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Schattenväter
Matthias, der Sohn Willy Brandts, und Pierre, der
Sohn Günter Guillaumes, erzählen vor der Kamera, wie es ist, aus den
väterlichen Schatten zu treten. 1974 war der Kanzlerberater als Kundschafter
der DDR enttarnt worden. Die Söhne waren damals 7 und 12 Jahre alt. Der
Film bringt sie jetzt zum erstenmal zusammen. Aber doch wieder nicht. Zwei private
Monologe hören wir. Da ZDF/Arte (Redaktion) jedoch zusammenbringen will,
was zusammengehört, werden die Solostatements zusammengehäkelt. Zwei
links, zwei rechts. Doch die Drehbuchdramaturgie führt nicht zum Höhepunkt.
Zwar kommen zum Schluss die Söhne am deutschen Rhein zum ersten und letzten
Mal ins Bild. Sie stehen am Geländer, kehren uns den Rücken zu und
haben sich nichts zu sagen. Kein einziges Wort. Von links nach rechts zieht
ein Flussschiff gemächlich durchs Bild. Die schweigenden Söhne sind
ungefähr gleich groß, gleich alt, ähnlich angezogen, und von
hinten sieht man nicht, daß einer Stoppeln im Gesicht hat. Das war in
der ersten halben Stunde für den Zuschauer harte Arbeit gewesen, rauszukriegen,
wer das denn ist, der grade redet. Grade, wenn man das geschafft hat, ist nach
den 15 Sekunden Redezeit der andere wieder dran.
Andererseits ist zu loben, daß der Film sich
Untertitel, Kommentare, Interviewfragen sowie jeglichen Beiwerks enthält.
Eine einwandfreie gesprächstherapeutische Installation. Die Kamera ist
ganz Ohr. Nichts lenkt ab. Die Probanden berichten, wie sie sich selbst gefunden
haben resp. noch finden. Nicht leicht, aus dem Schatten der Väter zu treten.
Sehr privat, was wir hören. Und ganz sicherlich Kunst, was wir sehen. Kamerafrau
Sophie Maintigneux hat schon für Jean-Luc Godard gearbeitet.
Es mag sein, daß die Söhne, die jeder
für sich in den sterilen Filmbildern einsam herumirren, als Menschen-in-Not
eher wahrgenommen werden. Sie breiten ihre Probleme aus, - ungestört und
mit dem Interesse des Publikums rechnend. Die Siebzigerjahredevise: Privates
öffentlich machen. Bloß, hm, na, ichweißnicht, wäre nicht
grade bei den Brandt/Guillaume-Söhnen eine politische Implikation zu erwarten
gewesen? Die Enttäuschung ist vorprogrammiert. Allenfalls rafft der Film
sich auf, einen Stasi-Video-Fund einzuschneiden. Sonst erfahren wir, wie Söhne
Väter erleben. Willy Brandt fiel vom Fahrrad, Günter Guillaume versagte
beim Modellbau. Im Sportstudio schießt der kleine Matthias ein Tor, 1974,
Pappa war dabei, auch gabs Langnese-Eis. Markus Wolf war wie ein Vater zu Pierre,
und ---
Weils so nicht geht, gibt es zwischen den Sequenzen
anspruchsvolle Musik (Markus Stockhausen), eine professionelle Vokalistin und
ein Saxofon, wenn es nicht eine Trompete war. Das hat Galerieniveau.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Konkret
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Schattenväter
Deutschland
2005 - Regie: Doris Metz - Darsteller: Pierre Boom, Matthias Brandt - FSK: ohne
Altersbeschränkung - Länge: 93 min. - Start: 10.11.2005
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