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Schmutz
Ein sauberer, penibler und akkurater Schauspielerfilm,
ein mythisch überhöhtes Beamtendrama und ein originelles, perfektes,
hintergründiges Spielfilmdebüt.
Wachmann Joseph Schmutz (Fritz Schediwy) erfreut
sich der Sinnlichkeit des Gehorsams. Zärtlich und weihevoll fährt
die Bürste über den Uniformrock, und der Lappen gleitet über
die schwarz gewichsten Stiefel. Schmutz ist nicht eitel; das Ritual gilt einer
höheren Macht: der Macht des Eigentums. Ihr dient der treue Beamte mit
Leib und Seele, und sie beschert ihm die Wonnen der Pflichterfüllung. Der
irdische Vertreter des gestaltlosen Wesens, der Oberkontrollor (Hans Michael
Rehberg), vertraut ihm ein göttliches Unterpfand an; Wachobjekt ist eine
weitläufige, wenn auch stillgelegte Papierfabrik, durchströmt von
einem dunklen Gewässer, das geradewegs aus der Unterwelt zu entspringen
scheint, jedoch - der Film spielt in Österreich - Fischa heißt. Im
nächtlichen Lichterglanz vermählt Wachmann Schmutz sich mit dem Schutzobjekt,
fromm, treu und keusch, aber mystisch in hohem Maße erregt. YELLO (Dieter
Meier und Boris Blank), die die Musiktitel zu diesem Film geliefert haben, zelebrieren
mit „Desert" die Messe für eine übernatürliche Vereinigung.
Ordnungsapostel Schmutz verteidigt die heilige Liaison
gegen die Beschmutzung durch den Wachkollegen Fux (Siggi Schwientek), denn dieser
säuft und hurt. Und als diesseitiger Stellvertreter des herrschenden Kapitals
stiftet er eine Religion des Gehorsams. Doch dann ist der Teufel am Werk. Das
Eigentum, dem doch alles geschuldet wird, ist seiner selbst abtrünnig geworden.
Die anonymen Fabrikherren beschließen eine Kahlschlagsanierung. Sie schicken
Sprengmeister und Abrißbagger sowie die Kündigung des Wachauftrags.
Schmutz muß sich nun zwecks Aufrechterhaltung der Ordnung versündigen,
und zwar erstens an einem Scheiben einschmeißenden sechsjährigen
Mädchen und zweitens an der geheiligten, aber ihrer selbst abtrünnig
gewordenen Institution des Eigentums höchstselbst. Nicht mehr als Wachmann,
aber als Besetzer der leerstehenden Fabrik verbarrikadiert er sich gegen die
anrückenden Polizeikräfte, nagelt den Pfau, das Symboltier der Vanitas,
ans Kreuz und feiert am Altar - er ist jetzt der des Ungehorsams - eine letzte,
ekstatische Messe, die auch für Fans der Rockmusik nachvollziehbar ist,
denn sie ist mit den Nummern „Magneto" und „Massage" der YELLO-LP „Solid
Pleasure" unterlegt.
Der SCHMUTZ-Film lädt zu mannigfachen Interpretationen
ein. Einerseits ist er der Bericht über eine Psychose, andererseits die
Kunde vom Beamtenmythos. Der Held der Ordnung, die die Gewalt braucht, um das
System aufrechtzuerhalten, wird zum Missionar des Faschismus. Das Eigentum der
Sanierer, die ihr fundamentales Recht zerstören und mißbrauchen,
wird vom Hausbesetzer geschützt, der religiös erleuchtet ist, und
zwar mit musikalischer Hilfe einer besonders edlen Mini-Popgruppe. - Eine überreiche
Antwort auf die Frage, was der Autor damit sagen wolle, und ein ergiebiges Thema
für den nächsten Klassenaufsatz. Thorsten Becker hat bereits das Buch
zum Film geschrieben („Schmutz", Ammann Verlag, Zürich 1989), und
er hat sich wohlweislich auf einen Teilaspekt zurückgezogen: das Zwiegespräch
des Wachmanns Schmutz mit einem Gott, zu dem er selbst wird.
Der Film, der diese Interpretation provoziert, bleibt
gleichwohl dabei, eine einfache Geschichte zu erzählen. Und diese funktioniert,
fast leicht, unbelastet, aber zwangsläufig. Eine erstaunliche, ja sensationelle
Regieleistung und eine exzellente Schauspielerführung. Die ostentativ leeren
Gesichter der Darsteller scheinen sich für Hintergründe zu öffnen,
die nicht explizit gemacht werden. Die Schauspieler, allen voran Fritz Schediwy,
der mit Zadek, Fassbinder, Fernandes und Schroeter gearbeitet hat, bewahren
ein Geheimnis, das von der herrvorragenden Kamera (Walter Kindler) attraktiv
gemacht wird. Und so wird in Paulus Mankers unaufdringlicher, aber sorgfältiger
und die Aura der Personen und Dinge respektierender Regie wieder zur großen
Frage, was Prediger Salomo (Kap. 3) schon beantwortet zu haben glaubte: Ist
nichts Besseres, denn daß der Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit?
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 12/89
Schmutz
SCHMUTZ
Österreich
1986. R,B: Paulus Manker. K: Walter Kindler. Sch: Marie Homolkova. M: Yello
T: Walter Amann. A: Tommy Vögel. Ko: Erika Navas. Pg: MR-TV Film. P: Kurt
J. Mrkwicka. V: Salzgeber. L: 100 Min. St: 19.10.1989. D: Fritz Schediwy (Joseph
Schmutz), Hans Michael Rehberg (Oberkontrollor), Siggi Schwientek (Fux), Josefin
Platt, Mareile Geister, Axel Böhmert, Günther Bothur, Constanzia Höchle,
Hanno Pöschl.
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