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Der
schöne Tag
Michelangelo
Antonionis La
Notte
endet damit, daß die Protagonisten ein Einsehen in die Unmöglichkeit
haben, sich weiterhin zu lieben. In Thomas Arslans Der
schöne Tag steht
die Einsicht in die Unmöglichkeit der Liebe, oder zumindest einer konkret
gelebten Liebe, bereits ganz am Anfang. Überhaupt scheint sich Arslan ein
Vorbild an großen europäischen Regisseuren der letzten Jahrzehnte
genommen zu haben, so ist es sicherlich kein Zufall, daß der Film, der
von der Hauptfigur Deniz (Serpil Turhan) in ihrem Job als Synchronsprecherin
in einem Berliner Tonstudio bearbeitet wird, ausgerechnet Sommer
(Conte
d'ete)
von Eric Rohmer ist. Wie bei Rohmer sind es ganz banal scheinende Dialoge und
Alltagsgespräche, die in der Lage sind, Einsichten und Gedanken zu vermitteln,
die anderen Filmen so bitter fehlen.
Der
Zuschauer verfolgt den Tagesablauf eines nicht ganz gewöhnlichen Tages
einer jungen Berlinerin. Sie trennt sich in den Anfangsszenen von ihrem Freund,
verliebt sich um ein Haar aufs neue, trifft ihre Mutter, ihre ungewollt schwangere
Schwester und bewirbt sich für eine Hauptrolle als Schauspielerin. All
diese Handlungen verfolgt Arslan mit unaufdringlicher Kamera, die die Blicke
der Protagonistin als strukturierendes Element nutzt, das dem filmischen Raum
ungeahnte Tiefe verleiht. Der Regisseur erzählt einfühlsam von den
Problemen der 21-jährigen, die Art und Weise in der er sich seinen Figuren
nähert, die zutiefst menschliche Beschreibung von Deniz' Leben erinnert
an Valeska Griesebachs beeindruckendes Regiedebut Mein
Stern.
Was die beiden Filme darüber hinaus verbindet, ist ihre explizite Bindung
an den städtischen Raum Berlins. Mehr noch als in Mein
Stern
merkt man, daß der Regisseur Berlin gut kennt oder zumindest äußerst
treffend eingefangen hat. Wenn fast ein Drittel des Filmes in diversen öffentlichen
Verkehrsmitteln spielt, dann ist das wohl kein Zufall, wer je in Berlin zu Hause
war, kennt die Unmengen von Zeit, die durch die schiere Weitläufigkeit
der Stadt in U- und S-Bahnen verbracht wird.
Bei
all dem Realismus der Darstellung ist sich Arslan durchaus der stilistischen
Gestaltungsmittel bewußt, die das Medium Film bietet, und so bannt er
in kunstvoller Cadrage Kreuzberger Neubauten oder den Tiergarten auf seinen
Film. Der
schöne Tag
hätte ein perfekter Film sein können, eine Liebeserklärung an
das Kino, wenn nicht kurz vor Schluß dem Regisseur eine kleine überflüssige
Szene in den Film gerutscht wäre, die den angenehm fortlaufenden Fluß
der Handlung empfindlich stört. Kurz bevor die Kamera Deniz wieder verläßt
und der Film endet, trifft die Protagonistin in einem Cafe zufällig eine
Universitätsdozentin, mit der sich ein Gespräch entwickelt über
die Liebe und über soziologische Ansätze zu deren Deutung. Man kommt
sich als Zuschauer nicht ganz ernst genommen vor, denn das Gefühl läßt
sich nicht abschütteln, in dieser Szene wollte Arslan noch einmal überdeutlich
vor Augen führen, was nun eigentlich die Aussage seines Filmes sein sollte.
Er hätte besser daran getan, einfach auf die Kraft seiner Bilder zu vertrauen,
die alleine leicht ausgereicht hätte, all das weit weniger aufdringlich
zu vermitteln, was in genannter Szene einem auf unsubtilste Weise vor Augen
gehalten wird. Es bedurfte nicht dieser didaktischen Belehrung, dieser Brechung
des Handlungsgerüstes, der Film hat auch ohne die klare Verbalisierung
ein eindeutiges Thema, das er auch tiefgehend behandelt und analysiert, ohne
einer Dozentin zu bedürfen, die dem Zuschauer bei seiner Deutung unter
die Arme greift. Natürlich kann eine einzige Szene einen Film nicht zerstören,
und nachdem jede andere Szene für sich schon ein kleines Kunstwerk ist,
verzeiht man dem Regisseur auch seinen Wink mit dem Zaunpfahl. Hoffentlich besitzt
er bald genug Selbstvertrauen in seine Filme, seine Bilder auch ohne mitgelieferte
Erklärung für sich selbst sprechen zu lassen.
Benjamin
Happel
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem Film gibt’s im archiv mehrere Texte
Der
schöne Tag
Deutschland
2001 - Regie: Thomas Arslan - Darsteller: Serpil Turhan, Bilge Bingül,
Florian Stetter, Selda Kaya, Hafize Üner, Hanns Zischler, Elke Schmitter,
Benedict Weber, Özgür Firat, Göhkan Katman, Ali Akkas, Stefan
Pethke - Länge: 74 min. - Start: 18.10.2001
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