marktschreier zu nutzen (er verkaufte
Wunderheilmittel). »Er war doppelt so groß und breit wie ich, und
auf seinen Fettpolstern gelangte ich zu ungeahntem sinnlichen Rausch.«
Wirksam ist der Appell des Films,
an etwas teilzuhaben, was zunächst ein ungewisses Ziel hat und sich fürs
erste im gemeinsamen und spielerischen Überschreiten verschiedener Demarkationslinien
erschöpft. Wesentlich ist, daß es dazu weder Programm noch Organisation
braucht. Für die Produktion des Films war daher weder Drehbuch, noch Kalkulation,
noch besondere Vorbereitung nötig. Rosa von Praunheim lieh sich von Werner
Schroeter eine 16 mm-Kamera, die dieser gerade erworben hatte. »Die automatische
Belichtung von Werners handlicher Kamera machte das Filmen kinderleicht, und
so konnte ich unbeirrt losschießen.« Das Filmmaterial, eine
halbe Stunde Agfa, hatte er »geschenkt bekommen«, und damit war
das Drehverhältnis (1: 3) vorgegeben.
Wie die Bedingungen der Produktion
wußte Praunheim die politischen Bedingungen zu arrangieren. »Die
zu der Zeit aufblühenden Studentenunruhen inspirierten mich zu einer Mischung
aus links- und rechtstendenziellen Inhalten, die später beim Publikum auf
beiden Seiten großen Anklang fanden.« Halb-naiv und halb-bewußt
zeigt Praunheim sich mit diesem Film als Musterexemplar von Identitätenvielheit.
Wahrnehmbar wird das, wenn man sich während des Films einer zunehmenden
Verunsicherung bewußt wird. Die Emotionen setzen ein, wenn sich Faszination
und Ärger mischen
- über das rechte Theater für Linke oder umgekehrt. Der Film macht
vor, wie es Spaß macht und Mut, sich nicht fassen zu lassen, sich Eingeweihten
zu erkennen zu geben, Nicht-Eingeweihte zu animieren und sich von den etablierten
Sachwaltern in Kultur und Politik nicht fixieren zu lassen. Der Appell des Films
richtet sich an die Minderheiten von 1968, explizit an Terroristen, Geisteskranke
und Homosexuelle. Im II. Teil der ROSA ARBEITER war das Programm entwickelt,
sich nicht anzupassen, sich auch nicht zu stellen, sondern spielerisch, fantasievoll
und rücksichtslos eine eigene gemeinsame Welt zu etablieren - eine neue
Schule, die, weil nicht faßbar und unter vorhandene Vorschriften nicht
subsumierbar, spaßeshalber die Schule für angewandte Idiotie genannt
wurde. Die Schüler erkennen sich an geheimen Zeichen. Das ist der Aufnahmewagen,
der versehentlich/vorsätzlich in der Eingangssequenz ins Bild kommt; das
ist die täppische Regelung der Schärfeeinstellung; das ist die gestische
Exaltation der Auftritte Carla Aulaulus, die einen geheimen Gegensinn offenbaren;
die politischen Aussagen verkehren sich im Mutwillen des Films. Was pervertiert,
sind die gesellschaftlichen Fixpunkte, die in Praunheims Film zu Spielmaterial
werden. Der Film macht den Minderheiten vor, wie sie im Arrangement des Vorhandenen
und in den Zwischenräumen gesellschaftlicher, kultureller und politischer
Dogmen Lebensmöglichkeiten gewinnen können, hier eine Position besetzend,
dort die nächste räumend. Praunheims Programm ist das der Ambivalenzen,
Gleichzeitigkeiten und der fortlaufenden Bewegung. Man müßte den
Film heute als Minderheitenästhetik begreifen - wenn er nicht den Anspruch
erhöbe, gleichermaßen ein Film für die Mehrheit zu sein.
In der Tat verließ Praunheim
Mit ROSA ARBEITER 2. TEIL das Getto der perversen und sonstigen Minderheit und
besetzte das Gelände, das sich den underground-Filmen dieser Jahre (zunächst)
verschloß: der Film heimste nach dem Erfolg auf den Kurzfilmtagen in Oberhausen
das Prädikat besonders wertvoll ein, bekam eine Kulturfilmprämie und
wurde für 7.000 Mark vom ZDF gekauft und gesendet. Praunheim hatte einen
Freiraum innerhalb der offiziellen Fernsehkultur gefunden und stärkte allüberall
im Sendegebiet die Vielfalt der Minderheiten. Den offiziellen Sachwaltern der
Kultur - und das spricht für die Effektivität des Films - blieb diese
Strategie fremd. Ihnen verschafften die Praunheim-Filme Amüsement. Als
ROSA ARBEITER 2. TEIL zusammen mit anderen Filmen 1971 auf der »experimenta«
gezeigt wurde, amüsierte sich Rudolf Krämer-Badoni köstlich -
besonders über den Vordermann, welcher offenbar zu den »Unerbittlichen«
gehörte, »die lieber Rosa von Luxemburg gesehen hätten«,
und der ihn bat, das Lachen einzustellen, »worauf ich fast erstickt wäre.
Rosa von Praunheim, das ist das Ungeheuerlichste, was ich in meinem ganzen Leben
gesehen habe«.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Rosa von Praunheim; Band 30 der Reihe
Film, herausgegeben
in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek von Peter W. Jansen und
Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien 1984, Zweitveröffentlichung
in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlags
ROSA ARBEITER AUF GOLDENER STRASSE. 2.Teil
BRD 1968
Regie, Buch, Kamera, Ton, Produktion: Rosa von Praunheim. - Schnitt:
Gisela Bienert. - Darsteller: Carla Aulaulu, Klaus Tino S.V. P., u. a. - Drehzeit:
Herbst 1968. - Drehort: Berlin: Bühne des SDS-Hauses, im Park bei Schloß
Bellevue, S-Bahn-Brücken Yorckstr., Kurfürstendamm, in den Wohnungen
von Klaus Tino S.V. P. und Hans Jürgen Saschmilewski. - Produktions-Kosten:
ca. 2000 DM. - Format: 16 mm, Farbe (Agfa). - Originallänge: 11 min. -
Uraufführung: 7.3. 1969, Hamburger Filmschau; 28.3. 1969, Westdeutsche
Kurzfilmtage Oberhausen. - TV: 9.5. 1969 (ZDF). - Verleih: offen
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