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Die
Rückkehr
Sag mir, wo die
Männer sind
Andrej Swaginzew filmt „Die Rückkehr“ des
verlorenen Vaters
Der letzte Eindruck von Andrej Swjaginzews Die Rückkehr
bleibt eine Reihe von Reise- und Familienschnappschüssen. So ungetrübt
scheint diese Idylle, dass es schwer fällt, eine Verbindung zum Rest des
Films herzustellen. Eine ausgelassene, alberne Stimmung herrscht auf den Bildern:
Wir sehen lachende, grimassierende Kindergesichter, Posen jungenhafter Verbundenheit,
schlichte Landschaftsaufnahmen, wie man sie entlang nicht enden wollender Reiserouten
zu machen pflegt, und schließlich auch berührende Momente von Wärme,
die sich gleichzeitig durch eine große Abwesenheit auszeichnen. Der Vater
fehlt auf diesen Fotos. Nur auf einem erscheint er noch kurz wie ein Gespenst
aus einer Vergangenheit, die längst überwunden schien.
Die Rückkehr,
bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet,
begibt sich auf die Spuren einer väterlosen Gesellschaft. Zehn Jahre hat
die Mutter ihre Söhne allein großgezogen, doch schon in der Eröffnungsszene,
einer Mutprobe an einem entlegenen See, wird die Sehnsucht nach dem starken
Mann spürbar. Das Verhältnis zwischen Andrej und seinem jüngeren
Bruder Iwan ist angespannt, in ihrem unbewussten Kräftemessen zeichnet
sich bereits das Ringen um männliche Dominanz ab. Ihre Beziehung ist bestimmt
von solcherlei Mutproben und Sticheleien, und die vorlauten Herausforderungen
seines Bruders kontert der schwächere Iwan mit einem wunderbar trotzigen
Gesichtsausdruck. Genauso wird er auch später seinem Vater begegnen, wenn
dieser dem Jungen befiehlt, ihn „Papa“ zu nennen.
Eines Morgens ist dieser Vater wieder bei seiner
Familie aufgetaucht, ohne Kommentar, ohne Erklärung. Von Freude ist bei
diesem Zusammentreffen nichts zu spüren, auch nicht von Neugier: Wohin
er ging, woher er kommt, werden wir nie erfahren. Andrej und Iwan verhalten
sich dem Fremden gegenüber zunächst gleichgültig, fast so, als
wäre er nie aus ihren Leben verschwunden. Oder als wäre er immer noch
fort.
Die Rückkehr ist ein mysteriöser, fast
mystischer Film. Worte haben weit weniger Bedeutung als das Rascheln der Grashalme
oder das Prasseln des Regens. In langen Einstellung öffnet sich die unerschlossene Weite Nordrusslands
mit ihren immergrünen Nadelwäldern und nebelverhangenen Seen. Der
kontemplativen Ruhe dieser mythischen Landschaft, in die der Film schließlich
aufbricht, setzt Swjaginzew die zerstörerische Kraft des Vaters entgegen.
Neugierig und ängstlich folgen Andrej und Iwan ihm auf seinem Weg, den
er mit äußerster Bestimmtheit aufnimmt. Dabei führt Swjaginzew
die Idee des Roadmovies ad absurdum. Die innerlichen und äußerlichen
Bewegungen der Figuren finden hier nicht mehr zueinander. Im Gegenteil: Der
vom Vater initiierte gemeinsame Gewaltmarsch treibt einen Keil zwischen die
Jungen. Je verzweifelter Andrej um die Gunst des herrischen Vaters buhlt, desto
weiter distanziert er sich von seinem Bruder.
Über die Rolle des Vaters hat Regisseur Swjaginzew
sich in Interviews beharrlich ausgeschwiegen. Mit ihrer konturlosen Härte
bleibt sie unnahbar und störend zwischen den sorgfältig beobachteten
kleinen Gesten der Jungen. Die dumpfe Gewalt, die den Vater vorantreibt, verträgt
sich nicht mit der Mysteriosität der Landschaft. In der unberührten
Natur bleibt der Mann ein Fremdkörper, wenn er wie ein Krieger in die rauschenden
Wälder zieht. Während die Natur der Erzählung rätselhafte
Tiefe verleiht, bleibt die Figur des Vaters merkwürdig flach. Diesen Eindruck
von gespreizter Banalität kann Swjaginzew in seinen Bildern nicht auflösen.
Am Ende verschwindet der Vater genauso unmittelbar, wie er gekommen ist. Doch
sein Eindringen hat die in sich ruhende Landschaft um ihr Geheimnis gebracht.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Die Zeit vom 01.04.2004
Zu diesem Film gibt’s im archiv mehrere Texte
The
Return - Die Rückkehr
Russland
2003 - Originaltitel: Vozvrascenje - Regie: Andrej Swjaginzew - Darsteller:
Wladimir Garin, Iwan Dobronrawow, Konstantin Lawronjenko, Natalija Wdowina -
FSK: ab 6 - Länge: 110 min. - Start: 1.4.2004
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