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Die Schatzinsel
Jugendträume
...
"Fünfzehn
Mann auf des toten Mannes Kiste,
Jo-ho-ho
und die Buddel voll Rum,
Teufel
und Trunk strich den Rest von der Liste,
Jo-ho-ho
und die Buddel voll Rum!"
Ich muss zehn oder elf Jahre alt
gewesen sein. Es war wohl im Dezember, als ein Vierteiler für das Fernsehen
angekündigt wurde - ein Piratenfilm, ein Film, der im heißen, schwülen
Sommer im 18. Jahrhundert spielte, und den mein Bruder und ich im kalten Winter
des Jahres 1966 anschauen würden, genauer am ersten Weihnachtstag dieses
Jahres. Und auch in den folgenden Jahren wurde dieser Abenteuerfilm jedes Jahr
vor Weihnachten wiederholt. Damals nannte man solche Filme "Straßenfeger".
Unter diese Rubrik gehörten Francis-Durbridge-Krimis ebenso wie dieser
Film: "Die Schatzinsel" nach dem Roman von Robert Louis Stevenson.
Dazu gehörten auch "Der Seewolf" (1971, mit Edward Meeks und
Raimund Harmstorf) und "Lederstrumpf" (1969, mit Hellmut Lange und
Pierre Massimi), "Robinson Crusoe" (1964) und natürlich "Tom
Sawyers Abenteuer" (1968, mit Lina Carstens als Tante Polly). Wenn heute
Jugendliche den nächsten Blockbuster im Kino herbeisehnen, so wir damals
diese meist mehrteiligen Fernsehproduktionen, viele übrigens unter Federführung
des Produzenten und Drehbuchautors Walter Ulbrich. "Die Schatzinsel"
- oft verfilmt - wurde in vier Teilen gezeigt und dauerte insgesamt 344 Minuten.
Nach jedem Teil fieberten wir dem nächsten entgegen, der jedoch erst eine
Woche später oder zumindest ein paar Tage später gesendet werden sollte.
In den Hauptrollen sahen wir damals
einen jungen Kerl namens Michael Ande, gerade 22 Jahre alt, der als Kinderstar
in den 50er Jahren in einigen Filmen und später vor allem in "Der
Alte" zu sehen war. Und Ivor Dean als gerissener Pirat Long John Silver,
ein begnadeter Schauspieler, der leider schon 1974 verstarb. Man drehte die
berühmt gewordene Geschichte in der Bretagne, in Korsika und am Gardasee.
I N H A L T
England 1758. An der zerklüfteten
englischen Küste verlebt in dem alten Seemannsgasthaus "Admiral Benbow"
der junge Jim Hawkins mit Mutter (Ilsemarie Schnering) und Vater (François
Darbon) eine unbeschwerte Jugend - bis eines Tages ein merkwürdiger, herunter
gekommener alter Seemann namens Bill Bones (Dante Maggio) in der Kneipe auftaucht.
Bones säuft, benimmt sich nicht gerade anständig und erzählt,
er würde verfolgt. Seine Seemannskiste hütet er wie seinen Augapfel,
und er beauftragt eines Tages Jim für ein paar Münzen jede Woche,
nach einem Mann Ausschau zu halten, der ein Holzbein trägt. Zunächst
hält Jim die Gruselgeschichten, die Bill Bones erzählt, für Seemannsgarn.
Doch schon bald muss er feststellen, dass Bones die Wahrheit erzählt hat.
Einige merkwürdige Gestalten, darunter einer mit Namen Schwarzer Hund (Sylvain
Lévignac) und ein anderer blinder Schurke (Jean Mauvais), suchen nach
Bill Bones - vor allem aber nach einer geheimnisvollen Karte von einer Insel,
auf der der längst verstorbene Pirat Flint seine gesamte Beute versteckt
haben soll.
Jim kommt den Schurken zuvor und
nimmt die Karte an sich. Bill Bones stirbt an einem Herzanfall, weil er den
vielen Alkohol nicht verträgt, den er täglich konsumiert hatte, und
die Angst vor den Piraten ihm den Rest gibt. Dr. Livesey (Georges Riquier),
der auch Jims Vater ärztlich versorgt, hatte Bones gewarnt - vergeblich.
Livesey und der Gutsherr Trelawney (Jacques Dacqmine) erraten, dass Jim die
Karte mit der dort aufgezeichneten Schatzinsel in Gewahrsam genommen hat. Und
alle drei beschließen, auf große Fahrt zu gehen, um die geheimnisvolle
Insel zu suchen.
Trelawney organisiert ein Segelschiff
und den bärbeißigen Alexander Smollet (Jacques Monod) als Kapitän.
Und er findet einen Koch namens John Silver (Ivor Dean), dem eine Seemannskneipe
in Bristol gehört und der offenbar bei vielen angesehenen Leuten in der
Hafenstadt beliebt zu sein scheint. Silver, ein zuvorkommender, freundlicher
Mann, verspricht Trelawney, die nötigen Seeleute anzuheuern, damit man
in See stechen kann. Was Trelawney, Dr. Livesey, Jim und auch Kapitän Smollet
aber nicht wissen: John Silver war es und ist es, der hinter Bill Bones und
der Schatzkarte her ist - und der natürlich seine eigenen Männer,
u.a. den skrupellosen Israel Hands (Jacques Godin), anheuert.
Am 23. Mai 1758 sticht die "Hispaniola"
in See. Erst Wochen später erfährt Jim auf hoher See zufällig,
als er nachts in einem der Beiboote liegt, was ihm und seinen erwachsenen Freunden
droht: Er bekommt ein Gespräch zwischen Silver, Israel Hands und einem
dritten Piraten mit, die darüber sprechen, wie sie an die Karte gelangen
und sich der anderen entledigen könnten. Zum Glück hatte Kapitän
Smollet bereits vor der Fahrt sämtliche Waffen und Munition in der Nähe
der Kapitänskajüte verstauen lassen. Smollet wusste zwar von nichts,
aber der gerissene Seemann ahnte, dass mit der Besatzung der "Hispaniola"
etwas nicht stimmte.
Nach vielen Wochen erreicht man
endlich das Ziel: die Schatzinsel. Doch wie wollen Jim, Dr. Livesey, Trelawney
und Kapitän Smollet, die sich nur auf drei, vier andere Männer verlassen
können, gegen Silver und 18 seiner Gefolgsleute bestehen? ...
I N S Z E N I E R U N G
Kaum jemand würde eine solche
Geschichte heute noch so inszenieren wie Wolfgang Liebeneiner und Walter Ulbrich
1966. "Die Schatzinsel" stand einerseits in der Tradition alter Piraten-
und Abenteuerfilme, andererseits war der Inszenierung deutlich anzumerken, dass
sie nicht für das Kino, sondern für das Fernsehen produziert worden
war. Das ist durchaus nicht negativ gemeint. Im Verhältnis zu heutigen
Kino- und Fernsehproduktionen scheint der Aufwand, der für "Die Schatzinsel"
betrieben wurde, gering. Doch dem ist nicht so. Die Ausstattung u.a. des "Admiral
Benbow", der "Hispaniola", aber auch der Kulisse für Bristol,
und die Kostüme - all das war von auch heute noch beeindruckender Sorgfalt
gekennzeichnet, all das zauberte eine Stimmung herbei, die von wirklicher Piraten-
und Seemannsherrlichkeit zeugte, wie man sie aus den entsprechenden Romanvorlagen
kannte.
Vor allem aber war "Die Schatzinsel"
ein Spiel der Charaktere. Michael Ande als junger, unbedarfter, aber äußerst
mutiger junger Jim Hawkins war eine Identifikationsfigur für alle Jugendlichen,
nicht nur für männliche Teenager. Ivor Dean als alter gerissener,
hoch intelligenter, aber eben auch skrupelloser Pirat mit Holzbein und schwarzem
Hut war ein überzeugender Gegenpart zu Jim Hawkins. Daneben brillieren
Georges Riquier als schlauer Dr. Livesey, der sich als ein einem John Silver
durchaus gewachsener Gegenspieler erweist, Jacques Dacqmine als anfangs ziemlich
einfältiger Gutsherr Trelawney und vor allem Jacques Monod als rauer, strenger
Kapitän mit dem Herz auf dem richtigen Fleck. Jacques Godin als hinterhältiger
Israel Hands und Jean Saudray als Ben Gunn, der aufgrund der jahrelangen Einsamkeit
auf der Schatzinsel etwas wirr geworden ist, aber dennoch seinen Verstand nicht
ganz verloren hat, ergänzen die auch aus heutiger Sicht glänzende
Crew dieses spannenden Spiels zwischen Verrat, Intrige, Geldgier und Treue.
Auch die Bilder von der Schatzinsel
selbst, die Wildnis, die Geräusche der Tiere, das einsame Blockhaus, das
zunächst zum Stützpunkt Jims und seiner Freunde wird, die Verfolgungsjagden
durch die Berge der Insel usw. vermitteln ein wirkliches Abenteuer mit allem,
was dazu gehört.
Einschränkend muss allerdings
auch gesagt werden, dass der Film gegenüber dem Roman von Stevenson viele
Szenen nicht so hart darstellt, wie sie im Buch beschrieben sind. Das mag der
damaligen Zeit, dem Regisseur und möglichen Anforderungen der Produktionsfirmen,
u.a. des ZDF, geschuldet sein, die wohl meinten, dass man bestimmte Dinge einem
jugendlichen Publikum nicht zumuten könne.
D V D
Sprache: Deutsch
(Dolby Digital 1.0)
Bildformat: 4:3
Dolby, HiFi Sound, PAL
DVD Erscheinungstermin:
7. Dezember 2005
Der Film ist
endlich, seit dem 7.12.2005, auf DVD erhältlich. Die in der Box, herausgegeben
von Concorde Home Entertainment, befindlichen beiden DVDs enthalten jeweils
zwei Teile der vierteiligen Fernsehproduktion. Für diese Edition wurde
das Material digital überarbeitet. Und das hat sich in jedem Fall gelohnt.
Denn Bild- und Tonqualität sind angesichts des Alters des Films hervorragend.
Die Box enthält
ein Booklet mit 16 Seiten. Darin befindet sich ein kurzes Vorwort von Michael
Ande, ein längeres Interview mit dem Schauspieler, eine ausführliche
Inhaltsangabe sowie "Auf der Suche nach der ,Hispaniola'. Eine spannende
Recherche" von Jürgen Seibert, der den Spuren des Schiffs auf dem
Gardasee folgt, wo ein Teil des Films gedreht wurde. Geschmückt ist das
Booklet natürlich mit Bildern aus dem Film. Die DVDs selbst enthalten noch
Produktionsnotizen sowie eine Bildergalerie mit Fotos von einigen Schauplätzen
des Films damals und heute.
Die Box ist
für 19,95 (amazon) bzw. 19,99 (jpc) erhältlich.
Empfehlenswert
für Freunde dieses Films und der anfangs genannten anderen Abenteuerfilme
jener Zeit ist auch das Buch von Oliver Kellner und Ulf Marek "Seewolf
& Co. Die großen Abenteuer-Vierteiler im ZDF", 472 Seiten mit
vielen Fotos (amazon: 29,90). Darin besprochen werden: "Robinson Crusoe"
(1964), "Don Quijote von der Mancha" (1965), "Die Schatzinsel"
(1966), "Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer" (1968), "Die
Lederstrumpferzählungen" (1969), "Der Seewolf" (1971), "Cagliostro"
(1973), "Zwei Jahre Ferien" (1974), "Lockruf des Goldes"
(1975), "Michael Strogoff" (1976), "Die Abenteuer des David Balfour"
(1978), "Mathias Sandorf" (1979), "Tödliches Geheimnis"
(1980), "Wettlauf nach Bombay" (1981), "Der schwarze Bumerang"
(1982), und "Der Mann von Suez" (1983).
Wertung Film: 10 von 10 Punkten.
Wertung DVD: 10 von 10 Punkten.
Ulrich Behrens
Dieser Text
ist zuerst erschienen bei:
Die Schatzinsel
Frankreich, Deutschland 1966, 344 Minuten
Regie: Wolfgang Liebeneiner, Jacques Bourdon
Drehbuch: Walter Ulbrich, Georges Neveux, nach dem Roman von Robert
Louis Stevenson
Musik: Jan Hanu, Lubo Sluka
Kamera: Roger Fellous, Guy Suzuki
Schnitt: Victor Lamy
Darsteller: Michael Ande (Jim Hawkins), Ivor Dean (Long John Silver),
Georges Riquier (Dr. David Livesey), Jacques Dacqmine (Squire John Trelawney),
Jacques Monod (Kapitän Alexander Smollet), Dante Maggio (Bill Bones), Ilsemarie
Schnering (Mrs. Hawkins), Jacques Godin (Israel Hands), Jean Mauvais (Blinder
Pew), Jean Saudray (Ben Gunn), Sylvain Lévignac (Schwarzer Hund), François
Darbon (Marc Hawkins), Leroy Haynes (Abraham Gray), Lucien Hubert (Redruth),
Roger Lumont (Tom Morgan), Hellmut Lange (Jim Hawkins als Erzähler)
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