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Scarface
Der
amerikanische Alptraum
"Die
Welt gehört dir!" Die Nachricht zieht blinkend auf einem Werbezeppelin
an Tony Montana, dem Narbengesicht, vorbei, und er blickt nach oben, als hätte
er eine Erscheinung. Der Spruch wird zukünftig eine Art Firmenmotto seiner
Verbrecherorganisation.
Aus
einem kubanischen Knast war Montana nach Florida abgeschoben worden, in den
elenden Auffanglagern hatte er seine ersten Auftragsmorde begangen. Aber erst
in der Freiheit des sonnigen, kokainüberschwemmten Miami wird klar, was
eine Stadt wie diese einem wie ihm zu bieten hat. "Ich habe immer gewußt,
daß ich mal hierher komme", grinst er die Beamten von der Einwanderungsbehörde
an. Er glaubt, seine Bestimmung gefunden zu haben, das Land, in dem Milch und
Honig fließt für einen, der sich nimmt, was er will. In den Kinos
auf Kuba hat er sich Bogart und Cagney angeschaut, nun will Tony endlich seinen
eigenen Gangsterfilm. Er trifft einen Mentor und nimmt ihn langsam aus: Sein
Geschäft, sein Mädchen, seinen Lebensstil, schließlich nimmt
er auch sein Leben. Doch dann, ganz oben angekommen, nachdem der Zeppelin ihm
seine Botschaft zugeblinkt hat, wird schnell klar, daß die amerikanische
Gesellschaft nicht alles über sich ergehen läßt. Daß es
noch viel mächtigere Verbrecher gibt, an Orten, wo niemand sie erwartet.
Der
Gangsterfilm ist nicht zufällig ein durch und durch amerikanisch geprägtes
Genre, schließlich zelebriert es nichts anderes als den amerikanischen
Traum - und kaum eine Geschichte nimmt die Prämisse "vom Tellerwäscher
zum Millionär" so ernst wie dieses Adrenalin-Epos von Brian de Palma.
Wer smart ist, seine Chance nutzt und Talent hat, so sagt man, der kann es in
Amerika weit bringen. Nun, Tony Montana ist sehr smart, äußerst begabt
im Verbrechertum, und er nutzt seine Chance ohne zu zögern. Seine Geschichte
ist der Traum, den Amerika träumt, wenn es eine wirklich schlimme Nacht
hat.
Die
Gangsterfilme alter Schule, auch das Original von Howard Hawks von 1932, waren
Reaktionen auf die Wirtschaftskrise, der moderne Gangsterfilm ist eine Reaktion
auf den erbarmungslosen Kapitalismus und die Doppelmoral der US-Gesellschaft.
Das furiose Drehbuch von Oliver Stone läßt dann auch schnell die
typische Paranoia aufkommen, indem es zuerst geschickt einen scheinbar diabolischen
Charakter aufbaut und ihn dann an den amerikanischen Verhältnissen scheitern
läßt, die sich als noch viel grausamer herausstellen. "Weißt
du, was Kapitalismus ist? Angeschissen werden", flucht Montana, als er
seine Situation durchschaut. Zwar macht er Millionen im Monat, doch geht das
meiste für Bestechung der Cops, Erpressung der Banken und die eigene Sicherheit
drauf. Er wollte Gangster sein, er hatte gehofft, in einem Kugelhagel unterzugehen.
Daß er jetzt von den eigentlich ehrlichen Jungs, Politikern, Richtern
und Banken, ausgenommen wird wie eine Weihnachtsgans, das findet ein wirklich
ehrlicher Junge wie Tony nicht fair. Was ihm am Kommunismus nicht gefallen hat?
Daß jeder ihn herumkommandieren wollte. Nun hat er eine Villa, eine Freundin
und einen Berg von Koks, und immer noch muß er nach der Pfeife der anderen
tanzen. "Es gibt keine Gesetze mehr", flucht der Berufsverbrecher
kopfschüttelnd.
Außerdem
ist es einsam an der Spitze. Die Frauen sind nicht wirklich begeistert von einem
vernarbten, häßlichen und wild fluchenden Immigrantenzwerg aus der
Gosse, der mit blutverkrusteter Hand das seidene Bettlaken hochschlägt.
Seine Schwester, für die er wohl etwas zuviel der brüderlichen Liebe
empfindet, hat er mit in den Drogensumpf gezogen - und seiner Mama kann er sowieso
nichts vormachen: Die schaut ihm einmal ins Gesicht und auf die schnieken Klamotten
und sagt dann, daß sie keinen Sohn mehr hat.
Brian
de Palma hat in diesem teilweise ultrabrutalen Abgesang eine beachtliche Reihe
80er-Jahre-Filmprominenz versammelt: F. Murray Abraham, Robert Loggia, Mary
Elisabeth Mastrantonio. Auch Michelle Pfeiffer als dürres Kokain-Hühnchen
ist durchaus bemerkenswert. Aber natürlich ist der wahre Mittelpunkt hier
Pacino - wie immer einen Kopf kleiner als alle anderen und wie immer eine Stufe
beängstigender. Und Gott sei dank hat der Gangsterfilm einen Vorzug gegenüber
den anderen amerikanischen Epen vom Erfolg der Aufsteiger - er darf kein Happy
End haben, er kann nicht Halt machen am Zenit des Erfolges. Und so wird er ein
anschauliches Beispiel, daß man in Amerika auch erstaunlich schnell und
tief fallen kann. Dabei sind die Götter noch gnädig mit Montana und
bieten ihm seinen erhofften Kugelhagel. Und auch diese Chance nutzt Tony ohne
zu zögern.
Daniel
Bickermann
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Scarface
USA
1983. R: Brian de Palma. B: Oliver Stone. K: John A. Alonzo. S: Jerry Greenberg,
David Ray. M:
Giorgio Moroder. P: Universal. D: Al Pacino, Michelle Pfeiffer, Mary Elisabeth
Mastrantonio, Robert Loggia u.a. 170 Min.
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