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Saw
Der
Serienmörder als Superheld
Kreativität,
Realität und der schuldige Blick in James Wans "Saw"
Zwei
Männer, der Fotograf Adam und der Arzt Lawrence, erwachen in einem heruntergekommenen
Waschraum. Sie wissen nicht, wie sie dort hingekommen sind. Beide sind in den
gegenüberliegenden Ecken des Raumes jeweils an ein Rohr gekettet - zwischen
ihnen liegt eine Leiche in einer Blutlache. Neben ihr ein Revolver. Adam und
Lawrence sind die Opfer eines Serienmörders, der seit einiger Zeit sein
Unwesen treibt. Er tötet nicht eigenhändig, sondern lässt seine
Opfer sich selbst töten, indem er sie in Situationen bringt, die sie mit
ihrem bisherigen moralisch verwerflichen Leben konfrontieren. Und so stehen
auch Adam und Lawrence zueinander in "Beziehung" - ohne es zunächst
zu wissen. Nach und nach entdecken sie Hinweise in ihrer Nasszelle, die darauf
hinaus laufen, dass der eine den anderen ermorden soll - und zwar innerhalb
von sechs Stunden. In Retrospektiven und Parallelhandlungen offenbart "Saw"
nach und nach die einzelnen Erzählfragmente, die zu der Ausgangssituation
geführt haben.
"Der Serienmörder ist noch ein echter Held."
Jean Baudrillard
James
Wangs "Saw" bedient eine Abart des Serienmörderfilms, die auf
ein bestimmtes dramaturgisches Konzept setzt: Nicht mehr der Ermittler (und
schon gar nicht das stets marginalisierte Opfer), sondern der Täter wird
in die Rolle des "Helden" (im Sinne der Figur, die die Handlung forciert)
gesetzt. Dieser bestimmt nicht nur über Leben und Tod, sondern auch, welche
Spuren er der Polizei hinterlässt, wann und ob man ihn entdeckt. Keine
Frage: Dieser Typus Serienmörder hat nichts mit psychopathologischen Triebtäter
aus den jüngsten authentischen Serienmörderfilmen ("Ed Gein",
"Dahmer" oder "Monster")
gemein, die ihren eigenen Obsessionen und Zwängen erliegen. Er steht in
der Tradition eines "Jack the Ripper", des 5-fachen Prostituiertenmörders
aus dem London des späten 19. Jahrhunderts, der ebenfalls Katz und Maus
mit der Polizei spielte und sich nie entdecken ließ.
Ein
neuer Mördertypus
Die
Inszenierung des Serienmörders als souveränem Held begann 1968 in
Peter Bogdanovichs "Bewegliche
Ziele":
Hier ist es Bobby Thompson, ein junger Mann aus gutem Hause, der ohne erkennbaren
Grund zuerst seine Familie und dann in einem Autokino wahllos Zuschauer erschießt.
Am Ende von "Bewegliche Ziele" bricht der Täter jedoch zusammen,
meldet sich sein Gewissen, als er mit den moralischen Konsequenzen seiner Tat
konfrontiert wird. Nicht so der 10 Jahre später im Kino reüssierende
maskierte Serienmörder Michael Myers aus "Halloween".
Dieser entspricht erstmals in vielen Facetten jenem negativen Superhelden, wie
er dann ab den 1980er Jahren den so genannten "Slasher Film" konstituiert.
Aber je mehr dieses Subgenre des Serienmörderfilms sein Sujet ins Fantastische
verlegt (der am Ende eines Films getötete Killer kehrt, wie etwa Jason
Vorhees in "Friday
the 13th",
am Beginn des nächsten Teils aus dem Totenreich zurück um weiterzumorden),
desto mehr verliert der Täter seinen Schrecken. Und so schält sich
1991 mit dem charismatischen Hannibal Lecter (gespielt von Anthony Hopkins)
in "The
Silence of the Lambs"
ein neuer Mördertypus im Genre heraus. (Lecters erster Auftritt in Michael
Manns "Man
Hunter"
von 1986 ist eher der einer zurückhaltenden Nebenfigur).
Was
Hannibal Lecter und seine filmischen Nachahmungstäter John Doe ("Se7en",
1995) oder Carl Starger ("The
Cell",
2000) von den pathologischen Tätern oder den Slashern unterscheidet, ist
ihr modus operandi, "der die kognitiv gesteuerten Tathandlungen beschreibt,
die innere, psychopathologisch bedingte und hochsignifikante Struktur der Tat,
ihre charakteristische Ausprägung hingegen weitgehend unberücksichtigt
lässt."1 . Sie hinterlassen absichtlich Spuren, die nicht nur die
Ermittler lesen sollen, sondern mit denen sie ihre Taten regelrecht "publizieren",
um der Öffentlichkeit ihr dahinter verborgenes Programm zu offenbaren.
Scripted
Reality
Da
es sich hierbei um einen Kommunikationsakt zwischen Täter und Ermittler
(bzw. Öffentlichkeit) handelt, liegt es nahe, die hinterlassenen Spuren
mittels hermeneutischer Verfahren zu entziffern, um eine "Geschichte"
daraus zu konstruieren, an deren (Happy?)-End dann die Ergreifung des Täters
steht. In "Saw" wie auch zuvor in "Se7en" sind die Serienmörder
den Ermittlern aber auch hierin einen Schritt voraus. Denn die Geschichte, die
sie erzählen, ist rein fiktiv. Die Spuren deuten auf einen bestimmten Punkt
hin, der jedoch - das ist nur dem Täter ersichtlich - bereits im Vorfeld
feststeht. Der Ermittler ist keine außenstehende Figur, die wie ein Leser
in diese Geschichte eindringt, sondern als mitkonstruiertes Element immer schon
in ihr. Das Ende des Detektionsprozesses steht fest, und es steht auch fest,
ob der Täter gewinnt oder (wie in "Se7en") verliert.
Eine
solche Erzählung für den Zuschauer des Serienmörderfilms dramaturgisch
plausibel zu gestalten, verlangt, dass das Drehbuch, mehr als in anderen Filmen,
zum Herrn über Wissen und Unwissen wird. In dem Maße, wie in "Saw"
nach und nach durch Einschübe (Rückblenden oder Parallelhandlungen)
Klarheit geschaffen wird, stellt sich nicht allein "Wissen" ein, sondern
auch Verwirrung. Denn die Geschichte, die der Film erzählt, ist nicht geradlinig
und sie ist nicht leicht zu durchdringen. "Saw" webt seine Handlungsfäden
geschickt und inszeniert gleich zwei Identifikationsfiguren - die gefangenen
Adam und Lawrence, deren Erinnerung an ihr Leben vor der Gefangenschaft auch
nur nach und nach dargelegt wird. Dass beide nicht zufällig (oder unabhängig
voneinander) ausgewählt wurden, um sich in ihrer Gefangenschaft gegenseitig
mit dem Tod zu bedrohen, ist dabei nur das oberflächliche Rätsel.
Der
Plot von "Saw" unterliegt wie jeder Filmplot einem Ordnungskonzept,
das die anfängliche größtmögliche Verwirrung von Ort, Zeit
und Figuren im Fortschreiten der Handlung durch Klarheit ablöst. Durch
die Identifikation des Zuschauers mit den Gefangenen ist die anfängliche
Verwirrung aber auf beiden Seiten der Leinwand zu finden. Und genau wie für
den Zuschauer stellt sich auch für die Gefangenen nach und nach heraus,
dass sie gar keine "Handlungsfreiheit" innerhalb des engen Korsetts
der Erzählung besitzen. Denn der Erzähler, der Serienmörder,
hat den Verlauf und das Ende ihrer Gefangenschaft minutiös geplant. Ihre
Realität ist vollständig konstruiert. Durch die zahlreichen Hinweise,
die sie in ihrer Zelle finden, unterliegen sie der Annahme, dass sie Wahlmöglichkeiten
haben. Ihnen wird suggeriert, dass es die "scripted reality", nach
der sie handeln, gar nicht gibt. Das macht die Situation für sie so authentisch
und die Dissimulation so perfekt.
Kreativität
vs. Serialität
Das
Spiel, das der Killer mit den beiden Gefangenen treibt, ähnelt - wie gesagt
- dem Spiel des Films mit seinem Zuschauer. Das Ethos, das wir durch die Rückblenden
bereits verübter Taten vorgeführt bekommen, blendet uns über
deren eigentlichen Sinn. Es ist nämlich weniger eine "total verdrehte
Ethik" (Presseheft "Saw"), die eine von der Allgemeinheit nicht
akzeptierte Moralität des Täters zeigt, sondern vielmehr ein ästhetisches
Programm. "Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet" (Thomas
de Quincey ) ist die Überschrift über dem modus operandi jenes Täters,
der seine Taten mit groß angelegten Inszenierungen, langwierigen Vorbereitungen
und dramaturgischem Genie vollzieht.
Mit
dem hohen Maß an Kreativität blendet der Täter Ermittler und
Zuschauer gleichermaßen. Während Erstere versuchen durch Detektion
von Spuren und Mustern einen Aufenthaltsort und ein Bild des Täters zu
bekommen, unterliegen Letztere dem "schrecklich schönen Schein"
seiner Inszenierungen. Der Täter aus "Saw" greift tief in die
Trickkiste, um seine Opfer auf möglichst originelle Weise zu beseitigen.
Das Konzept "creative killing" steht eng in Verbindung mit der Entwicklung
des Sujets:
Durch
das Aufkommen des Serienmörderfilms veränderte sich der Modus des
Tötens. Als besonders unspektakuläre Tötungsart galt von nun
an der Tod durch die Schusswaffe. Andere filmische Mordmethoden [...] sollten
hingegen die Länge des Tötungsaktes mit der Leidenszeit des Filmopfers
verbinden. Archaische Waffen, die pre-technologisch direkt auf den Körper
der Opfer angesetzt werden, hielten innerhalb der 1980er Jahre Einzug in unterschiedliche
Genres - vorzugsweise im Subgenre des Slasherfilms und des Psycho-Thrillers.
Das
Maß der Kreativität, mit welcher der Täter seine Opfer umbringt
(oder in "Saw" dazu bringt, sich selbst oder einander umzubringen),
wird in der Geschichte des Serienmörderfilms gleichzeitig zum Maß
der Kreativität des Drehbuchs und mithin zur Originalität des Films.
In der Überbetonung dieses Verfahrens gegenüber der steten "Serialität"
und Wiederholung von Standard-Plots (wie etwas bei "Friday the 13th")
evoziert der Serienmörderfilm Erwartungen bei seinen Zuschauern. "Saw"
erwartet diese Erwartungen und befriedigt sie, um im Hintergrund seine Dissimulation
zu betreiben.
The
Medium is the Massaker
Am
Ende des Films, nach all den Verwirrungen, Zeit- und Raumsprüngen, erwartet
den Zuschauer eine Auflösung - eine Pointe. Diese ist vielleicht die einzige
echte Konstante, die schon zu Beginn von "Saw" feststeht: Ohne ein
vielleicht überraschendes, aber zumindest plausibles Ende kommt auch dieser
Film nicht aus. Hierin enttäuscht er die Erwartungen seiner Zuschauer nicht.
Doch
im Verlauf der Handlung findet eine Verschiebung statt. Wir selbst, die wir
zu Beginn noch unwissend mit Adam und Lawrence in der Zelle saßen, haben
den Ort mehrfach verlassen, um uns Klarheit zu verschaffen. Dabei haben wir
die beiden jedoch zu keiner Zeit aus dem Auge verloren, denn entweder haben
die Szenen der Rückblenden und Parallelhandlungen ebenfalls von beiden
"gehandelt" oder wir haben uns in medialen Beobachtungssituationen
befunden - etwa in der Wohnung von Lawrence, in der ein Überwachungsmonitor
aufgestellt ist, der die Entwicklung in der Zelle verfolgt.
Beschrieb
"Se7en" noch den Dialog zwischen Ermittler und Täter, so erweitert
"Saw" dieses Kommunikationsfeld um den "Zuschauer", der
damit nicht länger unbeteiligter Dritter bleibt. Durch seine Überwachungsposition,
aber auch durch seine Erwartung möglichst kreativer Tötungsakte, macht
er sich in gewisser Hinsicht "mitschuldig" am Fortschreiten des Plots.
Diese "Mitschuld" inszeniert "Saw" - ohne jedoch, wie etwa
in Michael Hanekes "Funny
Games"
(1997) den moralischen Zeigefinger zu erheben. Wo "Funny Games" die
prinzipielle Möglichkeit solcher Taten in den Vordergrund und den Zuschauer
für seinen Voyeurismus an den Pranger stellt, lässt "Saw"
am Ende keine Unklarheiten über seine "scripted reality". Das
Publikum verlässt das Kino mit einem unschuldigen Gewinn an ästhetischem
Genuss und dem Wissen, dass ein hochgradig konstruierter und dichter Serienmörderfilm
jenseits authentischer Darstellung und monotoner Serialität möglich
ist.
Stefan
Höltgen 03.02.2005
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Saw
USA
2004 - Regie: James Wan - Darsteller: Cary Elwes, Danny Glover, Monica Potter,
Leigh Whannell, Michael Emerson, Tobin Bell, Ken Leung, Makenzie Vega, Shawnee
Smith, Benito Martinez, Dina Meyer - FSK: Keine Jugendfreigabe - Länge:
100 min. - Start: 3.2.2005
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