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Die Rückkehr
Abschied
Andrej Swjaginzews "Die
Rückkehr" erzählt von der Fremdheit des Väterlichen in der
Kinderwelt
Wir kennen die Situation aus unzähligen
Heimkehrergeschichten: Eines Tages sitzt ein fremder Mann am Familientisch und
tut so, als wäre dies sein angestammter Platz. Ja, die lange Abwesenheit
fordert jetzt doppelte Präsenz und der Verlust an Autorität muss durch
Imponiergehabe kompensiert werden. Zuletzt haben wir das ganz deutsch in Sönke
Wortmanns Nachkriegsdrama „Das Wunder von Bern“ gesehen. Andrej Swjaginzews „Die Rückkehr“ spielt irgendwo
in der nordrussischen Provinz der Jetztzeit. Zwölf lange Jahre war der
Vater fort, die mütterliche Legende lautet, er sei zur See gefahren in
dieser Zeit. Doch wie ein Seemann sieht er nicht aus, wahrscheinlicher ist da
schon ein längerer Straflageraufenthalt.
Doch alles ist möglich, die
Wahrheit über diese Vergangenheit bleibt ein Geheimnis bis zum Schluss.
Jetzt ist der jüngere der beiden Söhne, die unter mütterlicher
und großmütterlicher Fürsorge aufgewachsen sind, gerade zwölf
Jahre alt. Und während der Ältere die Rückkehr des Vaters freudig
anerkennt, bleibt Iwan misstrauisch und verweigert sich väterlichem Erziehungsgebaren:
Schließlich könnte der Mann genauso gut ein dahergelaufener Mörder
sein. Noch angespannter wird die Lage, als der Vater mit den Jungs im Auto zu
einer Angeltour aufbricht. Der versprochene Wochenendausflug wird schon bald
zu einer entbehrungsreichen Hardcore-Unternehmung, die beiden Kindern ihr Äußerstes
abverlangt und für Iwan die Grenzen des Erträglichen überschreitet:
Übergriffe, Machtspielereien, emotionale Unsicherheit, die sich in patriarchalem
Gehabe versteckt.
Der Mann, der so lange seinen
Vaterpflichten nicht nachkommen konnte, fordert jetzt umso hartnäckiger
Respekt. Die Werte, die er vermitteln will, sind so autoritär wie reduziert:
Im Kampf mit der Natur mit allen Survival-Techniken gerüstet, ist auch
sein Umgang mit Menschen von Psychodarwinismus geprägt: Wer sich nicht
wehrt, hat Pech gehabt. Doch in der Filmwelt, die Kameramann Michail Kritschmann
in langen ruhigen Einstellungen entwirft, gewinnt die karge Natur die Oberhand
und Menschen sind nur selten zu sehen. Einmal trifft der Vater an einem Bootssteg
eine Gruppe dunkler Gestalten, die wir aus Iwans Perspektive als Schatten im
Hintergrund sehen. Geschäfte wohl, und auch sonst wird immer deutlicher,
dass der eigentliche Zweck des Ausflugs in undurchsichtigen Machenschaften des
Vaters liegt, die die drei am Ende auf eine einsame Insel treiben, wo sie nach
einer abenteuerlichen Bootsfahrt landen. Hier, am Rande der Zivilisation, wo
der Restschrott früherer Kriege einsam vor sich hin rostet, kommt auch
die latente Aggression zwischen Vater und Söhnen zum offenen Ausbruch.
Gespielt und inszeniert ist das
von einem durchweg jungen Team mit einer Feinheit, die gerade bei den jungen
Darstellern überrascht. Dennoch, und trotz der beeindruckenden ästhetischen
Kraft des Films, die dem Debütwerk in Venedig einen Goldenen Löwen
bescherte, lässt „Die Rückkehr“ doch erst einmal beeindruckte Ratlosigkeit
zurück. Ein naturalistisches Psychodrama? Das postsozialistische Mütterchen
Russland als "vaterlose Gesellschaft"? Trotz realistischer Inszenierung
betont der 1964 geborene Regisseur gern die tarkowskijsch "mythologische"
Dimension seiner Geschichte, der er im Film mit Verweisen auf die Schöpfungswoche
und das Isaak-Opfer Raum zu geben versucht. Doch diese Assoziationen geben zum
Verständnis wenig her. Weiter führt der Versuch, die ganze Filmerzählung
als subjektive Projektion aus Iwans kindlicher Innenperspektive zu betrachten.
Ein Psychotrip, der mit Intensität die klaustrophobische Situation einer
existenziellen Abhängigkeit beschreibt, in der Widerstand leer läuft.
Die Abwesenheit des Vaters - und auch die sonstigen Rätsel um seine Person
- scheinen so nur ein Kunstgriff, um die Fremdheit des Väterlichen für
das Kinderleben herauszustellen, das ihm ausgeliefert ist. Eine Fremdheit, die bleibt, auch wenn sich
irgendwann das junge Leben an Stelle des Alten setzt. Auf Wiedersehen, Vater,
rufen die Jungen am Ende dem langsam im See versinkenden Mann hinterher. Der
Filmtitel führt in die Irre: Nicht die Rückkehr, sondern dieser Abschied
aus kindlicher Abhängigkeit ist das Thema - und die Schuldgefühle,
die dabei wohl unvermeidlich sind. Dass dabei das Weibliche mal wieder - abgesehen
vom Mütterlichen - ganz dem Allgemeinen subsumiert wurde, ist sicher eine
der größten Schwächen des Films.
Silvia Hallensleben
Dieser Text
ist zuerst erschienen in: Freitag
Zu diesem Film
gibt’s im archiv mehrere Texte
The Return - Die Rückkehr
Vozvrascenje
Russland 2003
R: Andrej Swjaginzew
D: Wladimir Garin, Iwan Dobronrawow, Konstantin Lawronjenko, Natalija
Wdowina
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