zur
startseite
zum
archiv
Die
roten Schuhe
Tanzen
müssen, lieben müssen
Grischa:
"Sie können die menschliche
Natur
nicht ändern."
Lermontov:
"Nein, man kann etwas
viel
besseres tun: sie ignorieren."
Die
Bühne tut sich auf - sie öffnet sich unserem Auge, ein buntes, manchmal
mysteriöses, manchmal dunkel-angsterfülltes Szenarium breitet sich
vor uns aus. Eine Tänzerin mit roten Schuhen springt auf die Bühne:
Moira Shearer, eine begnadete Balletteuse, aber auch eine exzellente Schauspielerin
spielt das Mädchen mit den roten Schuhen, frei nach Andersens Märchen
"Die roten Schuhe". Gut 20 Minuten des Films greifen Raum für
diese Aufführung des Balletts im Film. Was auf der Bühne nicht in
dieser Weise geschehen kann, geschieht im Film. Mittels special effects wechselt
Frau Shearer die üblichen Ballettschuhe mit den roten in Windeseile, schwingt
sich durch die Luft, die Szenenbilder wechseln, wie dies nur im Film möglich
ist. Und doch ist das Beherrschende der Tanz der Shearer in einem überwältigenden
Szenenbild.
Der
englische Regisseur Michael Powell (1905-1990) inszenierte zusammen mit dem
während des zweiten Weltkrieges aus Ungarn emigrierten Emeric Pressburger
(1902-1988) einen der wohl bekanntesten Ballettfilme der Filmgeschichte - in
den Hauptrollen Moira Shearer und der aus Hitler-Deutschland emigrierte Adolf
Wohlbrück, der sich später Anton Walbrook nannte. Später spielte
Moira Shearer in "Hoffmanns Erzählungen" (1951) und in dem Filmklassiker
"Peeping
Tom"
(1960) neben Karl-Heinz Böhm nochmals Hauptrollen unter der Regie von Powell.
•
I N H A L T •
In
"Die roten Schuhe" spielte Moira Shearer die junge Balletteuse Victoria
Page, die von einer Karriere als Tänzerin träumt. Vor allem möchte
sie Mitglied des Balletts des anerkannten und berühmten Boris Lermontov
(Anton Walbrook) werden. Auf einem Empfang ihrer Tante Lady Neston (Irene Browne)
geraten Victoria und Lermontov aneinander. Er hält es für unmöglich,
auf einem solchen Empfang zu tanzen. Und er fragt Vicky:
"Warum
wollen sie tanzen?"
Vicky:
"Warum wollen sie leben?"
Lermontov:
"Ich weiß nicht genau warum, ich muss."
Vicky:
"Das ist auch meine Antwort."
Auch
der junge Komponist Julian Craster (Marius Goring) will bekannt werden. Er beschwert
sich bei Lermontov, dass ein anderer eine seiner Partituren gestohlen und als
eigenes Werk ausgegeben hat. Lermontov stellt Craster als Dirigenten ein. Und
als die Primaballerina Irina Boronskaja (Ludmilla Tchérina) sich entschlossen
hat zu heiraten, beschließt Lermontov, statt ihrer die begabte Vicky zum
Star seines Balletts aufzubauen. Fortan wird Vicky mit Craster, dem ersten Tänzer
Grischa (Léonide Massine), dem Dirigenten Montagne (Esmond Knight) und
dem Tänzer Ivan (Robert Helpmann) zusammenarbeiten.
Craster
bekommt von Lermontov den Auftrag, ein Ballett nach Andersens Märchen "Die
roten Schuhe" vollständig zu überarbeiten, ein Stück, an
dessen Ende ein Mädchen nicht mehr aufhören kann zu tanzen, weil sich
die roten Schuhe selbständig gemacht haben; am Schluss stirbt das Mädchen.
Die
Uraufführung des Balletts in Monte Carlo wird zu einem sensationellen Erfolg.
Doch als sich Vicky und Craster ineinander verlieben, kündigt Lermontov
vor Wut dem Komponisten - nicht weil er selbst in Vicky verliebt ist, sondern
weil er Liebe und Ballett nicht für vereinbar hält. Vicky bricht ihren
Vertrag und folgt Craster nach England, wo beide heiraten. Als Vicky Monate
später zu Lermontov zurückkehrt, ist Craster verzweifelt. Er fährt
Vicky nach - und es kommt zu einer Katastrophe ...
•
I N S Z E N I E R U N G •
"Die
roten Schuhe" sind, wie deutlich geworden sein sollte, kein "reiner"
Ballettfilm. Powell und Pressburger lassen die Geschichte um einen Konflikt
kreisen. Anton Walbrook spielt einen Mann, der nur Menschen in seiner Truppe
haben will, die sich voll und ganz dem Tanzen hingeben. Wer sich der "bürgerlichen
Liebe" hingeben wolle, könne nie eine große Tänzerin werden.
Tanz und Liebe schließen sich für ihn aus. Lermontov, arrogant, egozentrisch,
Bonvivant, aber nicht bezogen auf Frauen, sondern auf die Kunst und seinen persönlichen
Lebensstil, vor allem aber einsam lebt nur für eines: die Musik und den
Tanz. Und genau dies verlangt er von allen, die seinem Ballett angehören.
Walbrook spielt diesen Mann in einzigartig überzeugender Weise.
Ihm
gegenüber steht eine junge Frau, die anfangs glaubt, nur der Tanz sei ihr
Leben, dann aber begreift, dass es noch etwas anderes gibt. Die Liebe zu Craster
(und seine zu ihr) ist tief und echt. Als sie Craster der Liebe wegen folgt
und Lermontov wegen dessen Verachtung und Egoismus verlässt, spürt
sie bald, dass ihr trotz der Liebe zu Craster etwas fehlt: das zweifellos vorhandene
geniale Gespür Lermontovs für das Ballett, für die Inszenierung
von etwas Großem, Erhabenem. Dieser Zwiespalt führt - wie im Märchen
Andersens - zu einer Katastrophe.
Craster
erkennt nicht, dass beider Liebe nur ein Teil von Vickys Leben ist; er sieht
keinen Kompromiss zwischen beider Beziehung und der weiteren Arbeit bei Lermontov.
In einer der letzten Szenen des Films sieht man Vicky in verzweifeltem Zustand
auf dem Weg zur Bühne, und plötzlich sind es auch bei ihr die roten
Schuhe, die sie zurückhalten, die Bühne zu betreten. Die Schuhe zerren
sie zurück und sie will Craster noch am Bahnhof vor dessen Abreise einholen.
Ein Sturz vor den Zug beendet ihr Leben, und für einen Moment weiß
man nicht, ob dies ein Unfall oder ein absichtlicher Sturz war.
Der
Film lebt aber nicht nur von den exzellenten schauspielerischen Leistungen des
einen Egozentriker spielenden Walbrooks, der vollkommen natürlich spielenden
Moira Shearer und des einen jungen, ehrgeizigen Komponisten darstellenden Marius
Goring sowie den beschriebenen Konflikten, in denen die subjektiven Defizite
der drei zu einer Tragödie führen, sondern auch von der hervorragend
in Szene gesetzten Theateratmosphäre, dem von Hein Heckroth verantworteten
Produktionsdesign und last but not least der übrigen Truppe, v.a. auch
dem einen immer lebhaften, aufbrausenden, aber liebevollen Tänzer spielenden
Léonide Massine. All dies summiert sich zu einem homogenen Gesamtbild,
das den Film zu einem der besten des Genres werden ließ.
Die
gut 20 Minuten dauernden Ballettszenen in der Mitte des Films dürften selbst
diejenigen attraktiv finden, die nicht unbedingt Ballett-Begeisterte sind -
wie ich. Moira Shearer, das sei noch gesagt, ist mit ihren knallroten Haaren
und Lippen und ihrer natürlichen Art zu spielen eine Augenweide des Films.
•
D V D •
Sprachen:
Deutsch (Dolby Digital 1.0) Englisch (Dolby Digital 1.0)
Untertitel:
deutsch, englisch
Bildformat:
4:3
Dolby,
HiFi Sound, PAL
Laufzeit:
130 Minuten
DVD
Erscheinungstermin: 22. April 2005
Die
vor kurzem erschienene DVD bietet den Film in einer wirklich ausgezeichneten
Ton- und Bildqualität, allerdings ohne nennenswerte Extras. Neben dem Kinotrailer,
Produktionsfotos, Filmplakaten und Texttafeln zu den Regisseuren findet man
noch Andersens Märchen als Zugabe - leider ein bisschen wenig. Trotzdem
lohnt sich die Anschaffung der DVD für all jene, die dem Genre zugeneigt
sind.
Wertung:
10 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Die
roten Schuhe
(The
Red Shoes)
Großbritannien
1948, 133 Minuten
Regie:
Michael Powell, Emeric Pressburger
Drehbuch:
Michael Powell, Emeric Pressburger, nach Motiven von Hans Christian Andersen
Musik:
Brian Easdale, Kenny Baker, Pyotr Ilyich Tchaikovsky
Kamera:
Jack Cardiff
Schnitt:
Reginald Mills
Darsteller:
Anton Walbrook (alias Adolf Wohlbrück) (Boris Lermontov), Marius Goring
(Julian Craster), Moira Shearer (Victoria Page), Robert Helpmann (Ivan Boleslawsky),
Léonide Massine (Grischa Ljubov), Albert Bassermann (S. Ratov), Ludmilla
Tchérina (Irina Boronskaja), Esmond Knight (Livingstone "Livy"
Montagne), Irene Browne (Lady Neston)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0040725
©
Ulrich Behrens 2005
zur
startseite
zum
archiv