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Sadistico
Nur die Liebe lässt
uns sterben
Anders als Fernsehsprecher profitieren Rundfunksprecher
nach wie vor von der Aura des Schleiers des Pythagoras, die ja eigentlich keine
sein sollte: Der Schleier hatte die Aufgabe, die Person des Lehrers zu verhüllen
und die Aufmerksamkeit des Hörers auf das bloß Gehörte zu fokussieren.
Vermutlich hat das schon damals nicht funktioniert (und die auch schon in die
Jahre gekommene akusmatische Musik ein später Fall des visuell Verdrängten).
Im Radio geht aber alles mit rechten Dingen zu. Man hört mehr oder weniger
zu und die Sicht ist frei. Was aber passiert, wenn man eine Stimme nicht mehr
aus dem Kopf bekommt. Wenn diese Stimme einen anspricht ohne einen zu kennen?
Wie ein Radio-DJ, der eine bestimmte Musik für einen auflegt?
David Garver (Clint Eastwood) ist ein braver Mann
und denkt sich nichts Böses bei dem Ritual, das sich jeden Abend wiederholt,
wenn er für Evelyn (Jessica Walter) immer wieder dieses eine Stück
spielt: „Misty“. Der Plattenspieler scheint eigens für diesen Song im Studio
zu stehen. Easy Listening für einsame Herzen. Die meisten bleiben ja Gott
sei dank einsam und brav zu Hause. Aber Evelyn hat ein Auto und könnte
sowieso problemlos eine Wissenschaftlerin oder eine begnadete Bild-Reporterin
abgeben. Zähes Geschöpf, wie man später merkt. Selbstverständlich
lernt sie Dave früher kennen als er sie. In dieser kuriosen Bar, die aussieht
wie eine künstlerisch verunstaltete rote Tankstelle. Undurchsichtige räumliche
Verhältnisse hinter dem Tresen. Dann spielen Dave und der Barkeeper eine
Art „Free Schach“, allerdings ohne den potenzierenden Faktor bis zur unerträglichen
Zumutung. So was lockt die Frauen an, aber Evelyn wäre auch so gekommen.
Doch von dieser Neugier weiß Dave natürlich noch nichts. Etwas später
liegen die beiden schon im Bett. Obwohl es Tobie gibt (Donna Mills), die Dave
liebt, die aber gerade nicht in der Stadt ist. Spurlos verschwunden. Also eine
kleine Affäre, weil er nicht weiß, wie und ob es weitergeht. Evelyn
klärt Dave auf, warum sie in der Bar war. Dass sie ihn dort erwartet hat.
Dass sie ein großer Fan ist und dass sie es ist, die sich immer dieses
Lied wünscht. Grund genug, geschmeichelt zu sein. Evelyn ist nicht hässlich
und zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar als „modifizierter Hund“.
Die erste wirkliche Begegnung mit Evelyn steht noch
aus, erst beim zweiten Mal merkt er, was los ist. Als sie den Kühlschrank
auffüllt und überhaupt ohne Ansage vorbeischneit. Dave ist verärgert,
aber nur kurz, Dave hat ein großes Herz. Ab jetzt hat Evelyn eine Dauerkarte.
Zwar nicht gern, aber oft gesehen. Evelyn versteht offensichtlichste Signale
nicht. Dass sie nervt und eigentlich Schluss sein sollte. Für sie geht
es erst richtig los. Sie schaut jeden Tag vorbei. Kann nicht begreifen, dass
ihr neuer Freund nicht begeistert ist, sie zu sehen. Dass er sich mit anderen
Frauen trifft, und sei es geschäftlich. Natürlich entschuldigt sie
sich immer für ihr rufschädigendes Verhalten. Aber diese Liebe ist
zu tief, als dass sie von ihm lassen könnte. Wenn nichts mehr hilft, ritzt
man sich ein wenig die Pulsadern auf. Vielleicht bringt Pflege die ersehnte
Liebe? Nein. Dann muss Dave bestraft werden. Die Wohnung wird auseinander genommen.
Die Haushälterin überrascht die Harpyie. Das kostet ihr fast das Leben.
Evelyn wird in eine Nervenheilanstalt eingeliefert, der Weg für Dave und
Tobie ist frei.
In einem herrlichen Zwischenfinale, das sich erst
nach seinem Ende als Zwischen zu erkennen gibt, feiern die beiden ihre wieder
gefundene Liebe zueinander, in der Natur, beim Sonnenuntergang, im kühlen
Bergsee, und zuletzt auf dem tollen Monterey-Popfestival, das auch Gesine Schwan
zu seinen Gästen zählt. Die Zuschauer werfen sich unsichere Blicke
zu und meinen, dass das ein Ende sein könnte, das Happyend, aber ein ungutes
Gefühl macht sich allenthalben breit, dass die Attacke gegen die Haushälterin
nur ein Stellvertreterding war. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Aber
man weiß ziemlich genau, wie sie enden wird. Evelyn wird natürlich
entlassen und taucht wieder auf. Stiftet Unruhe. Wirft sich zwischen das Paar.
Der Kommissar ist ein Tölpel und wird dafür mit Tod bestraft. Dave
als eigene Hauptfigur des Regisseurs darf freilich nicht so kümmerlich
sterben. Er wird attackiert von dem Frauenmonster, es ist zu spät, sie
von ihrer überspitzten Liebesvorstellung zu heilen, Dave überwältigt
sie, sie stürzt ins Meer, hier kann sie sich gut mit ihrer inneren Unendlichkeit austauschen. „Sadistico“
hat die Dramaturgie eines präzise ablaufenden, unabänderlichen Einakters.
Aber ein so ausuferndes Mittelstück mit dem bewährtesten aus der Kitsch-Corner
hat man selten gesehen. Respekt vor dieser Tat.
Dieter Wenk (07.05)
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei:
Sadistico
PLAY
MISTY FOR ME
Sadistico
- Wunschkonzert für einen Toten
USA
- 1970 - 102 min. FSK: ab 18; Erstaufführung: 28.1.1972
Regie:
Clint Eastwood
Buch:
Jo Heims, Dean Riesner
Vorlage:
nach einer Erzählung von Jo Heims
Kamera:
Bruce Surtees
Musik:
Dee Barton
Darsteller:
Clint
Eastwood (Dave Garland)
Donna
Mills (Tobie Williams)
Jessica
Walter (Evelyn Draper)
John
Larch (McCallum)
Irene
Hervey (Madge Brenner)
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