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Der
Schmetterling
Kinder
und Tiere, das funktioniert immer. Zuletzt funktionierte es ganz wunderbar in
Whale
Rider:
Ein kleines Mädchen und ein paar große Wale sorgten für einen
Film, der nett anzusehen, harmlos und verhältnismäßig erfolgreich
war. Und in Le
Papillon
von Regisseur Philippe Muyl funktioniert es wieder: Le
Papillon
ist nämlich vor allem unglaublich süß. Ein süßes
Mädchen, süße Sommersprossen in ihrem Gesicht, stellt süße,
naive Kinderfragen und bekommt dafür in Frankreich über eine Millionen
Kinobesucher. Die (zu dem Kind) unvermeidlichen Tiere sind in Le
Papillon
Schmetterlinge, die dafür sorgen, dass sich zu der Überdosis an Süßlichkeit
auch noch vermeintlich wahre Schönheit gesellt, wie sie nur die Natur bieten
kann. Es ist einer der viel zu wenigen Brüche in der glatten Oberfläche
dieses Films, dass die Schönheit jener Schmetterlinge nur genossen werden
kann, wenn sie tot sind und aufgespießt in einem kleinen Glaskasten: Julien
(Michell Serrault) sammelt Schmetterlinge, und auf einen, den Isabelle-Falter,
hat er es ganz besonders abgesehen. Nur 10 Tage im Jahr fliegt dieser Falter,
darum bricht Julien auch hastig auf, als er von einem anderen Sammler erfährt,
dass der Schmetterling gerade an einer bestimmten Stelle in den Bergen besonders
gut zu beobachten (und einzufangen) ist.
Lange
währt Juliens Freude über den einsamen Ausflug ins Gebirge jedoch
nicht, denn an seine Fersen geheftet hat sich das 8-jährige Mädchen
Elsa (Claire Bouanich). Ihre Mutter hört sie häufiger am Telefon als
in Person, und so scheint es - zumindest aus kindlicher Sicht - wohl nur nahe
liegend, sich an den zwar etwas schrulligen, aber doch relativ freundlichen
älteren Herren von nebenan zu halten. Nach einem kurzen Intermezzo auf
der Polizeistation läßt sich Julien denn auch - noch im Wartezimmer
der Gesetzeshüter - von den ach so niedlichen riesigen Kinderaugen, die
ihn anblicken, dazu erweichen, das Mädchen quasi zu entführen und
mitzunehmen auf seine Suche.
Man
kann Le
Papillon
wenig vorwerfen, denn Muyl hat keinen schlechten Film gedreht: Er zeichnet seine
Figuren zwar ein wenig oberflächlich, aber durchwegs liebevoll, Claire
Bouanich spielt ihre Rolle weit überzeugender als viele andere Kinder,
und schön anzusehen sind die Landschaften, in denen nach Isabelle gesucht
wird, auch. Dennoch bietet der Film neben seiner Süße und Lieblichkeit
wenig mehr: die einzige Szene, in der Juliens Charakter über seine tragische
Vergangenheit spricht, die ihn zum beinah fanatischen Jäger Isabelles werden
ließ, bleibt singulär. Ein weiterer Bruch im Gewebe des Films hätte
sonst jener vergangene Todesfall werden können, der Julien auf seiner Expedition
antreibt. Und auch Claires Beziehung zu ihrer Mutter, die sie offensichtlich
völlig vernachlässigt, wird kaum ausgeleuchtet und ist dank der Engelsgeduld
Juliens, der sich eine süße Frage nach der anderen anhört, schnell
zu reparieren.
Wie
die hier fehlenden Brüche im Gewebe funktionieren, haben andere schon oft
vorgemacht: Amélie,
die in einer Welt voller Bonbonfarben lebte, heckte Streiche von eigentlich
unsagbarer Hinterhältigkeit aus, mit denen sie ungeliebte Mitmenschen tyrannisierte,
und Jean-Pierre Jeunet, ihr Regisseur, versah seinen Film mit postmodernen Verzierungen,
die es erlaubten, die bunte Welt der Amélie mit ironischem Lächeln
zu genießen. Jene Ironie fehlt Le
Papillon
völlig. Die heile Welt, die er vorführt, meint er völlig ernst.
Schwerwiegende Probleme zwischen Eltern und Kind sind zu lösen mit nur
ein wenig mehr Zuhören, ein wenig mehr Zeit und ein wenig mehr Spazieren
Gehen in der schönen Natur. Und schließlich wird auch der letzte
Bruch gekittet, wenn Julien den endlich gefundenen Isabelle-Falter nicht einmal
aufspießen muss, weil Elsa kindlich-ungestüm die Falle umstößt,
und Julien darüber auch nicht allzu lange schmollen kann. Die niedlichen
Fragen des Mädchens übrigens, die den ganzen Dialog in ihrer Wiederkehr
strukturieren, finden ihren Weg sogar in den Abspann, in der in einem gradezu
unerträglichen Chanson Claire Bouanich ihre Fragen ("Warum umarmen
sich Liebende?") singt, und Michel Serrault, von billigen Keyboard-Rhythmen
begleitet, antwortet. Vielleicht aber hat jener Song über dem Abspann bereits
wieder einen so hohen Trash-Appeal, dass die heile Welt des Filmes sich letztendlich
doch noch auflöst und in dem Exzess der billigen Süße im Lied
zu den Credits ihre Konturen verliert und in ihrer Künstlichkeit demaskiert
wird - es wäre nicht das Schlechteste.
Benjamin
Happel
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Der
Schmetterling
Frankreich
2002 - Originaltitel: Le Papillon - Regie: Philippe Muyl - Darsteller: Michel
Serrault, Claire Bouanich, Nade Dieu, Françoise Michaud, Helene Hily,
Pierre Poirot, Jacky Nercessian, Jacques Bouanich - FSK: ohne Altersbeschränkung
- Länge: 83 min. - Start: 11.3.2004
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