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Rosen
für den Staatsanwalt
Verleugnung
vs. Wahrhaftigkeit
"Wissen Sie, wie ich mir
die
Gerechtigkeit jetzt vorstelle?
Wie ein appetitliches, junges,
besonders sauberes Mädchen."
"Wieso das?"
"Weil sie so oft baden
geht."
(Kleinschmidt
zu seinem
Verteidiger)
Die Auseinandersetzung mit der
jüngsten NS-Vergangenheit nach 1945 im kulturellen Bereich war bis in die
späten 60er Jahre nicht gerade einfach. Der deutsche Nachkriegsfilm war
beherrscht von sog. Heimatfilmen, in denen es praktisch keine Vergangenheit
und keine Zukunft gab, in denen die bis zum Exzess gesteigerte Idylle einer
unwirklichen Welt ausgebreitet wurde; zum anderen von Wirtschaftswunder-Filmen,
so eine Art Mutmacher-Streifen, in denen die Jahre 1933-45 ebenfalls ausgeblendet
waren. Nur wenige Regisseure wagten sich an das, was man gemeinhin als Aufarbeitung
der jüngsten Vergangenheit nannte. Zu ihnen gehörte v.a. Wolfgang
Staudte. Seine bekanntesten Filme in dieser Hinsicht waren "Die
Mörder sind unter uns" (1946), ein Film, der allerdings noch in der SBZ bei der
DEFA gedreht wurde (mit Hildegard Knef in der Hauptrolle), "Der Untertan" (1951), ebenfalls ein DEFA-Film,
in dem Staudte nach dem Roman von Heinrich Mann sozusagen die Vorgeschichte
des NS verarbeitete (mit Werner Peters in der exzellent gespielten Rolle des
Diederich Hessling), und eben "Rosen für den Staatsanwalt" (1959).
Während des Krieges setzt
sich Kriegsgerichtsrat Schramm (Martin Held) vehement dafür ein, den Soldaten
Rudi Kleinschmidt (Walter Giller) wegen eines vermeintlichen Diebstahls von
Schokolade (in Wirklichkeit hatte Rudi die Schokolade von niederländischen
Schwarzhändlern gekauft) zum Tode zu verurteilen. Schramm bietet alle seine
Fähigkeiten, die NS-Ideologie in den letzten Monaten des Krieges verbal
zur höchsten Blüte zu entfalten, auf, um das Militärgericht zu
zwingen, entsprechend zu urteilen. Wehrkraftzersetzung, Diebstahl als Ausdruck
des Komplotts mit dem Feind und Verhinderung des Endsieges usw. Nur durch den
glücklichen Umstand eines alliierten Fliegerangriffs kann Rudi kurz vor
der geplanten Hinrichtung entfliehen - mit dem Todesurteil, das ihm nach der
Detonation von Bomben entgegen flattert.
Knapp 15 Jahre später. Schramm,
der seine Vergangenheit als NS-Kriegsgerichtsrat vor den Alliierten und seinen
Vorgesetzten verschweigen und sich als Gegner des NS darstellen konnte, ist
nun Oberstaatsanwalt und angesehener Bürger seiner Stadt, verheiratet mit
Hildegard (Camilla Spira), zwei Söhne, Werner (Roland Kaiser) aus Hildegards
früherer Ehe und Manfred (Burkhard Obrigies). Doch in Wirklichkeit hat
sich an seiner Gesinnung nicht viel geändert. Als ein Oberstudienrat einen
Möbelhändler beleidigt und Schramm eigentlich Anklage erheben müsste,
lässt er die Anklageschrift für einige Tage verschwinden und verhilft
dem Beschuldigten so zur Flucht. Auch gegenüber seiner Familie kehrt Schramm
immer wieder heraus, was im Leben wichtig sei: Vaterland, Ehre, Disziplin.
Rudi Kleinschmidt schlägt
sich als Straßenverkäufer durch. Er verkauft Spielkarten, Krawatten
und was ihm so unter die Finger kommt. Eines Tages nehmen ihn zwei Fernfahrer
(der Kabarettist Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller) mit in die Stadt,
in der Schramm lebt. Und es kommt, wie es kommen muss: Schramm sieht Kleinschmidt
auf der Straße als Verkäufer. Er glaubt ihn zu kennen, weiß
aber nicht mehr woher. Rudi hingegen erkennt Schramm sofort - behält sein
Wissen aber für sich, auch gegenüber der Pensionswirtin Lissy (Ingrid
van Bergen), die er nach Jahren wieder aufsucht, die er liebt, die jedoch von
ihm nichts wissen will, weil sie ihn für einen Versager hält.
Schramm hingegen ist nervös.
Er ahnt, dass mit Kleinschmidt jemand in die Stadt gekommen ist, der ihm schaden
könnte. Und schließlich erinnert er sich, wer dieser Mann ist und
versucht über die Polizei, Kleinschmidt aus der Stadt zu jagen. Man nimmt
unter einem Vorwand Rudi die Karten weg, entzieht ihm den Gewerbeschein. Doch
das alles nützt nichts. Obwohl Rudi zunächst die ganze Sache mit dem
Todesurteil auf sich beruhen lassen wollte, wehrt er sich nun, als man ihm das
bisschen Existenzgrundlage wegnehmen will, das er hat. Er schlägt eine
Schaufensterscheibe ein und nimmt Schokolade von der Marke mit, wegen der er
damals verurteilt wurde. Es kommt zum Prozess gegen Rudi ...
Staudtes Film ist ein unverzerrtes
Spiegelbild der deutschen Nachkriegsgesellschaft - nicht nur in Bezug auf das
Hauptthema des Films. Aber was ist eigentlich dieses Hauptthema? Das Verschweigen,
der Opportunismus, die Verleugnung der jüngsten Vergangenheit, Korruption,
Intrige? Nun, von allem etwas. Und in diesem Etwas steckt viel an Realität
jener Zeit.
Wir treffen auf einen jener -
von Martin Held, einem der wohl besten Charakterdarsteller nicht nur der 50er
Jahre, in allen Facetten der Person des Oberstaatsanwalts glänzend gespielten
- "Überlebenden" der NS-Machtstrukturen, die es schafften, auch
in der neuen Republik an geeigneter Stelle unterzukommen - wahrlich kein Einzelfall,
denkt man an Globke, den Staatssekretär unter Adenauer, mit entsprechender
Vergangenheit, Theodor Maunz, einen der bekanntesten Grundgesetz-Kommentatoren,
oder den Staatsrechtler Carl Schmitt, der auch nach dem Krieg in höchsten
Kreisen und bis heute Ansehen genießt - trotz seiner Schriften wie u.a.
"Der Führer spricht Recht", in dem er den Röhm-Putsch gerechtfertigt
und die politischen Morde als "höchste Form administrativer Justiz"
bezeichnet hatte.
Schramm - und das zeigt die Darstellung
durch Martin Held großartig - ist einer jener machtbesessenen, arroganten
und elitär denkenden Egozentriker, die Begriffe wie "Vaterland, Ehre,
Disziplin" immer dann im Munde führen, wenn es um das eigene Fortkommen,
den eigenen Vorteil geht. Sie verklausulieren in solchen Begriffen das, was
sie für sich persönlich wollen. Und es bereitet ihnen nicht nur Freude,
über andere Macht auszuüben; sie sind in dieser Hinsicht geradezu
sadistisch. Doch Schramm besitzt noch eine andere wichtige Eigenschaft: den
Standesdünkel. Er und seinesgleichen wissen, dass all ihr Streben nur dann
Aussicht auf Erfolg hat, wenn sie es im elitären Kreis einer streng hierarchischen
Ordnung "pflegen", d.h. wenn jene "Gemeinschaft" von ihresgleichen
bewahrt und geschützt wird, die einzig und allein ihren Allmachtsphantasien
Aussicht auf Realisierung bietet.
Gleichzeitig wird durch Helds
Darstellung Schramms aber auch deutlich, wie klein, ja mickrig, ordinär, feige und kleinbürgerlich
solche Menschen sind, betrachtet man sie aus
nächster Nähe. Ohne den geringsten Einfluss, ohne Macht und Geld wäre
Schramm ein elender Wicht.
Staudte stellt Schramm einen Mann
gegenüber, der als dessen genaues Gegenteil erscheint. Kleinschmidt gilt
vielen als Versager, als einer, der es zu nichts gebracht hat. Auch seine frühere
Geliebte Lissy denkt so über ihn - jedenfalls anfänglich. Rudi ist
ein Ruheloser, einer ohne festen Wohnsitz und ohne Heimat. Er ist nirgendwo
und überall zu Hause, nur laut, wenn er seine Krawatten anpreist, sonst
aber ein stiller, fast in sich gekehrter Mann ohne Ehrgeiz, ohne Ambitionen.
Er will nicht einmal das Unrecht, das ihm Schramm zugefügt hat, offenbaren.
Das Urteil, das er ständig bei sich trägt, ist nur eine Erinnerung
- eine Erinnerung für ihn, für einen wichtigen Teil seines Lebens.
Rudi kennt keine Rachsucht. Er will nichts weiter, als sein Zeug verkaufen -
und er will Lissy. Doch auch das nicht um jeden Preis. Er ist bereit zu gehen,
als Lissy ihm deutlich macht, das sie ihn zwar gern wiedergesehen habe, seine
Mentalität aber verachte.
Und Lissy? Sie gehört zu
jenen Millionen, die an das Wirtschaftswunder so fest glauben wie an die Notwendigkeit,
die Vergangenheit zu verleugnen, zu vergessen oder zu verdrängen. Sie akzeptiert
das "Oben" und "Unten", das System von "besseren"
und "schlechteren" Leuten. Sie will nur ein bisschen vom Kuchen ab
haben - ihre Pension und Wirtschaft sollen laufen. Erst sehr spät erkennt
sie, was in Rudi wirklich steckt. Erst spät erkennt Rudi, dass Leute wie
Schramm und alle, die hinter ihm stehen, bereit und willens sind, ihm das bisschen
Existenzgrundlage auch noch zu nehmen, das er hat. Erst jetzt ist er
dazu entschlossen, das aufzudecken, was nicht nur ihn persönlich betrifft,
sondern Millionen anderer auch.
Staudte beschränkt sich jedoch
nicht hierauf. Als Rudi den Stammtischbrüdern Kugler (Werner Peters), Bauunternehmer,
Haase (Werner Finck) und Hessel (Ralf Wolter), einem Lebensmittelhändler,
von dem Todesurteil erzählt, wird der ganze Opportunismus jener Jahre ruchbar.
Während Hessel Frau Schramm weiter in devoter Haltung bedient, als wäre
nichts geschehen, versucht Kugler Schramm mit seinem Wissen zu erpressen, um
an Bauaufträge zu kommen. Und Haase? Der verfasst einen fünf Seiten
langen Protestbrief, in dem er Schramm angreift - um ihn dann, statt in den
Briefkasten zu werfen, zu zerreißen mit der Bemerkung:
"Also man müsste
sich überlegen,
ob man nicht dem Getriebe der
Welt mit philosophischer Gelassenheit
und Verachtung gegenüberstehen
sollte. ... Ich weiß
nicht, ob man
nicht lieber zu der großen
Zahl der
Stillen im Lande gehören
sollte."
Kleinschmidt, der angebliche Versager,
aber lässt es zum Prozess gegen sich kommen. Und es ist Schramm, der in
seiner ganzen Nervosität und Angst vor dem gesellschaftlichen Fall in diesem
Prozess den entscheidenden Fehler macht, der die Wahrheit ans Licht bringt.
Kleinschmidt aber bewahrt etwas, was Schramm nie kannte und nie kennen wird:
Wahrhaftigkeit und Treue zu sich selbst.
Im übrigen sehen wir keinen
etwa todernsten Film. Nein! Staudte gelingt es, besonders in der Darstellung
Schramms durch Martin Held, aber auch in der Figur des Rudi Kleinschmidt durch
Walter Giller immer wieder einen Sarkasmus zu zelebrieren, der dem Film insgesamt
sehr gut tut. Dabei ist das Komische in der Figur des Oberstaatsanwalts zugleich
das Tragische und Erbärmliche. Man kann über einen solchen Mann "eigentlich"
nur lachen - obwohl man weiß, dass auch nur ein bisschen Macht solche
Menschen zu Raubtieren werden lässt.
Ein wichtiger Film, der neben
anderem sicherlich auch einen Beitrag dazu leistete, in den 60er Jahren endlich
die Vergangenheit nicht Vergangenheit sein zu lassen, sondern sich ihr zu stellen.
Darüber hinaus hat der Film in wichtigen Punkten kaum an Aktualität
verloren.
DVD
Format:
Dolby, HiFi Sound, PAL
Sprache: Deutsch (Dolby Digital
1.0)
Region: Region 2
Bildseitenformat: 4:3
Studio: Kinowelt Home Entertainment/DVD
DVD-Erscheinungstermin: 22. März
2005
Die von Kinowelt im März 2005
herausgebrachte DVD enthält neben dem Film Starinfos, eine Fotogalerie,
Anzeigen, Filmprogramm, Pressetexte und Trailer. Wie leider oft üblich
fehlen Extras zum zeitgeschichtlichen Hintergrund des Films. Allerdings spricht
der Film, was dieses Thema angeht, weitgehend auch für sich selbst. Der
Schwarz-Weiß-Film ist in guter Ton- und Bildqualität zu genießen.
Ulrich Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Rosen
für den Staatsanwalt
Deutschland
1959, 97 Minuten
Regie:
Wolfgang Staudte
Drehbuch:
George Hurdalek
Musik:
Raimund Rosenberger
Kamera:
Erich Claunigk
Schnitt:
Klaus Eckstein
Darsteller:
Walter Giller (Rudi Kleinschmidt), Martin Held (Dr. Wilhelm Schramm), Ingrid
van Bergen (Lissy), Camilla Spira (Hildegard Schramm), Werner Peters (Otto Kugler),
Wolfgang Wahl (Verteidiger), Werner Finck (Haase), Ralf Wolter (Hessel), Roland
Kaiser (Werner Schramm)
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