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Die
Schwester der Braut
How
to believe in peanuts
Hollywood-Produktionen sind immer dann am interessantesten,
wenn sie keine großen, aufgeblasenen Ansprüche vorschieben - die
nur wenige wirklich einlösen können -, sondern wenn sie einfache,
kleine Geschichten verkaufen, die unter allem Füllstoff aus phantastischem
Kitsch, Firlefanz und Effektgesimse irgendwo ein kleines Stückchen Menschlichkeit
verpackt halten - kurz gesagt: wenn sie ehrlich genug sind, einfach nur ein
Märchen erzählen zu wollen.
Eines der schönsten Hollywood-Märchen hat
George Cukor 1938 mit "Holiday" abgeliefert. Der Film erzählt
eine Variation von Cinderella/Aschenputtel, nur daß die Cinderella alias
Linda Seton (Katherine Hepburn) diesmal nicht in Sack und Asche daherkommt,
sondern in Samt, Seide und Brillianten dekoriert den Urtyp des "armen,
reichen Mädchens" verkörpert. Linda ist die Tochter eines steinreichen
Bankiers (Henry Kolker) und in der feinen Gesellschaft berüchtigt wegen
ihrer unberechenbaren Launen.
Der Kronprinz, ihr Bruder Ned (Lew Ayres), besitzt
ein vom Vater verschüttetes musikalisches Talent, ist am Wochenende Alkoholiker,
arbeitet zwischen den Besäufnissen in Papis Bank und muß sich regelmäßig
ermahnen lassen, nicht vor sechs Uhr Feierabend zu machen, der Arbeitsmoral
wegen, auch wenn er ab drei eigentlich nichts mehr zu tun hat.
Die Prinzessin, beider Schwester Julia (Doris Nolan),
bringt aus dem Skiurlaub einen jungen Mann mit nach Hause, den sie dem schockierten
Vater als ihren Bräutigam vorstellt: Johnny Case (Cary Grant) ist das Klischeebild
des klassischen US-Selfmademan, der sich aus ärmsten Verhältnissen
emporgearbeitet hat und einfacher, aber "hoffnungsvoller" Angestellter
einer Investmentfirma ist. Nach anfänglichen Bedenken ist der Vater bereit,
in dem nicht standesgemäßen jungen Mann Material zu sehen, das nach
den Wertvorstellungen der Familie formbar ist, und stimmt den Heiratsabsichten
der beiden zu.
Am Sylvesterabend soll um Mitternacht (!) die große
Verlobung bekanntgegeben werden, und wer bis dahin geglaubt hat, der Film drehe
sich um die Frage, ob die feine Gesellschaft den Emporkömmling akzeptieren
wird, wird nun eines besseren belehrt. Die von Johnnys unkonventioneller Art
begeisterte "launische" Schwester Linda hatte nämlich ursprünglich
vor, statt des großen, gesellschaftlichen Empfangs eine kleine Feier unter
Freunden zu veranstalten, und ist von ihrem Vater und Julia übergangen
worden. Es droht ein Skandal, da sie sich weigert, an dem Spektakel teilzunehmen
und sich stattdessen in das alte Spielzimmer der Seton-Kinder zurückzieht.
Im Laufe des Abends stoßen dort zunächst Johnnys Freunde, die Potters,
zu ihr, dann Bruder Ned mit großem Champagnervorrat und schließlich
Johnny selbst. Zwischen Kasperletheater und Salto rückwärts kommen
Johnny allmählich Zweifel, ob er sich mit Julia wirklich "die rechte
Braut" ausgesucht hat, oder ob er nicht doch die Schuhprobe machen sollte.
Sein Traum besteht nämlich darin, nach dem gerade
erfolgten Abschluß eines einträglichen Börsengeschäfts
für ein paar Jahre aus dem "rat race" auszusteigen und sich darüber
klarzuwerden, wofür er überhaupt leben will, denn soviel ist ihm klar,
daß das Geldverdienen ihm höchstens Mittel, aber nicht Zweck sein
kann. Linda ist von dieser Idee restlos begeistert, aber als er Julia und seinen
angehenden Schwiegervater davon unterrichtet, kennen deren Unverständnis
und Entsetzen keine Grenzen.
Für Julia gibt es nämlich nichts "Erregenderes",
als möglichst viel Geld zu machen und für ihren Vater sind Johnnys
Ideen schlichtweg "unamerikanisch". Als die Verlobung bekanntgegeben
ist, läßt Johnny Julia auf der Marmortreppe stehen und verläßt
fluchtartig das Haus, so wie er es am ersten Tag betreten hat, als er noch nicht
wußte, daß Julia die reiche Tochter war: durch den Dienstboteneingang.
Als er nach einigen Tagen wiederauftaucht, will er wissen, welcher der beiden
Schwestern der Schuh wirklich paßt...
Ich will nicht verraten, wie der Film ausgeht, obwohl
jeder, der Hollywood-Komödien kennt, es sich an fünf Fingern ausrechnen
kann. Es würde vermutlich auch gar nichts schaden, denn es ist nicht die
"Was-passiert-jetzt"-Spannung, die einen bei dieser sanften Comedy
hinschauen läßt.
Das Drehbuch ist witzig, hält aber keinem Vergleich
mit dem im gleichen Jahr entstandenen "Leoparden küßt man nicht"
stand und ist gelegentlich kitschig an der Grenze zum Unerträglichen (so
wenn Linda die Magie ihres Kinderspielzimmers beschwört, in dem noch der
Geist ihrer toten Mutter zu spüren sei). Das Szenario ist nett und hat
gelegentlich scharfe Bosheiten auszuteilen (der zynisch sich besaufende Kronprinz
Ned; der Aufzug im Haus der Setons, der - völlig dekadent - auch benutzt
wird, um sich nur einen Treppenaufstieg zu sparen; die vor Gift und Bissigkeit
sprühenden Verwandten, die sich über den vermeintlichen Mitgiftjäger
Johnny das Maul zerreißen, um ihm dann selig lächelnd alles Glück
der Welt zu wünschen), aber vom Hocker haut einen das nicht. Cary Grant
spielt gut, glaubwürdig und mit fein dosierter Komik, aber kein Vergleich
mit seinen Höchstleistungen wie in "Arsen
und Spitzenhäubchen". Die
übrigen Rollen sind gut besetzt und solide gespielt, aber all das zusammen
wäre noch kein Grund, sich den alten Schinken anzutun.
Was dieses kleine Juwel zum Leuchten bringt, ist
Katherine Hepburn, die ihr "poor rich girl" spielt wie eine Feuerwerksrakete.
Das ist nicht nur eine Vorübung für ihre Tracy Lord in der "Philadelphia
Story". Vom ersten Auftritt an spürt man in ihrer Linda eine Lunte
brennen, die über 90 Minuten hinweg von ihrer Familie immer wieder ausgetreten
wird und einmal fast gelöscht zu sein scheint, als sie sich deprimiert
zu ihrem Bruder setzt und wissen will, wie das denn sei, wenn man sich betrinkt,
als sie ernsthaft erwägt, auch ihre Empfindungen mit Alkohol zu betäuben.
Aber je weiter ihre Spießerfamilie sie in die
Ecke drängt, desto heftiger faucht und kratzt diese rebellische Raubkatze
im Perserpelz zurück, und einen Höhepunkt liefert ihr das Drehbuch
mit ihrer Antwort auf des Vaters Vorwurf, sich wie eine Siebzehnjährige
aufzuführen: "Ich bin froh, wenn es so ist. Wir sind alle großartig
mit Siebzehn, erst danach setzt die Krankheit ein!"
Irgendwo findet sie immer ein Streichholz und zündet
sich wieder an, begeistert sich an dem frischen Esprit, den Johnny in diese
zu Marmorsäulen erstarrte Gesellschaft trägt, klammert sich an ihre
schwesterliche Zuneigung, an die Hoffnung, daß Johnny für Julia der
Retter ist, der sie aus dem väterlichen Gefängnis herausholen kann,
projiziert ihre eigenen Träume, Gefühle und Hoffnungen auf ihre Schwester,
glaubt sich bei Johnny zurückhalten zu müssen, um dieser nicht ihr
Glück zu zerstören - um am Ende erschrocken und begeistert festzustellen,
daß Julia genauso borniert und abgestumpft ist wie der alte Herr und mit
Johnnys Träumen und Idealen gar nichts anzufangen weiß, daß
nur Besitzerstolz war, wo sie Liebe vermutet hatte - und dann erreicht die Lunte
den Treibsatz, es zischt und funkelt und sprüht und die Linda-Rakete erweist
sich nicht als impotenter Sylvesterknaller wie Julia, sondern als Großfeuerwerk.
Von allen kitschigen Liebeserklärungen, die je zwischen Burbank und Inglewood
auf Zelluloid fixiert wurden, ist die von Linda an ihren Johnny vielleicht die
wundervollste: "Und wenn er zurückkommt und Erdnüsse verkaufen
will -- wie werde ich an diese Erdnüsse glauben!"
Es fällt nicht schwer, an dem Film nach Belieben
herumzumäkeln: Wieso trägt Linda im Spielzimmer topgestylte Abendgarderobe,
wenn sie doch angeblich gar nicht auf die Feier gehen will? Wieso klebt sie
am bequemen Luxustochterdasein, wenn es sie doch angeblich so sehr schädigt?
Woher will Julia was von der "Erregung" des Geldverdienens wissen,
wenn sie doch selbst offenbar nur von dem ihres Vaters lebt? Und ist das nicht
nur die x-te Fassung des kitschigen Jungmädchentraums vom edlen, rettenden
Ritter? Ist diese "Geld-macht-nicht-glücklich"-Nummer, zumal
wenn sie aus einem Hollywood-Studio kommt, nicht der Gipfel der Geschmacklosigkeit?
Jawohl, ist alles richtig. Die Kulissen des Films
wirken heute steinalt, die Kostüme verbreiten den modischen Charme der
späten 30er a la Hollywod, und Cary Grant trägt seine Anzüge
so breitschultrig, daß man meint, der alte Clark Kent sei nach diesem
Modell gezeichnet worden. Aber das Märchen, das der Film erzählt,
ist so zeitlos, daß das Setting dahinter vollkommen verschwimmt und bedeutungslos
wird, und so sehr man die Nase rümpfen mag über die "Probleme"
dieser verwöhnten, gelangweilten reichen Blagen, so wenig kann man sich
dem Zauber der Szenen entziehen, in denen Johnny und Linda vorgeben, die albernen
großen Kinder zu spielen, aber in Wirklichkeit die Funken zwischen zwei
Seelenverwandten überspringen lassen.
Eigentlich bräuchte der Film eine Altersfreigabe
ab 30, denn man kann dieses Märchen erst richtig verstehen, wenn man schon
einige Jahre lang nicht mehr siebzehn war.
Steffen Pohlen
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei www.dooyoo.de
Die
Schwester der Braut
HOLIDAY
USA
- 1938 - 93 min. – schwarzweiß - Verleih: offen - Erstaufführung:
25.12.1971 WDR (O.m.d.U.)/18.1.1980 ARD (dt. Synchronfassung) - Produktionsfirma:
Columbia - Produktion: Everett Riskin
Regie:
George Cukor
Buch:
Donald Ogden Stewart, Sidney Bachmann
Vorlage:
nach einem Bühnenstück von Philip Barry
Kamera:
Franz Planer
Musik:
Sidney Cutner, Morris W. Stoloff
Schnitt:
Otto Meyer, Al Clark
Darsteller:
Katharine
Hepburn (Linda Seton)
Lew
Ayres (Ned Seton)
Edward
Everett Horton (Nick Potter)
Doris
Nolan (Julia Seton)
Henry
Kolker (Edward Seton)
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