Samurai Fiction
Japaner sind cool.
Spätestens seit die Diesel Jeans-Werbung sie entdeckt hat, hat sich
diese Erkenntnis auch hierzulande langsam durchgesetzt. Manga und
Anime haben sich inzwischen einen festen Platz in der Populärkultur
erobert, Acts wie Pizzicato Five und Towa Tei rotieren global auf
Club-Plattentellern, die tollsten Videospiele kommen seit jeher aus
dem Land der aufgehenden Sonne - und atemberaubendes Kino ebenso.
Einer der coolsten Japaner - nach Takeshi Kitano; an den kommt
keiner ran - ist Hiroyuki Nakano. Ein Multitalent zwischen Video,
Multimedia und Film, bei uns vor allem bekannt durch seinen Clip zu
Deelites "The Groove is in the Heart". Eines seiner jüngsten
Projekte ist "SF" - ein Label, unter dessen Initialen 140 "Episoden"
geplant sind (deren Titel, so lehrt uns das Presseheft, unter
anderem STEREO FUTURE, SILENT FEMME, SONIC FIONA und SUPER FUNKY
lauten werden). Den Auftakt macht SAMURAI FICTION - zugleich das
Debut von Hiroyuki Nakano als Spielfilmregisseur.
rapid eye movies, der kleine aber feine Verleih, der sich in den
letzten Jahren um die Etablierung des asiatischen Films in
Deutschland äußerst verdient gemacht hat, setzt bei der Vermarktung
von SAMURAI FICTION ganz auf dieses Image des trendsetzenden
Fernostens. Und es ist sehr zu wünschen, dass damit das japanische
Kino einen weiteren Schritt aus der Nische der Cineasten schafft.
Das Interesante dabei aber ist, daß Hiroyuki Nakano mit seinem Film
den Blick eher rückwärts wendet: Nicht in den Cyberspace geht es bei
ihm, und nicht in die Abgründe der heutigen japanischen Gesellschaft
- nein, mit SAMURAI FICTION präsentiert er ein waschechtes
Samuraidrama.
Na ja, waschecht ist vielleicht doch zuviel gesagt: Nakano beruft
sich zwar ausdrücklich (und ohnehin unverkennbar) auf Akira Kurosawa
als großes Vorbild für diesen Film. Aber man merkt SAMURAI FICTION
schon unzweifelhaft an, daß es ein Film der späten 90er ist.
Unmittelbarer Beweis ist der Soundtrack von Tomoyasu Hotei: Eine
wilde - und sehr gelungene - Mischung aus traditionellen Elementen,
J-Pop, Rock, Funk, und aktuellen Dance-Stilen, die durchaus jene
Assoziationen zur Tarantino-Ästhethik erlaubt, die der Titel
nahelegt (und der Film sonst kaum einlöst).
Dazu gesellt sich eine immer wieder durch überlegt gesetzte
Farbeinsprengsel aufgebrochene Schwarz-Weiß-Fotografie, die häufig
mit Verfremdungseffekten arbeitet.
Die Geschichte hingegen bewegt sich durchaus im Rahmen der
Tradition: 1696, in der Edo-Ära, wird dem Nagashima-Clan das
unersetzliche Schwert des Shogun gestohlen. Während der Klanälteste
mit faulen Tricks die Ehre seiner Familie retten will, heftet sich
sein Sohn Heishiro (Mitsuru Fukikoshi) zusammen mit zwei
Jugendfreunden auf die Fersen des finsteren Diebes Kazamatsuri
(Tomoyasu Hotei - jawoll, der Herr Filmkomponist!). Für den jungen
Recken wird die Jagd zu einem Weg des Erwachsenwerdens, auf dem ihm
der Ronin Hanbei (Morio Kazama) als Lehrmeister begleitet und
Heishiro nicht nur entdeckt, was es wirklich heißt, ein Samurai zu
sein, sondern auch die Liebe findet.
Innerhalb dieses Rahmens läuft vieles allerdings ganz anders als
gewohnt (weshalb SAMURAI FICTION anfangs besonders Spaß macht, wenn
man ein wenig mit den Vorbildern vertraut ist und man die Brüche mit
der Tradition zu lesen versteht. - Aber keine Angst: Auch, wer noch
nie einen Kurosawa gesehen hat, wird mit dem Film noch genug
anzufangen wissen.): Heishiros Vater, der Klanälteste, ist so gar
nicht der überlegene, in sich ruhende, kühle Meister, den man
erwarten müsste - statt dessen bekommen wir einen eher vertrottelten
und von seiner eigenen Wichtigkeit aufgeblähten Hanswurst, der
ständig mit den Widrigkeiten der Welt hadert.
Und Heishiro und seine Freunde gehen weit über das Maß hinaus, daß
ein Kurosawa zur Darstellung jugendlichen Ungestüms gebilligt hätte:
Das Trio ist so hemmungslos albern und von solch einem
unaufhaltsamen Bewegungsdrang getrieben, dass einem beim bloßen
Zuschauen schon fast die Puste ausgeht.
Dazu gesellen sich ungeschickte Ninjas, die Betreiber eines
turbulenten Glücksspiel- und Freudenhaus und dergleichen bizarre
Nebengestalten mehr.
Zunächst drängt sich deshalb der Verdacht auf, worum es Nakano wohl
ginge, wäre eine parodistische Hommage, ein augenzwinkerndes
Eingestehen, dass die Vorbilder zwar großartig seien - aber auch
überholt. Er scheint Traditionen eher lächerlich machen zu wollen, SAMURAI FICTION erweckt den
Eindruck, als arbeite er mit an den allgegenwärtigen
Abbrucharbeiten, die die japanische Gesellschaft seit einigen Jahren
an ihren altehrwürdigen, rigiden Normen, Werten und
Verhaltensmaßregeln vornimmt.
Diese Ausgangsposition ist aber in Wirklichkeit nicht die
Grundhaltung des Films. Sie dient eher dazu, uns heutige Zuschauer
zu ködern, die wir ja meist so selbstsicher meinen, über der
kitschig und altmodisch anmutenden Moral früherer Zeiten zu stehen.
Heishiros Lernprozeß wird nämlich auch fürs Publikum zum Weg der
Erkenntnis: Denn Nakanos eigentliches Projekt ist es, etwas von den
tradierten Werten wieder auferstehen zu lassen. Heishiro muß
tatsächlich zum Samurai alter Prägung werden, um Sieg und
persönliches Glück zu erheischen. (Und das japanische Kino sollte
sich wohl, so kann man SAMURAI FICTION lesen, auch wieder darum
bemühen, das Erbe seiner "Klassiker" unmittelbarer am Leben zu
erhalten.)
Es ist kein Zufall, dass der Film gerahmt ist durch die Stimme des
Samurais Heishiro, der, als Geist über den Wolken, zurückblickt auf
die Ereignisse vor 300 Jahren: Die Botschaft dieser längst
vergangenen Geschichte will eine Botschaft für heute sein. "When
a man abandons ego and obstinacy, he can accept the gods and learn
how to truly love. It took me a long time to realize that essential
truth. The most important thing is to give your all until the very
last," heißt sie.
Daß aber selbst diese doch etwas esoterisch schwurbelnde,
spirituelle Message zum Schluss nicht peinlich oder dumm wirkt,
sondern tatsächlich etwas Anrührendes hat - das ist der beste Beweis
für die Kraft Nakanos als Regisseur.
So ganz an die klassischen Vorbilder reicht Hiroyuki Nakano dennoch
nicht heran: Kurosawa, Seijun Suzuki, Kato Tai und Kollegen bleiben
unerreicht. Und auch mit dem, was das zeitgenössische japanische
Kino als allerbeste Highlights zu bieten hat, kann er sich nicht
voll messen: Es fehlt einerseits ein wenig die Klarheit und Strenge,
die Tiefe der Konzentration, die schweigsame Größe, die japanische
Filme oft so atemberaubend macht, andererseits der Wille oder Mut
zum Radikalen und Bizarren, der das Underground-Kino Nippons meist
zum Augen- und Hirn-Durchputzer werden läßt.
Aber das, was er macht, macht er gut genug, um einiges über dem zu
stehen, was sonst so durch die Kinos geistert. Ganz offensichtlich
ist Hiroyuki Nakano mit Spaß, Begeisterung und Herz zu Werke
gegangen, und das überträgt sich auf's Publikum. Also: Wer ohnehin
auf asiatische Filme steht, sollte sich SAMURAI FICTION sowieso
nicht entgehen lassen. Und allen anderen, die einfach nur ein
schönes Kinoerlebnis haben wollen, sei er nicht nur ebenso ans Herz
gelegt, sondern auch gesagt: Wer mit diesem Film erstmals die
Entdeckung macht, daß fernöstliches Kino cool ist, darf sich noch
auf viel mehr Großartiges freuen - SAMURAI FICTION könnte da der
Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein.
Thomas Willmann
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Samurai Fiction
JAP 1998 - 111 Minuten -
Regie: Hiroyuki Nakano
Kamera: Yujiro Yajima
Drehbuch: Hiroshi Saito
Besetzung: Mitsuru Fukikoshi, Tomoyasu Hotei, Morio Kazama, Tamaki
Ogawa u.a.