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Die
Schwestern des Bösen
Von gespaltenen
Körpern und Bildschirmen
Ungetrennte siamesische Zwillinge entsprechen noch
am ehesten den schon lange ausgestorbenen Kugelwesen, die Zeus irgendwann in
einem simultanen chirurgischen Akt (vermutlich Kugelblitz) trennen ließ,
weil sie zu frech, also zu böse wurden. Seitdem, so liest man noch bei
Platon, sucht jedes Einzelwesen sein Komplement, auf dass die Beziehung wieder
rund laufe. Wir Heutigen laufen immer noch. Nach. Aber das ist wohl falsch,
und wir sollten uns ein Beispiel an denen nehmen, die von Anfang an zusammen
leben und nur getrennt werden wollen. Zwei Seelen in einem Körper. Eigentlich
furchtbar. Dein Schatten, das bist du als dein anderer. Oder so.
Danielle jedenfalls hat es geschafft. Sie lebt nach
der Trennung von ihrer siamesischen Zwillingsschwester Dominique ihr eigenes
Leben, ist sogar schon wieder geschieden – als ob auch eine nur symbolische
Ergänzung zu viel Ballast bedeuten würde – und arbeitet als Mannequin.
Sie tritt sogar im Fernsehen auf, wo sie in einer Quizshow einen sympathischen
jungen Mann kennen lernt. Die beiden verbringen sogar die Nacht zusammen, aber
leider ist der Lover ein paar Stunden später tot. Der Mord wird ausführlich
gezeigt, man weiß, warum er geschah (die fatale Wirkung der abwesenden
Pillen), aber was hatte es mit der unsichtbaren Schwester auf sich, deren Stimme
man nur hörte. Da der Tote natürlich nicht mehr selbst recherchieren
kann, tut das in Stellvertretung die Journalistin Claire, die den Mord von ihrer
Wohnung aus beobachtete. Die dazugeschaltete Polizei glaubt ihr erst mal nicht,
erstens aus Trägheit, zweitens wegen Retourkutschenverpflichtung, drittens,
weil, als man dann tatsächlich in Danielles Wohnung ein bisschen rumsucht,
nichts zu sehen ist (der Tote ist schön verpackt in der zusammenlegbaren
Couch). Der von Danielle geschiedene Gatte, Emil, ein merkwürdiger Geselle,
half nämlich bei den Aufräumarbeiten, viel Blut war geflossen (die
„Psycho“-Anleihen sind gegessen, aber hat man schon einmal so eine Torte beschriften
sehen wie hier, in der Konditorei, als ob nämlich aus einem Messer Schaum
flösse?).
Claire steht also erst mal dumm da. Natürlich
lässt sich ihr Enthüllungstrieb nicht so leicht zur Strecke bringen.
Ein Detektiv soll mithelfen. Der verfolgt dann seine eigene Spur und fährt
in Richtung kanadische Grenze. Derweil lernt Claire den Unterschied zwischen
Psychiatrie und der topaktuellen Antipsychiatrie à la Laing und Guattari
am eigenen Leib kennen. Der seltsame Geselle ist nämlich nicht nur Danielles
Exmann, sondern zugleich ihr Arzt, der sich in seiner Klinik um sie kümmert.
Als Claire in der Klinik aufkreuzt, in der gerade Danielle „versorgt“ wird,
schafft sie es leider nicht, ihre wahre Identität glaubhaft zu vermitteln,
à la: Irre sprechen besonders dann irre, wenn sie normal zu sprechen
meinen. Anschließend wird Claire einem Verfahren unterzogen, das man schon
ganz tief unten in der psychodidaktischen Mottenkiste glaubte: Sie wird nämlich
hypnotisiert, mit etwas weniger wissenschaftlichem Aufwand allerdings als zwei
Jahre vorher der böse Bube aus „A
Clockwork Orange“.
Während Claire schläft und die neue „Wahrheit“
sich zu setzen beginnt, macht sich ein weiteres Mal ganz übel bemerkbar,
dass Danielle ein Ruheanker fehlt. Mittlerweile weiß man nämlich
auch, dass bei der chirurgischen Trennoperation Dominique starb, die bislang
als der Unruhegeist im Tandem galt. Die Meinung des damals behandelnden Arztes:
Danielle sei gut nur so lange, wie Dominique existiere. Ohne sie… Entweder Tabletten,
oder: Blut. Die Wunden, die Danielle schlägt, immer nahe am Geschlecht
des Mannes vorbei, etwa an der Stelle, wo auch ihre Narbe sitzt: eine auf ewig
geschlossene (und nur pharmazeutisch zu öffnende) Vagina, die ihre Trägerin
zu einer lebenden Toten macht, zu einem Zombie, der nur noch blind töten
kann. Auch ihr Ex fällt ihr zum Opfer. Obwohl nun aber die Polizei etwas
mehr Material zur Verfügung hat, wird Claire bockig. Da sei kein Mörder,
weil da kein Mord war. Immerhin hat also die Hypnose geklappt.
In dieser Pattsituation ist man gespannt auf das
Abschlussbild, das wirklich großartig ist. Der Detektiv ist mittlerweile
an der kanadischen Grenze angekommen, eine Art Bahnhof oder größerer
Abstellplatz, man sieht von oben eine Kuh am corpus delicti, dem Sofa mit der
Leiche, entlang streichen, ein seltsamer dreirädriger Traktor, abgespeckt
wie ein Skelett, hält auf das Stillleben zu, und dann sieht man erst den
Fuß, dann die Beine, dann die ganze Gestalt des Detektivs, der als Elektriker
an einem Strommast hängt und seinen Job macht. Ende.
Dieter Wenk
(09.05)
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Die
Schwestern des Bösen
BLOOD
SISTERS
SISTERS
USA
- 1972 - 92 min. FSK: ab 18; Erstaufführung: 19.8.1977/1983 Video
Regie:
Brian de Palma
Buch:
Brian de Palma, Louisa Rose
Kamera:
Gregory Sandor
Musik:
Bernard Herrmann
Schnitt:
Paul Hirsch
Darsteller:
Margot
Kidder (Danielle Breton)
Jennifer
Salt (Grace Collier)
Bill
Finley (Emil Breton)
Charles
Durning (Joseph Larch)
Lisle
Wilson (Phlip Woode)
Barnard
Hughes (Mr. McLennen)
Mary
Davenport (Mrs. Collier)
Dolph
Sweet (Detective Kelley)
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