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Schmetterling
und Taucherglocke
Gefesselter Blick
Julian Schnabels Film "Schmetterling und
Taucherglocke" fesselt erst unseren Blick an den seines völlig gelähmten
Helden - und macht es sich am Ende doch zu leicht.
Aus heiterem Himmel trifft den 43 Jahre alten Elle-Chefredakteur
Jean-Dominique Bauby der Schlag. Julian Schnabels Verfilmung von Baubys autobiografischem
Bericht "Schmetterling und Taucherglocke" aber beginnt nicht damit,
sondern mit Baubys Erwachen, einer Wiedergeburt wie ein Höllensturz. "Sie
sind im Krankenhaus", sagt man ihm. Er blickt verstört in die Welt,
er blinzelt und stellt fest: Er versteht, was gesagt wird, aber er kann sich
weder bewegen noch kann er sprechen. Er ist an einen Körper gefesselt,
der nicht mehr tut, was er, Jean-Dominique, will.
Der Coup des Beginns von Julian Schnabels Verfilmung
des autobiografischen Buchs von Bauby ist dieser: Er zwingt uns die Perspektive
des Protagonisten auf. Wir sehen nicht ihn, sondern wir sehen, was er sieht.
Die Kamera (von Steven Spielbergs Kameramann Janusz Kaminski) nimmt die Stelle
des verstört Blickenden ein und gibt sich gefesselt wie er. Die Umrisse
einer Umwelt, die in Fehlfarben verschwimmt, sind mal scharf und mal unscharf.
Wenn Jean-Dominique blinzelt, senkt sich ein Augenlid über die Leinwand
und sie wird schwarz. Wenn gleich darauf ein Auge zugenäht wird, sehen
wir die Nadel, den Faden, das schwindende Licht. Vom Gegenteil aber, davon,
dass das Licht nicht schwindet trotz allem, davon erzählt in Bildern, die
nichts Düsteres haben, dieser Film.
"Locked-In-Syndrom" ist der wissenschaftliche
Name für einen Sachverhalt, an dem kein Arzt etwas ändern kann. Keinen
Teil, kein Glied seines Körpers hat Jean-Dominique unter Kontrolle - nur
sein linkes Auge und dessen Lid. Damit aber eröffnet sich eine ganze Welt.
Einmal blinzeln heißt ja, zweimal blinzeln heißt nein. So kann er,
ja blinzelnd, nein blinzelnd, reagieren und durchs Reagieren aufs vorgesagte
Alphabet mühsam auch wieder Buchstaben zu Worten und Worte zu Sätzen
formen. Im ersten Satz teilt er seiner Therapeutin dann erst einmal mit, dass
er sterben will. Dieser Wunsch wird vergehen, "Schmetterling und Taucherglocke"
wird, je länger er dauert, desto mehr zur Hymne aufs Leben.
Dagegen wäre nichts zu sagen, machte es sich
der Film mit dieser Botschaft nach dem so viel versprechenden Beginn nicht allzu
leicht. Schnabel springt bald genug aus der Bauby-Perspektive um in die filmische
Darstellungsnormalität. Überhaupt wird der doch sehr relative Wiedergewinn
einer vom Geist dem Körper abgerungenen Freiheit ästhetisch verdoppelt
und -dreifacht. Dazu gehört, dass Bauby am Krankenbett umgeben ist von
schönen Frauen sonder Zahl. Von Krankenschwestern, Therapeutinnen, der
Mutter seiner Kinder. Der Film nähert sich seinem bewegungsunfähigen
Helden (nun: Mathieu Amalric) von außen und lässt ihn so in seiner
Gefangenschaft zurück. Die strenge Bindung ans Erzähler-Ich wird gelöst
und die Grammatik der Filmsprache weitestgehend konventionalisiert.
Die Metaphern des Buch- und des Filmtitels werden
recht schlicht visualisiert - wieder und wieder sehen wir Bauby als Mann in
der Taucherglocke, verloren in tiefer See. Zugleich macht er aus seiner hoffnungslosen
Lage aber das Beste. Er träumt sich davon in Erinnerungen und in die Fantasie.
Und er beginnt, mit Hilfe der Augenlidkommunikation ein Buch zu "schreiben"
über sein Leben. (Darauf beruht eben dieser Film, den Bauby, der kurz nach
Veröffentlichung seines Buches starb, allerdings nicht mehr zu sehen bekam.)
Gerade weil Schnabel zu Beginn so tut, als suche er nach einer adäquaten
Darstellungsform für den unermesslichen Schicksalsschlag, ist die Leichtigkeit,
mit der der Film sich die banale Konventionalität des gefälligen Arthouse-Kinos
zurückerobert, eine arge Enttäuschung. Er macht, was inkommensurabel
ist, nur allzu kommensurabel. Er nutzt die Fesselung seines Helden zur Entfesselung
von Zuschauer-Gefühlen, etwa in kleinen melodramatischen Miniaturen wie
der um Baubys Geliebte, die sich nach langem Schweigen telefonisch meldet in
Gegenwart der von Bauby verlassenen Ehefrau. Die Trauer, das Glück, die
Hymne aufs Leben - all das liefert Julian Schnabel, gegen den ersten Anschein,
zuletzt einfach frei Haus.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist
zuerst erschienen am 26.03.2008. in: www.perlentaucher.de
Zu diesem Film gibt’s im archiv der
filmzentrale mehrere Texte
Schmetterling und Taucherglocke
Frankreich / USA 2007 - Originaltitel:
Le scaphandre et le papillon - Regie: Julian Schnabel - Darsteller: Mathieu
Amalric, Emmanuelle Seigner, Marie-Josée Croze, Anne Consigny, Patrick
Chesnais, Marina Hands, Max von Sydow - Länge: 112 min. - Start: 27.3.2008
DVD
bei PROKINO: Schmetterling und Taucherglocke - Limited Edition
Erscheinungsdatum: 09.10.2008
Bonusmaterial: Kapitel-/Szenenanwahl, Making Of, Animiertes DVD-Menü, DVD-Menü
mit Soundeffekten, Cinematic Vision, Interview mit Julian Schnabel, Audiokommentar
von Julian Schnabel
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