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Rosa
- oder welche Farbe hat das Leben!
Vier
junge Frauen in Berlin
Rosa ist
ein sympathischer kleiner Erstlingsfilm mit allen Meriten und einigen Problemen,
die ein Debüt im Genre "inszenierter Dokumentarfilm" so mit sich
bringt. Julia Dittmanns Arbeit steht im Stand der Gnade, den filmischen Raum
mitten im so genannten "öffentlichen Raum" für sich zu erobern;
da spürt man beim Zusehen mit der Regie und mit den Protagonisten die trotzige
Freude. Man erkennt schnell: Die Regisseurin setzt beinahe alles, was sie vom
Filmemachen weiß, engagiert ein, um den Fallen zu entgehen, die bei ihrem
Thema reichlich herumstehen, und die Aufschriften tragen wie "Betroffenheitskino",
"Talking Heads", "Berlin-Blues", "Zielgruppenfilm"
oder ähnliches. Der Film ist auf ein größeres Publikum ausgerichtet
und versucht daher alles Widerständige, Komplizierte und Schmerzhafte möglichst
unterhaltsam und möglichst "filmisch" aufzulösen. Und immer
dort, wo man einen entscheidenden Schritt erwartet, einen, den man aus Zorn
oder mit Zärtlichkeit über die Schmerzgrenze gehen könnte, verflüchtigt
sich die Situation in Ironie oder Design.
Es
geht um vier junge Frauen im Baustellen-Berlin, die alle die ersten Kapitel
ihrer Lebensgeschichten schon hinter sich haben, deren Geschichten festgefahren
sind, die mitten in einer fetten Krise stecken. Während sie ihre Situationen
beschreiben und darüber reflektieren, wie sie mit dem Frau-Sein zusammenhängen,
gibt der Film ihren Träumen und Gedankenspielen Flügel. Daneben sehen
wir Bilder der Stadt, die sich in einem permanenten Ab- und Umbau befindet,
und manchmal begegnen sich Lebensgeschichten und Stadtbilder gar auf eine buchstäbliche
Weise. Die Metapher vom Abbrechen und Neu-Aufbauen wird denn auch verbal und
visuell ein bisschen arg strapaziert. Die eine muss ihr Leben nach einer ungewollten
Schwangerschaft neu sortieren, die andere mit einer unauflösbaren Depression
fertig werden, die dritte zweifelt an ihrem Jura-Studium, und die vierte hat
sich in einen verkorksten Umgang mit Sex & Drugs hineinlaviert. In den drei
Jahren, in denen der Film seinen Heldinnen folgt, spitzen sich aber die Krisen
nicht zu, sie lösen sich vielmehr auf, langsam in der Lebenspraxis oder
durch einen Entschluss (wie dem, sich der Hilfe einer psychiatrischen Institution
anzuvertrauen).
Es
ist ein durchaus zauberhaftes Unterfangen, sich der gewöhnlichen Katastrophen-Dramaturgie
zu entziehen. Statt auf Kulminationspunkte zuzulaufen, wird der Film immer leichter,
und am Ende fliegt er davon wie ein Schmetterling. Alles ist auf irgendeine
Weise Kunst und Traum geworden, und selbst die Schauspielerin stellt ihre abgebrochene
Schauspieler-Karriere als Schauspiel dar. Man könnte wohl auch sagen, das
Private und das Berufliche habe sich da in vier Fällen auf eine mehr oder
weniger glückliche Art neu miteinander verzahnt. Nur dass es zwischen dem
Privaten und dem Politischen vielleicht eher eine dialektische als eine "Irgendwie"-Beziehung
gibt, das ist uns unterwegs verloren gegangen.
Was
man bei einem solchen Film natürlich lieber nicht machen sollte, das ist
den "bösen Blick" einschalten. Dann nämlich könnte
man Rosa auch
ganz anders sehen: Vielleicht haben sich ja die Krisen gar nicht bewältigen
lassen, sondern sind vielmehr einfach vergesellschaftet worden. Der Film ist
nicht zornig genug und nicht zärtlich genug, um einmal hinter die Masken
und Legenden, hinter die Arrangements und Entwürfe zu sehen. Rosa sieht
nie genauer hin, als man sehen kann, ohne dass auch der Blick eine Krise auslösen
könnte. Im wirklichen Leben ist mir diese dezente Haltung sehr sympathisch.
Im Kino ist es mir zu wenig.
Georg
Seeßlen
Rosa
- oder welche Farbe hat das Leben!
ist ein sympathischer, unterhaltsamer, doch etwas zu harmloser Film über
vier junge Frauen im Berlin des langen architektonischen und sozialen Umbaus,
eine Verbindung von dokumentarischem Lebensbericht mit Traum, Spiel und Performance.
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd Film
Rosa
- oder welche Farbe hat das Leben!
Deutschland
2003. R, B: Julia Dittmann. P:
Julia Dittmann. K: Sandra Merseburger. Sch:
Franziska von Berlepsch. M: Matthias Dengg, Beate Hetenyi. T: Uwe Kemter, Susanne
Albrecht. Ko: Katja Dittmann, Stefanie Hille. V: Venusfilm. L: 88 Min. Mit:
Stefanie Hille, Miriam Sachs, Gesa Henrici, Katja Dittmann.
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