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Schultze
Gets The Blues
"Schön."
Das ist alles, was den drei Bergleuten einfällt zu ihrem Abschiedsgeschenk
für den Vorruhestand: Je eine orangefarbene Lampe, ein leuchtender Salzkristall,
der von innen angestrahlt wird. Und wenn man mit dem angefeuchteten Finger über
die Lampe fährt, dann schmeckt der Finger salzig. Schön. Schultze
(Horst Krause) ist einer der drei, und er wird leiden unter seinem Rentnerdasein.
Der Salzkristall als Staubfänger - das ist eine traurige Metapher für
die Umstellung, die der Ruhestand für Schultze bedeutet: Bisher hat er
es gefördert, das Salz unter Tage, nun ist er entbehrlich geworden, nutzlos
wie das Salz, das als Lampe auf dem Couchtisch endet. Er sitzt in seiner Stammkneipe,
wechselt leere Worte mit seinen ehemaligen Kollegen, bis ein Ereignis sein Leben
von Grund auf ändert. Denkbar unaufgeregt inszeniert ist das, wie der gesamte
Film. Michael Schorr zeichnet seine Charaktere und ihr Leben liebevoll und leise,
er verzichtet auf Erklärungen, auf Psychologisierungen und verlässt
sich ganz aufs Zusehen. Eine Radiosendung ist jenes einschneidende Ereignis,
eine Sendung, in der Schultze Musik hört aus den Südstaaten der USA:
ein Akkordeon, schneller Rhythmus, Baumwollfelder und der Mississippi werden
assoziiert statt der immer gleichen Windräder im Osten der Bundesrepublik.
"Negermusik!",
ruft das Publikum auf dem Fest des Musikvereins, auf dem Schultze seine musikalische
Entdeckung mit dem Akkordeon publik macht, und das Unverständnis, das ihm
entgegen schlägt, kann er nur kompensieren, weil einige seiner Freunde
ihm ein Flugticket schenken, in die USA. Den Musikverein soll er dort repräsentieren,
in der Partnerstadt. Mit Schultzes Fortgang nach Amerika ändert sich der
Rhythmus des Films. Der Zuschauer fühlt die Veränderung, die das Leben
des Protagonisten nimmt. Die Einstellungen werden noch langsamer, die Dialoge
noch rarer. Schultze ist allein und er spricht kaum englisch, aber die Gastfreundschaft
und die Farbe des Landes überträgt sich in die Bilder (großartige
Kamera: Axel Schneppat): Alles wird bunter, intensiver, die Farben des Wassers
und der Menschen verdrängen die grüngrauen Farben der deutschen Heimat.
Horst Krause spielt seinen Helden mit der stoischen Ruhe, die die Figur auszeichnet,
und seine Rolle passt wunderbar in die Landschaften, die Schultze
gets the blues
so intensiv erforscht. Die Windräder und die vom Bergbau aufgeschütteten
Hügel, die sich im Wasser spiegeln, die Schrebergärten in den weiten
Landschaften, die nur von Güterzügen durchschnitten werden, das alles
wurde ohne Überheblichkeit und voll ehrlicher Bewunderung für die
Ästhetik ins Bild gesetzt, die entsteht, wenn Natur und Industrie aufeinanderprallen.
Schultze bewegt sich im anhaltinischen Mansfelder Land durch eine einst intensiv
industrialisierte Gegend, deren Charme verloren gegangener Prosperität
der Film genauso treffend einfängt, wie die vom Niedergang des Bergbaus
erzwungene Lethargie ihrer Bewohner. "Das Konzept der überhöhten
Realität" nennt der Regisseur diese ästhetisierende Darstellung
des grauen postindustriellen Alltags, und mit seinem romantischen Realismus
gelingt es ihm, die triste Bergbaulandschaft genauso wie die deutschtümelnden
"Wurstfeste", die Schultze in Amerika entdecken muss, in wunderbare
Bilder zu packen.
Ein
typischer Festivalfilm ist Schultze
gets the Blues,
die Hofer Filmtage hat er eröffnet und unter anderem bereichert er Festivals
in Berlin, Rotterdam, Karlovy Vary und Stockholm. Die ruhige Erzählung,
die humorvolle Milieustudie, die Grenzüberschreitung und die Entwicklung
Schultzes, das alles sind Elemente, die viele jener Filme auszuzeichnen scheinen,
die nur im Rahmen von Festivals einem cinéastischen Publikum zugänglich
sind. So ist es auch äußerst erfreulich, dass Schultze nun bundesweit
in den Verleih kommt - der Film wird vermutlich nicht nur im Anhaltinischen
seine Freunde finden: bundesweit gültig sind die Charaktere, die gezeigt
werden, sie könnten sich genausogut im Ruhrgebiet finden oder im tiefsten
Bayern. Die Genauigkeit, mit der Schorr es schafft, ein Bild zu zeichnen von
einem Milieu, aber auch einer ganzen Generation, ist es, die dem Film auch über
weite Strecken einen so dokumentarischen Anstrich verleiht. Zwar sind die Bilder
ganz genau kadriert und die Dialoge pointiert, aber dennoch scheinen die Situationen,
denen Schultze begegnet, einem das Land, in dem wir leben, besser vor Augen
zu führen als viele klassische Dokumentationen.
Schultze
ist ein Held, einer, der es schafft, Grenzen zu überschreiten, auch wenn
er anfangs zweifelt: "Aber Schultze, ein sich ändernder Musikgeschmack
ist doch keine Krankheit!" beruhigt der Hausarzt den besorgten Patienten,
als dieser mit seinem Akkordeon zur Behandlung erscheint. Und weil Schultze
dies versteht, weil er es schafft, ein neues Leben in der Fremde zu beginnen,
wird er zu dem, was Kinohelden im besten Falle sein können: einem Vorbild.
Benjamin
Happel
Diese Kritik ist zuerst erschienen in:
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Schultze
Gets The Blues
Deutschland
2003 - Regie: Michael Schorr - Darsteller: Horst Krause, Harald Warmbrunn, Karl-Fred
Müller, Ursula Schucht, Hannelore Schubert, Erwin Meinicke - Prädikat:
wertvoll - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 114 min. - Start:
22.4.2004
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