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Sarabande
Ganz
schön heftig, dieser neue Bergman-Kompakt-TV-Film. In der Abgeschiedenheit
schwedischer Wälder treffen drei Generationen aufeinander, und das mit
voller Wucht. Es wird gedemütigt und gehaßt, wortreich geschwiegen
und wenig geliebt wie vor dreißig Jahren, als Erland Josephson und Liv
Ullmann sich Szenen machten ("Szenen einer Ehe"). Die beiden tanzen
jetzt die Sarabanden-Metapher. Mit viel Worten. Was wir sehen, sind sprechende
Köpfe, Alte. Josephson ist 80, die Ullmann 65, Ingmar Bergman 86. Wir können
kein Auge abwenden. Bergman ist unerbittlich, radikal. Für die Kamera zeichnen
gleich fünf Personen. Aufs Bild kommts nicht an. Kein Sven Nykvist dabei.
In den zehn Paar-Szenen wird mit dem schieren Wort miteinander umgegangen. Damit
wird es unmöglich, sich den 106 Minuten Wortgefecht zu entziehen. Selbst
in den Pausen bohren sich die Großaufnahmen sprechender Gesichter in den
aufnahmewilligen Zuschauer, und wenns ein jäher Schnitt auf einen bunten
Lampion ist, - auf ein doch objektiv harmloses Mondgesicht.
Mit
anderen Worten, wer zuschaut, ist schwer involviert. Er merkt das erst, wenn
es zu spät ist. Vielleicht liegt das auch am authentischen Exzeß.
Wer war darauf gefaßt? Denn es ist nicht fiktiv, daß im Film ein
Johan und eine Marianne sich nach vielen Jahren Ehe & Scheidung wiedersehen
und alte Rituale wiederbeleben. Tatsächlich fallen sich nach der großen
Entfremdung Erland Josephson und Liv Ullmann in die Arme. Um sich flugs wieder
zu lösen und auf die altgewohnte Distanz zu gehen. Einwandfrei eine dokumentarische,
ergreifende Szene, die weggeredet werden kann aber nicht wird. Grade weil "Sarabande"
quasidokumentarisch beglaubigt ist, ist das Bergman-System geschlossen. Eine
bitterböse Familien-Falle.
Zwar
schimmert in Gestalt der dritten Generation ein schwacher Hoffnungsschimmer
auf. Die junge Karin, schön anzusehen und begehrt vom eigenen Vater wie
auch Großvater gleichzeitig, versucht sich aus den libidinösen und
latent inzestuösen Verstrickungen loszustrampeln. Wir wünschen ihr
die Befreiung, aber wir ahnen Böses. Zum Beispiel, daß sie wie die
arme Martha sprachlos in der Abteilung landet, die ihrerseits geschlossen ist.
Und wird die zarte Katrin abwehren können, womit sie von Papa und Opa längst
infiziert worden ist: die Erbarmungslosigkeit und Ausweglosigkeit des Familien-Virus?
No hope.
Wir
wohnen also in "Sarabande" dem Bergman-Versuch bei, seine Familien-Fürchterlichkeit
auf die dritte Generation zu übertragen. Impuls des Zuschauers könnte
sein: ich mach da nicht mit. Und: was gehen mich die Bergman-Obsessionen an.
- Solche Haltung in Ehren, aber sie ist nicht durchzuhalten. Jeder hat erfahren,
was das ist: in Familien-Ritualen gefangen zu sein und sich ihnen doch bitte
gern entziehen zu wollen, - auch wenn man auf den eigenen Ur-Erfahrungen den
Deckel draufhalten möchte. Bergman nimmt mit "Sarabande" gnadenlos
den Deckel ab. Man muß den Film bewundern, freiwillig oder unfreiwillig,
und zusehen, wie man mit nachhaltig gemischten Gefühlen klarkommt, - mit
tanzender Ambivalenz, affektiver Abneigung und unversehener Eingemeindung.
Dieser
Text erscheint in der August-Ausgabe 2004 von:
Saraband
(Schweden
2003)
TV-Produktion
Regie:
Ingmar Bergman
Drehbuch:
Ingmar Bergman
Kamera:
Stefan Eriksson, Jesper Holmström, Per-Olof Lantto, Sofi Stridh, Raymond
Wemmenlöv
Schnitt:
Sylvia Ingemarsson
Länge:
120 min
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