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Scanners - Ihre Gedanken können töten (1981)
PP
- plastische Psychologie, psychologische Plastik
Eine Begegnung mit David Cronenberg
beschrieb Martin Scorsese einmal folgendermaßen: "Ich hatte jemanden
erwartet, der wie eine Kreuzung aus Arthur Bremer und Dwight Frye als Renfield
in ’Dracula’ aussehen und nach saftigen Fliegen lechzen würde. Stattdessen
hatte der Mann, der mein Appartement in New York betrat, eher Ähnlichkeit
mit einem Gynäkologen aus Beverly Hills. Wir haben zusammen gesessen und
uns dabei ausgezeichnet amüsiert - trotz einer gewissen Spannung auf meiner
Seite, die vermutlich darin begründet lag, dass ich fürchtete, jeden
Augenblick könnten Davids Adern aufplatzen oder sein Kopf explodieren."
Tatsächlich, ja, ich schließe
mich an, steht Cronenberg als nackter Begriff für eine latente Angst, ein
Unbehagen. Jederzeit könnte eine Borste aus der Haut sprießen, ein
mutierter Furunkel am Hals platzen. Diese Unsicherheit speist sich grundsätzlich
aus der Furcht vor dem Herausbrechen des Unbekannten aus seiner Hülle.
Die Haut reißt auf, das Abartige kommt zum Vorschein. Es muss raus, es
will sich zeigen, dem Zuschauer seine Metamorphose vorführen, ohne sich
dabei an seinem Ekel zu ergötzen, wie es ein Horrorfilm tut. Der Schock
bei Cronenberg-Filmen, und das ist das Besondere, geht mit einer Faszination
für die Verunstaltung einher; er öffnet einen faszinierenden Blick
für die Deformationsvielfalt des Körpers unter wissenschaftlichen
Bezügen. In den Mutationsfilmen des Kanadiers geht es daher nie nur um
Körperlichkeit, nie nur um die somatische Verwandlung allein. Vielmehr
befindet sich diese als vollendet missgebildeter Phänotyp lediglich am
Ende eines langwierigen, oft psychologischen Prozesses.
Psychologie lässt sich bei
Cronenberg sehen, fühlen, tasten, schmecken. "Scanners" ist ein
Paradebeispiel wohl. Eine neurologische Missbildung hat hier eine spezifische
Fähigkeit zur Folge: das Scannen, eine Verquickung von Telepathie und Psychokinese;
hervorgerufen durch eine Störung der Synapsen, so der grobe biologische
Sachverhalt. Irgendwo klemmt es in der Reizübertragung. Die Konsequenz
ist eine Reizüberflutung, ein Meer aus Stimmen, Impulsen und Affekten,
das in den Wahnsinn treibt. Viele Scanner sind nicht fähig zur sozialen
Integration, weshalb sich ein Untergrund formiert hat, geführt vom aggressiven
wie mächtigen Darryl Revok (Michael Ironside). Er hat sich einst ein Loch
zwischen die Augen gebohrt. Der Druck war zu groß, er wollte ihn rauslassen,
die Menschen samt ihren Fremdreizen aus seinem Kopf treiben. Cameron Vale (mit
Stephen Lack sicherlich nicht ideal besetzt) wird auf Revok angesetzt, weil
in diesem nunmehr unverkennbar Putschgedanken gedeihen.
Als Schlüssel für den
Defekt erweist sich das Medikament Ephemerol. Es unterbindet den anormalen Reizüberschuss
und zeigt sich gleichermaßen überhaupt erst hierfür verantwortlich.
Schwangeren zur Beruhigung verabreicht, führt es beim Ungeborenen zur Scanner-Fähigkeit.
Ephemerol, das lässt sich im Grunde synonymisch für Thalidomid gebrauchen.
Besser bekannt unter der Handelsbezeichnung Contergan fand es Ende der Fünfziger
Jahre als Schlaf- und Beruhigungsmittel verstärkt Anwendung bei Schwangerschaften
und verursachte schwere Missbildungen an menschlichen Embryonen und Nervenschädigungen
bei Erwachsenen. Die Kritik an der Pharmaindustrie verweist auf das Motiv der
scheiternden Wissenschaft - ein Leitgedanke im Oeuvre David Cronenbergs, welcher
unter anderem in "Die Brut" und natürlich "Die Fliege" auf grausamste Weise zu
Ende geführt wird.
Ohne Leiden, noch so ein Cronenberg-Motiv,
kommt auch "Scanners" nicht aus. Die plastische Psychologie kommt
zum Zuge nun, denn Scanner stellen Verbindungen zu räumlich getrennten
Nervensystemen her, sie nehmen nicht nur Informationen auf, sondern sind gleichwohl
in der Lage, Impulse zu versenden. Die mächtigsten unter ihnen sind deshalb
imstande, fremde Körper zu kontrollieren, ein Herz etwa hochfrequent pulsieren
zu lassen. Sogar der gemeine Scanvorgang schon kann Symptome wie Magenkrämpfe
und damit körperlichen Schmerz hervorrufen. Neben diesem Aspekt schließt
der Komplex der Nervensystemverknüpfung überdies selbst die Vernetzung
mit einem technischen Pendant nicht aus. So hackt sich Cameron Vale über
Telefonleitungen gar in einen Computer und veranschaulicht andeutungsweise jenes
Leitmotiv, das man mit David Cronenberg am häufigsten zu verbinden geneigt
ist: die zutiefst organische Fusion von Mensch und Technologie, an deren Ende
ein vollkommen neues Fleisch steht.
Wie überhaupt bei den Frühwerken
des Kanadiers ragt dabei auch bei "Scanners" das Handwerk nicht heraus.
Ich bin ein Cronenberg-Anhänger, ich gebe es zu, aber seine "Körper"-Filme
sind nicht diejenigen, wofür das Kino ward erfunden. Zu unbequem und vertrackt
sind sie. Die Kraft der Verschmelzungen dokumentierenden Bilder übermannt
einen immer wieder, man kann sich der schockierenden Dekadenzen kaum erwehren,
doch der Kunstbegriff, der ist bei Cronenberg nie mit Ästhetik verbunden.
Eine Kunstausstellung in "Scanners" verdeutlicht dies geradezu, zeigt
keine Schönheiten, nur schaurige Fratzen. Später im Atelier betreten
Cameron Vale und der Künstler den Hohlraum einer riesigen Skulptur: einen
überdimensionierten Schädel. Sie unterhalten sich darin; nun hört
man die Stimmen im Kopf. Eine treffendere Installation für David Cronenbergs
krude Plastizität könnte es nicht geben.
Daniel Szczotkowski
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: www.ofdb.de
Scanners - ihre Gedanken können töten
SCANNERS
Kanada - 1980 - 99 min. - FSK: ab 18; feiertagsfrei - Verleih:
Neue Constantin, Ufa (Video) - Erstaufführung: 5.3.1981 - Produktionsfirma:
Filmplan International - Produktion: Claude Héroux
Regie: David Cronenberg
Buch: David Cronenberg
Kamera:
Mark Irwin
Musik:
Schnitt:
Ronald Sanders
Special Effects: Gary Zeller
Darsteller:
Stephen Lack (Cameron Vale)
Jennifer O'Neill (Kim)
Patrick
McGoohan (Dr. Paul Ruth)
Michael
Ironside (Darryl Revok)
Charles
Shamata (Gaudi)
Adam
Lustig (Crostic)
Robert
Silverman (Pierce)
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