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Das
Schweigen der Lämmer
„Mange
ton Dasein!“
Je
älter man wird, desto schlechter lässt sich’s analysieren. Aus den
zarten, traumhaften Pfaden der Verzweigung werden die gediegenen Betonpisten
des Neurotikers, der nur noch ungern Zwischenstopps einlegt, weil er weiß,
dass das bekannte und daher berechenbare Unglück zu Hause auf ihn wartet.
Umgekehrt beschleunigt der Analytiker das Tempo, weil er eh weiß, wohin
der Hase läuft. So wurden mit der Zeit aus Sitzungen Kurzsitzungen und
Kürzestsitzungen, letztere zudem mit dem unschlagbaren Vorteil, überall
abgehalten werden zu können. Nicht darf allerdings verschwiegen werden,
dass sich dieser Vorteil einem Zwang verdankt, zumindest im Fall Dr. Hannibal
Lecters, der in einem US-amerikanischen Staatsgefängnis einsitzt und seit
acht Jahren seine Zelle nicht mehr verlassen hat. Als Kannibale weiß er,
was es heißt, kurzen Prozess zu machen.
Ob
nun der Kannibale den Analytiker befruchtet hat oder umgekehrt, beide sind absolute
Profis und arbeiten Hand in Hand. Bei Lecter ist alles lebenslänglich,
die Strafe, die Ernährungsweise und die Berufung. Er ist immer präsent,
es gibt kein Abschlaffen, nichts entgeht ihm und in der hintersten Zelle ist
er ebenso gut informiert wie der gewöhnliche Zeitungs-Abo-Leser. Aber sein
Kopf greift nicht nur auf Ereignisse in der Vergangenheit zurück, seine
größte Leistung ist die Antizipation. Er muss nur auf den Spalt warten,
von wo aus er wieder als Gestalter ins pralle Leben eintreten darf, das für
ihn vielleicht ebenso eintönig ist wie die Zelle, aber der Zuschauer weiß,
dass weder die Zelle eintönig noch das Leben prall sind, denn wo auch immer
Lecter sich aufhält, bestimmt er den Konzentrations- und Unterhaltungsgrad
der Situation. Der Analytiker Lecter hat Schluss gemacht mit dem Gesellschaftsvertrag,
er autorisiert sich nur noch durch sich selbst. Er bezahlt einen hohen Preis,
aber mit der Hoffnung auf „Aussicht“ kann er gut leben. Er ist vielleicht einzigartig,
aber er ist nicht alleine. Solange die Monster auf der anderen Seite des Gitters
von sich reden machen, wird man ihn nicht vergessen. So bleibt er im Gespräch.
Je länger er weggeschlossen bleibt, desto mythischere Züge nimmt er
an. Die gute andere Seite weiß, dass sie ihn nicht einfach als Informationsquelle
benutzen kann. Wenn sie dies doch versucht, macht er dicht. Nicht er steht unter
Zugzwang. Es muss also um Tausch gehen. Quid pro quo, wie es der Doktor in seiner
unnachahmlichen Art sagt.
Und
Clarice Starling lernt schnell. Und sie hat auch noch was davon. Denn seinen
eigenen Patienten bringt man nicht um. Immunisierung durch Vertrauen. Aber das
Tauschobjekt ist auf jeder Seite ein anderes. Nur der Doktor weiß um das
Wunder der Verlagerung. Das Zimmer mit Aussicht ist keine blöde romantische
Metapher. Es ist der Anlass zu einem sehr wirklichen Transport, der aus Hoffnung
Wirklichkeit werden lässt. Lecters Analysen sind knallhart, noch in der
Mumifizierung ist Kür zu spüren. Wie erst in der frisch gewonnen Beweglichkeit.
Die Anverwandlung an das andere Monster in der Behandlung beider Polizisten,
der aufgespannte und der abgespannte (gehäutete), das Arrangement der Körper
samt Auferstehung des Toten, zum Schluss die vestimentäre Verlarvung vor
dem ersten Mahl in Freiheit: „Iss dein Dasein!“
Dieter
Wenk
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
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diesem Film gibt’s im archiv
mehrere
Kritiken
Das
Schweigen der Lämmer
[The
Silence of the Lambs] USA 1991
Laufzeit:
118
Drehbuch:
Ted Tally, nach dem Roman von Thomas Harris
Regie: Jonathan Demme
Darsteller:
Jodie Foster, Anthony Hopkins, Scott Glenn, Anthony Heald, Ted Levine, Frankie
Faison, Kasi Lemmons, Brooke Smith, Paul Lazar, Dan Butler, Lawrence T. Wrentz
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