zur
startseite
zum
archiv
The
Saddest Music in the World
In den Filmen des kanadischen Regisseurs Guy Maddin
bekommt das unter Kritikern leidlich ausgereizte Attribut “obsessiv” eine völlig
neue Qualität. In “The Saddest Music in the World”, Maddins Hommage an
die Melancholie, das Bier und seine Heimatstadt Winnipeg, sind es Frauenbeine,
für die der Kriegsveteran Fyodor eine Obsession entwicklt hat; ein ganz
bestimmtes Paar Frauenbeine. Jene nämlich, die er einst volltrunken seiner
Geliebten amputiert hat. An dieser Schuld trägt er so schwer, dass er sich
Jahre später in seiner Arbeitskammer mit den Objekten seiner Begierde umgibt.
Ein treffenderes Bild kann man für das obsessive Kino Guy Maddins gar nicht
finden. Ein Mann, der im Halbdunkel in einem Wald von weiblichen Beinprothesen,
wie in einem morbiden Spiegelkabinett, sein Meisterstück vollbringt: zwei
gläserne Beine, gefüllt mit Bier.
Maddin ist ein Solitär im zeitgenössischen
Erzählkino, allenfalls vergleichbar mit den Quayle-Brüdern, die Maddins
Vorliebe für somnambule, mythisch-knarzende Fabeln teilen. Aus der Not
heraus, und als Hommage an den deutschen Stummfilm, sehen seine Bauten immer
etwas wackelig und krumm aus (“Symmetrische Formen machen mir Angst,” hat Maddin
einmal gesagt); sein ganzes Œuvre hat etwas Gedrungenes, als würden Maddins
Figuren unter der Last ihrer Verfehlungen buchstäblich in sich zusammensinken.
In “Careful”, seiner Liebeserklärung an den deutschen Bergfilm der zwanziger
Jahre (Leni und Luis lassen grüßen!), drücken sich die Menschen
tatsächlich verstohlen durchs Bild. Der kleinste Mux oder eine falsche
Bewegung, und sie könnten eine Lawine auslösen, die das Alpendorf
Tölzbad verschütten würde.
“The Saddest Music in the World” greift mit seinen
grobkörnig-verrauschten und überbelichteten Schwarz/Weiß-Bildern,
die die Konturen seiner Figuren heiligenscheinartig ausfransen lassen, erneut
jene antiquarische Ästhetik auf, die inzwischen zu Maddins Markenzeichen
gehört. Es ist jedoch nicht der Stummfilm, sondern das Vaudeville-Theater
mit seinen Revue-Einlagen, dem er nun Reverenz erweist. Gemäß Maddins
markigem Motto, dass “ein guter Soundtrack einem Film manchmal den Arsch retten
kann”, ist “The Saddest Music in the World” erfüllt von einem kakophonischen
Gewirr folkloristischer Musik aus aller Herren Länder.
Man schreibt das Jahr 1933, und
nicht nur die Weltwirtschaft leidet unter einer handfesten Depression. Die London
Times hat, verkündet Lady Helen Port-Huntly, die Frau mit den gläsernen
Beinen, stolz, Winnipeg zum vierten Mal in Folge zur “Welthauptstadt der Trauer”
gekürt. Da hilft nur noch Bier – und das fließt in “The Saddest Music
in the World” reichlich. Der Depressionstourismus boomt. “Wenn Sie traurig sind
und Bier mögen,” wirbt Winnipegs Bierbaronin, “bin ich ihre Lady.” Aus Anlaß
der Feierlichkeiten ruft Lady Port-Huntly zu einem Wettbewerb auf. Gesucht wird
die traurigste Musik der Welt.
Der Depressions-Grand Prix lockt ein ganz spezielles
Völkchen ins winterliche Kanada. Und Maddin ist voll in seinem Element.
Kein Regisseur bringt das Melodram, die Tragikomödie und die Farce mit
solch einem stoischen Gleichmut zusammen. Wie albern sich seine Figuren in ihrem
Schmerz auch aufführen, es ist Maddin ernst mit den ganz großen Gefühlen.
Roderick, Fyodors jüngerer Sohn, zum Beispiel ist ein Musterdepressiver:
Seit dem Tod seines Sohnes tritt er nur noch im Kostüm des Elefantenmenschen
auf. Das kalte Herz seines toten Sohnes trägt er, in seinen eigenen Tränen
einbalsamiert, in einem Einmachglas mit sich herum. Aus Sympathie mit den Serben,
deren Landsmann den Ersten Weltkrieg auslöste, tritt er für den traurigen
Balkanstaat im Wettstreit an. Sein Bruder Chester, ein schmieriger Broadway-Produzent,
liebt es eine Nummer größer. Im Schlepptau hat er die anämische
Narcissa mit ihrem orakelnden Bandwurm, die Rodericks verschollener Frau wie
aus dem Gesicht geschnitten ist.
Maddin kann in “The Saddest Music in the World” seine
Schwäche für seine weiblichen Figuren, die er gerne auch zu Musen
überhöht, nur schwerlich verhehlen. Maria de Medeiros in der Rolle
der Narcissa zum Beispiel, wie sie engelsgleich (und in Farbe) auf einer Schaukel
das kitschige „The Song Is You" säuselt. Isabella Rossellini, die
Lady Port-Huntly spielt, vergöttert er regelrecht – und wer kann es ihm
verübeln? Mit ihrer blonden Vamp-Frisur ist sie die perfekte Verkörperung
der klassischen Femme Fatale. Rossellinis loses Mundwerk treibt Maddins Filmen
ihre sanfte Sprachlosigkeit gründlich aus. In gewisser Hinsicht ist sie
die korrupte Kehrseite der Wissenschaftlerin Anna aus seinem fünfminütigen
Meisterwerk “Heart of the World”, die ins Innere der Erde kriecht, um das kollabierende
Herz der Welt zu ersetzen. Die Frau als Herz der Welt. Männer sind bei
Maddin meistens Schlappschwänze. Der männlichste Mann, den er persönlich
kennt, sagt er, sieht für ihn aus wie Duffy Duck.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Freitag
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
The
Saddest Music in the World
Kanada 2003
- Regie: Guy Maddin - Darsteller: Isabella Rossellini, Mark McKinney, Maria
de Medeiros, Ross McMillan, David Fox, Claude Dorge, Darcy Fehr, Erik J. Berg,
Graeme Valentin, Maggie Nagle - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 99 min. - Start:
7.12.2006
zur
startseite
zum
archiv