Saving Private Ryan
Nach
einem komplizierten, von mir selbst entwickelten Verfahren ergibt sich, daß
Steven Spielberg der wichtigste Regisseur unserer Zeit ist. Setzt man die Faktoren
Zuschauerzahlen, Bekanntheitsgrad und Preiseabzocken in ein Verhältnis
zueinander, so läßt er Kollegen wie Cameron, Coppola und (hihihi)
Emmerich weit hinter sich. Klassiker des populären neuen Hollywoods wie
z.B. “Der
weiße Hai”,
“E.T.”,
“Indiana
Jones”
und “Jurassic
Park”
zieren seine Filmographie, aber seine einsame Spitzenposition konnte Stevie
vor allem durch “Schindler’s
Liste”
erobern, der ihn zum Liebling auch des Flachfeuilletons a la Karasek avancieren
ließ und ihm schlußendlich mehrere von ihm so lange heiß begehrte
Oscars und gerade letztens nebenbei auch noch das Bundesverdienstkreuz verschaffte.
Spielie
fand Geschmack an der Kunst, verdammte den Kommerz und versprach nur noch ernsthafte
Filme zu machen, “Jurassic Park II” muß wohl aus akuter Geldnot entstanden
sein. Egal, jetzt ist der geläuterte Spielberg wieder da, und nachdem er
uns die mittlerweile allgemein akzeptierte Einfachversion des Holocaust geliefert
hat, möchte er nun der Menschheit helfen, ein weiteres schwieriges Thema
intellektuell abzuschließen, nämlich den Krieg. Zu diesem Behufe
drehte Stevie einen sogenannten Antikriegsfilm, der das Genre und die öffentliche
Diskussion durch seine vermeintliche Ultimativität zu ihrem Ende führen
soll.
Ich
halte die Auseinandersetzung mit Spielbergs Filmen, insbesondere mit “Schindler’s
Liste” und “Saving Private Ryan” für extrem wichtig, weil sie populärmeinungsbildend
sind und weil die restliche Kritik vor Begeisterung größtenteils
Purzelbäume schlägt. Deshalb, liebe Kinder gebt fein acht, dann wißt
ihr am Ende, warum ein Film, den alle toll finden, in Wirklichkeit scheiße
ist. Gucken müßt ihr “Saving Private Ryan” aber auf alle Fälle,
schon damit ihr mitreden könnt.
Der
Hammer, den Spielberg in seinem Film extrem geschickt schwingt, heißt
“Authentizität”. Der Film sei von grausamster Ehrlichkeit, sagt die Kritik.
“Ja, so war es wirklich”, schreien alle und zitieren Expertenmeinungen: angeblich
haben in den USA Veteranen des II. Weltkrieges, die den Film sahen, das Kino
fluchtartig verlassen, gehetzt von ihren furchtbaren Erinnerungen. Dieses Urteil
scheint jeden Einwand gegen den Film mundtot zu machen. Ich kann nicht sagen,
wie es wirklich war, aber ich kann etwas dazu sagen, wie in “Saving Private
Ryan” Ehrlichkeit und Wirklichkeit inszeniert wird.
Steven
Spielberg ist ein hervorragender Regisseur, das beweist er wieder einmal in
den Schlachtszenen seines jüngsten Filmes, insbesondere in jener ersten
Sequenz, über die jeder spricht und die keiner vergessen kann, der den
Film gesehen hat. 20 Minuten lang wird uns gezeigt, wie amerikanische Soldaten
versuchen an einem Strand zu landen, der von den Deutschen gehalten wird, irgendwo
in Nordfrankreich am Tag der Invasion der Alliierten. Um das Massensterben angemessen
in Szene zu setzen, hat Spielberg ein Filmmaterial und ein Licht gewählt,
die zusammen sehr scharfe, klare, etwas fahle Bilder liefern, die an alte amerikanische
Wochenschauen erinnern sollen, dazu eine Kamera, die in Bewegungen und Perspektiven
einen subjektiven Blick imitiert, nostalgischen Subjektivismus oder so könnte
man dieses Vorgehen nennen.
Wir
befinden uns mitten zwischen hunderten von Angst geschüttelten Soldaten
auf einem Landeboot, die Kamera rast umher, sieht die Anspannung und die Todesangst
in den Gesichtern der Männer, letzte Kommandos werden gebrüllt, dann
öffnet sich die Rampe und Reihen von Menschen werden von Kugeln niedergemäht,
unser unmittelbarer Nachbar bekommt einen Kopfschuß, alle stürzen
sich ins Wasser, ertrinken, kämpfen sich voran, über bereits Gefallene
hinweg, über Schwerverletzte auf den Strand, ein Inferno aus Wasser, Sand
und Blut, lange, lange 20 Minuten, die Kamera immer mittendrin.
Ohne
Zweifel: Diese Schlachtszenen könnten Filmgeschichte machen. Spielberg
geht an die Schmerzgrenze, sowohl in Bezug auf die gezeigten Grausamkeiten,
als auch in Bezug auf die zeitliche und räumliche Dynamisierung der Inszenierung.
Hier ist “Saving Private Ryan” grandios, nicht wegen seines angeblichen Realismus,
(was könnte dafür ein Kriterium sein?) sondern weil er perfekt illusionistisch
durchinszeniert ist. So achtet Spielberg beispielsweise streng darauf, daß
der Zuschauer trotz des Tempos und der subjektiven Kamera, die keinen Überblick
gestattet, nicht die Orientierung im Schlachtgetriebe verliert und fügt
verschiedentlich Totalen aus den deutschen Bunkern oberhalb des Strandes ein,
natürlich absurde Einstellungen ginge es wirklich um die Perspektive eines
amerikanischen Soldaten. Außerdem nutzt Spielberg das Massaker bereits
geschickt und unauffällig als Exposition für seine spätere Geschichte,
relevante Figuren werden uns mit bestimmten wesentlichen Charakterzügen
vorgestellt, allen voran Tom Hanks als Captain John Miller. Und genauso sind
natürlich auch die Wahl des Materials und der Kamerastrategien ästhetische
Entscheidungen im Dienste bestimmter Effekte.
Die
ästhetische Strategie, die diese Bilder und Effekte insgesamt prägt,
nämlich das Angebot quasi dabeizusein, scheinbar die Perspektive von Menschen
in Todesangst und akuter Lebensgefahr einzunehmen und mittels perfekter filmischer
Illusionsmaschinerie den angemessenen Thrill beim Zuschauer zu erzielen, ist
ohne Zweifel diskussionswürdig. In “Schindler’s Liste” hat Spielberg dieses
Vorgehen auf die Spitze getrieben, wenn er die Zuschauer mittels subjektiver
Kamera in einen Viehwaggon voller jüdischer KZ-Häftlinge versetzt
oder wenn er, Gipfel der unverschämtesten und ignorantesten Anwendung populärcineastischer
Mittel der Spannungserzeugung auf Nichtdarstellbares, wenn er also eine subjektive
Kamera mit einer Gruppe nackter Juden zum Duschen schickt, den Zuschauer mit
seinem Vorwissen über die Tötungsstrategien der Nazis kitzelnd.
Die
Schlachtszenen in “Saving Private Ryan” sind eine konsequente Fortführung
dieses spielbergschen subjektiven Quasiempirismus, der Realismus genannt wird,
darüber muß man diskutieren, und nicht über die Frage, ob soviel
Gewalt und Grausamkeit dem popcornessenden Kinobesucher nach einem langen Arbeitstag
zugemutet werden darf.
Und
weiter geht’s mit deconstructing
Steven:
Der
Film beginnt und endet mit der leinwandfüllenden amerikanischen Flagge,
konsequenterweise, denn was Spielberg uns zeigt, ist ein gerechter reinamerikanischer
Krieg gegen das Böse, wo, wann und warum ist sowohl Spielberg, als auch
seinen Filmfiguren, die man sich allesamt genauso gut mit der gleichen soldatischen
Arbeitsauffassung im Vietnamkrieg vorstellen könnte, ziemlich egal.
Alliierte
Verbündete kommen gar nicht vor, die Feinde, in diesem Fall eben Deutsche,
nur als stereotype Untermenschen. Der einzige Deutsche mit mehr oder weniger
menschlichem Antlitz winselt als Gefangener feige um Erbarmen, biedert sich
in schlechtem Englisch bei den Amerikanern an, bis Tom Hanks ihm großmütig
das Leben schenkt. Gedankt wird es ihm nicht, in der letzten entscheidenden
Schlacht kämpft der ehemalige Gefangene der Amerikaner undankbarerweise
wieder munter bei den Deutschen mit.
Der
Übersetzer der Gruppe um Hanks, ein unerfahrener Bücherwurm, der sich
vehement für das Leben des gefangenen Feindes eingesetzt hatte und sich
in der finalen Schlacht als einziger amerikanischer Feigling im Film erweist,
er kann diese Scharte auswetzen, indem er den renitenten Deutschen der Logik
des Filmes folgend legitimerweise am Schluß doch noch exekutiert. Das
sichert ihm das eigene Überleben, während Hanks, heldisch as heldisch
can be, bis zum letzten Blutstropfen und bis zur letzten Patrone zu kämpfen
bereit ist, um seinem Ersatzsohn Ryan alias Matt Damon mit seinem letzten Atemzug
noch einen letzten Auftrag zuzuflüstern: “Earn this.”
Ein
großes Wort, gelassen ausgesprochen. Denn mit “this” sind die ungefähr
8 Haupt- und ca. 200 Nebentoten des Filmes gemeint, die ihr Leben für den
absurden Auftrag opferten, eben diesen Fallschirmjäger Ryan, letzter Überlebender
von vier Brüdern, und am Tag der Invasion hinter den Deutschen Linien abgesprungen,
nach hause zur gramgebeutelten Mutter zu holen. Eine absurde Idee finden auch
Hanks mit der Sohnheimbringaktion betraute Männer, nur hoffend, daß
Soldat Ryan den ganzen Aufwand wert ist, daß er sich würdig zeigt,
daß er sich richtig verhält.
Die
Frage nach dem individuellen moralisch richtigen Verhalten in schwierigen Zeiten
überlappt den ganzen Film: Sie betrifft Retter und zu Rettenden, aber auch
die Frauen an der Heimatfront, die nicht nur persönlich verfasste Briefe
der Kameraden über die jeweiligen Todesumstände der Gefallenen abtippen
und an die betroffenen Familien schicken, sondern sogar so aufmerksam sind zu
bemerken, daß Mutter Ryan an einem Tag drei Todesbotschaften bevorstehen,
bis hin zu den Offizieren, die darauf unter Berufung auf Lincoln und mit dem
Segen Washingtons reagieren, indem sie den folgenschweren Rettungsauftrag aussprechen.
Das amerikanische Militär als zutiefst menschliche Institution gebildet
aus mitfühlenden Einzelpersonen, dies zu zeigen ist Spielberg wichtiger
als der Schmerz der Mutter, der nur angedeutet wird.
Bei
Spielberg ist der Krieg schicksalsgegeben und die Frage nach dem richtigen Verhalten
im Prinzip immer leicht zu beantworten. Der Auftrag ist schwierig, aber gerecht,
je heldenhafter und soldatischer man ist, desto besser kann man ihn erledigen.
Dabei sind Ängste und traurige Blicke durchaus erlaubt, demonstriert uns
Tom Hanks als Überheld, nur eben Zweifel, Feigheit, Ungehorsam oder gar
Desertieren nicht.
Auch
Matt Damon, wen wundert's, besteht den Moraltest mit dem Titel “Bist Du ein
Held?” mit einer glanzvollen 1: er weigert sich seine Kameraden zu verlassen
und kämpft und tötet lieber noch ein bißchen weiter, wobei der
flugs innerhalb eines Nachmittages zum Ersatzvater avancierte Hanks ganz besonders
auf ihn acht gibt.
Damon
schafft's, soviel darf ich verraten, seine Rettung ist filmklassisch, die amerikanische
Kavallerie greift im letzten Moment ein. Aber der Auftrag des sterbenden Ersatzpapis
an den Soldaten Ryan ist ein lebenslanges Projekt: In einer Art narrativen Klammer
zeigt uns Spielberg am Anfang und am Ende des Filmes einen Soldatenfriedhof
der Gegenwart, der von einem alten Mann und seiner vielköpfigen Familie
besucht wird. Am Schluß steht der ehemalige Soldat Ryan vor dem Grab seines
Retters und bittet mit Tränen in den Augen seine Frau, ihm zu bestätigen,
daß er ein guter Mensch war und ist. Yes,
he earned it,
denkt sich der Zuschauer. Musik brandet auf, Amerikanische Flagge, Stille, Abspann.
Das
ist so heftig und schmalzigkonventionell inszeniert, wie fast der ganze Film.
Auch in diesem Sinne kennt Spielberg keine Schmerzgrenze, Landserromantik, triumphierende
Totalen der siegreichen amerikanischen Flotte, verkitschte Musik zur Erweckung
höchster patriotischer und moralischer Gefühle, all diese Plumpheiten
stehen in einem geradezu schmerzhaftem Kontrast zur Kraft und Wucht der Schlachtszenen,
die mich tagelang nicht losließen.
Erstaunlich
und gefährlich genug allerdings, daß dieser Kontrast von vielen Menschen
nicht wahrgenommen wird, daß sie verkennen, daß ein cineastisch
genialer, aber politisch im besten Falle naiver Regisseur seine Talente nutzt,
um eine durch und durch ideologische Botschaft zu formulieren. Bei genauerer
Betrachtung ist “Saving Private Ryan” nie und nimmer ein Antikriegsfilm, wer
Bock auf Krieg hat, sollte eben einfach moralisch privilegiert sein, dann sind
abgerissene Gliedmaße und hervorquellende Eingeweide schon OK, die des
Gegners sowieso.
Spielberg
soll gesagt haben, er wolle seinen Kindern mehr hinterlassen, als nur seichte
Unterhaltung. Wäre ich sein Sohn, so würde ich ihm sagen: “Nee, Pappa,
laß' den Kram, mach' wieder Filme wie “Duell”,
“Der
weiße Hai”
oder meinetwegen auch “Indiana
Jones”.”
Björn
Vosgerau
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-Archiv mehrere Kritiken.
Saving Private Ryan
USA
1998, Steven Spielberg