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Saint
Jacques ...
Pilgern auf Französisch
Wandern ist in. Wandern auf dem Jakobsweg noch
viel mehr. So kommt diese französische Tragikomödie über eine
Gruppe illustrer Pilger zur rechten Zeit in unsere Kinos.
„Ich bin dann mal weg“ lautet der Titel einer seit
Monaten auf den Bestseller-Listen ganz oben rangierenden Reise-Reportage des
Comedian Hape Kerkeling, in der er seine Erlebnisse und Eindrücke rund
um die Wanderung auf dem historischen Jakobsweg von St.-Jean-Pied-de-Port bis
zum Ziel im galizischen Santiago de Compostela in der von ihm gewohnt humoristischen
Form festhielt. 600 Kilometer allein mit sich, seinen Gedanken und der Natur.
Wenngleich der Pilgerweg als Teil einer Wallfahrt zu den Gebeinen des Apostels
Jakobus bereits von Millionen Gläubigen gegangen wurde, spielt für
die meisten der heutigen Jakobsweg-Wanderer der religiöse Aspekt nur noch
eine untergeordnete Rolle.
So auch im neuen Film der französischen Regisseurin
Coline Serreau. Rund 20 Jahre nach ihrem Welterfolg Drei
Männer und ein Baby (3 hommes et un couffin,
1985) schickt sie drei ungleiche, miteinander zerstrittene Geschwister auf Wanderschaft
bis in den spanischen Wallfahrtsort. Ihnen geht es dabei nicht um spirituelle
Erleuchtung, eher treiben sie Neid, Missgunst und die Aussicht auf den einen
oder anderen Euro an. Denn das Erbe ihrer Mutter wird erst ausbezahlt, wenn
Clara (Muriel Robin), Pierre (Artus de Penguerin) und Claude (Jean-Pierre Darroussin)
zuvor zusammen bis nach Santiago de Compostela gepilgert sind. So sieht es eine
Klausel im Testament vor.
Die drei Geschwister schließen sich einer bunten
Reisegruppe an, deren Teilnehmer aus ganz unterschiedlichen Gründen den
langen Weg auf sich nehmen. Während der junge Araber Saïd (Nicolas
Cazalé) seiner Liebe (Marie Kremer) nahe sein will, die mit einer Freundin
(Flore Vannier-Moreau) die ihr geschenkte Reise antritt, glaubt sein hoffnungslos
naiver Cousin Ramzi (Aymen Saïdi), dass sie am Ende in „Santiago de Mekka“
ankommen werden. Mathilde (Marie Bunel) hofft dagegen, nach einer überstandenen
Chemotherapie neuen Lebensmut zu fassen und ganz nebenbei die Frage nach dem
Sinn des Lebens beantwortet zu bekommen.
Damit ist das Tableau für ein Road-Movie der
etwas anderen Art bereitet. Denn vorwärts geht es in Saint
Jacques ... Pilgern auf Französisch
(Saint-Jacques... La Mecque) nur sehr gemächlich und ganz ohne motorisierte
Unterstützung. Auf dem wochenlangen Marsch durch die französische
und spanische Provinz, vorbei an idyllischen Flüssen, kargen Berglandschaften
und pittoresken Ortschaften, müssen sich die drei Streithähne zunächst
mit den Gegebenheiten arrangieren, bis sie schlussendlich – und das ist keine
Überraschung – ihre Feindseligkeiten ad acta legen.
Nicht zu übersehen sind dabei die Hinweise,
dass sich die Reise vor allem auf einer symbolischen Ebene abspielt. In surrealen
Traumsequenzen kommt es bei einigen der Teilnehmer zu einer Konfrontation mit
den eigenen Ängsten und Sehnsüchten. Für Clara, Pierre und Claude
besteht die Aufgabe darin, zu sich selbst zu finden und den langen Weg bis dahin
trotz mancher Widrigkeiten zu meistern. Getreu der alten Losung, wonach der
Weg das Ziel ist.
Serreau verordnet ihren Hauptfiguren eine seelische
Rosskur, die weitgehend vorhersehbar und schematisch abläuft. Da wandelt
sich der hypochondrische, notorisch gestresste Manager in einen naturliebenden
Wander-Fan und die der Pilgerschaft anfänglich geradezu feindlich gesonnene
Kirchenkritikerin beobachtet andächtig den Verlauf der heiligen Messe.
Zudem haftet dem Ausgang angesichts der zuvor thematisierten Probleme und Krisen
– die Palette reicht von verstecktem Ausländerhass über eine Krebserkrankung,
Alkoholismus bis zum unerwarteten Todesfall – zu sehr der Geschmack eines süßlichen
und daher unglaubwürdigen Happy End an.
Überhaupt wimmelt es im Film von unglaubwürdigen
Figuren, die höchstens als Karikatur funktionieren und die Serreaus Anspruch,
die Pilgergruppe möge eine ernsthafte Allegorie auf unsere westliche Gesellschaft
abgeben, zuwider laufen. So scheint der von Artus de Penguerin verkörperte
Fabrikbesitzer Pierre in seinem hektischen Gestus und den cholerischen Anfällen
den Rollen des großen Louis de Funès nachempfunden zu sein. Eine
Idee, die nach hinten losgeht, weil sie nur schmerzlich ins Gedächtnis
ruft, wie weit der Film von jenen de Funès-Klassikern entfernt ist. Und
einen von Leistungswahn und arrogantem Perfektionismus getriebenen Geschäftsmann
stellvertretend für die heutige Manager-Generation heranzuziehen, zeugt
nur davon, dass es der Regisseurin augenscheinlich gefällt, alte Klischees
neu aufzuwärmen.
Saint Jacques
mag zu gleichen Teilen als Wohlfühlfilm und mikroskopische Gesellschaftsstudie
konzipiert worden sein. Während letztere aus den zuvor genannten Gründen
misslingt, schaffen es die exaltierten Charaktere zumindest mit ihren Spleens
und Manierismen, den einen oder anderen Lacher zu produzieren. Serreaus Film,
dem der hiesige Verleih den Untertitel „Pilgern auf Französisch“ verpasst
hat – was nach Italienisch
für Anfänger (Italiensk for begyndere,
2000), Französisch für Anfänger (Échange, 2006) und Schwedisch
für Fortgeschrittene (Heartbreak Hotel,
2006) reichlich ideenlos anmutet – findet sich trotz höherer Ambitionen
und aller dramatischen Untertöne auf dem Niveau einer ganz gewöhnlichen
und harmlosen Komödie wieder. Dass er zwei Jahre nach seinem Start in Frankreich
nun auch bei uns eine Kinoauswertung erhält, könnte er einem gewissen
Hans-Peter Kerkeling zu verdanken haben.
Marcus Wessel
Dieser Text ist zuerst erschienen bei: www.critic.de
Saint
Jacques ... Pilgern auf Französisch
(Saint-Jacques... La Mecque); Frankreich 2005; 103 Minuten; Regie: Coline Serreau;
Drehbuch: Coline Serreau; Produzent(en): Charles Gassot; Mit Muriel Robin, Artus
de Penguerin, Jean-Pierre Darroussin, Nicolas Cazalé, Aymen Saïdi,
Flore Vannier-Moreau, Marie Kremer
Kinostart:
6.9.2007
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