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Scoop
– Der Knüller
Ein Knüller
Eines von den vielen Dingen, die man von Woody Allen
nicht erwartet hat, ist, dass er seinem Heimatland Amerika und besonders seiner
Stadt New York einmal den Rücken kehren würde, um einen Film im Ausland
zu produzieren. Genau dies hat er bei „Match
Point“ (2005) bereits getan und es
in seinem neuen Film „Scoop“ noch einmal wiederholt. Beide Filme spielen in
England, genauer: in London. Letzterer wartet aber noch mit einer weiteren Novität
auf: Ein Sujet, dass man wohl ebenfalls nie zu denen des Komikers gerechnet
hätte, wäre der Serienmord. „Scoop“ ist jedoch ein Serienmörderfilm,
ein Londoner Serienmörderfilm und steht damit auch in einer gewissen Tradition.Die
Serienmordfabel eröffnet gleich den Film: Es geht um einen Lustmörder,
der es auf brünette, kurzhaarige Prosituierte abgesehen hat. Insofern passt
die engagierte blonde Jungjournalistin Sondra Pransky (Scarlett Johansson) nicht
gerade in sein Opferschema. Sie bekommt es dennoch mit ihm zu tun, denn während
einer Zauberschow des "großen Splendini" a.k.a. Syd Waterman
(Woody Allen) erscheint Sondra der Geist des jüngst verstorbenen Starreporters
Joe Strombel (Ian McShane), der im Jenseits – von einem der Opfer – erfahren
haben will, wer hinter den Prostituierten-Morden steckt: Niemand anderes als
Peter Lyman (Hugh Jackman), Sohn einer ehrwürdigen aristokratischen Familie
und zudem aufstrebender Politiker. Sondra beginnt mit der Hilfe Splendinis,
der ihr zuerst nicht glauben will, die Sache zu verfolgen, um daraus einen Zeitungsknüller
zu machen, der Ihre Karriere in Gang und den Mörder hinter Gitter bringen
soll. Sie wirft also all ihren weiblichen Charme in die Waagschale und beginnt
- unter falschem Namen - mit dem vermeintlichen Killer eine Beziehung. In deren
Verlauf macht sie einige haarsträubende Entdeckungen und findet belastende
Indizien. Doch sie und Splendini verstricken sich immer tiefer in ihre Deckidentitäten
und können bald schon nicht mehr Hypothesen und Realitäten voneinander
trennen. Dies führt zu einigen überraschenden Wendungen und unter
anderem zum Ziel.
Nach der beim Publikum erfolgreichen, aber aufgrund
mangelhafter Originalität eher durchschnittlichen Tragödie „Match
Point“, in welchem Allen lediglich Motive seines früheren filmischen Oevres
neu kombiniert hat, wollte er noch einmal mit Scarlett Johansson nach London
zurückkehren, um eine Komödie zu inszenieren. Anders als beim Vorgängerfilm
nutzt er die Stadt nun nicht mehr allein als „exotischen“ Story-Background,
sondern bedient sich ihrer ureigenen Mythologie. Die Nähe des Plots zu
den kriminalhistorischen Serienmordfällen von Jack the Ripper oder John
Christie ist unübersehbar. Allen gelingt es meisterhaft, seinen komödiantischen
Stil (zu dem vor allem die ihn auszeichnende „Woody“-Figur zählt) mit genau
dieser Tradition zu kombinieren. Seine amerikanischen Protagonisten – natürlich
sind sowohl Splendini als auch Sondra nur zu Gast in London – sind mit dem gesamten
Repertoir an Serienkiller-Klischees versorgt und machen diese zur Recherchebasis
für ihre Enthüllungsarbeit.
Ein drittes, den Film sehr bereicherndes Element,
ist der Umgang mit dem Fantastischen. Mehrfach und in den unpassendsten Momenten
kehrt der verstorbene Reporter Joe Strombel aus dem Jenseits ins Diesseits zurück,
um sich nach dem Fortgang der Ermittlungen zu erkunden und neue geheime Fakten
zu liefern. Einige Szenen spielen sogar in der „Unterwelt“ und zeigen jene mythologische
Reise über den Styx, auf dem sich die Toten versammeln und angeregt über
ihr (Ab)Leben unterhalten. Die Kombination aus fantastischen, komischen und
Thriller-Elementen bereichert Allens neuen Film ungemein – ja macht ihn geradezu
zu einem Ausnahmewerk in seinem Oeuvre. Hinzu kommen die guten schauspielerischen
Leistungen von Hugh Jackman und Scarlett Johansson. Letztere entwickelt bereits
in ihrer zweiten filmischen Zusammenarbeit mit Woody Allen einen regelrechten
Instinkt in der Umsetzung der Autorenideen und könnte den Platz Diane Keatons
ausfüllen, welche in den 1970er und 1980er Jahren zum Inbegriff des weiblichen
Konterparts in Allens Filmen wurde. Er selbst taucht auch wieder vor der Kamera
auf und zeigt, dass er auch als 70-Jähriger nichts von seinem schauspielerischen
Können verloren hat. Das Wiedersehen mit ihm – gerade als Vaterfigur an
der Seite von Scarlett Johansson – gehört zu einem der Kinohighlights des
Jahres.
Stefan Höltgen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Scoop
- Der Knüller
(Scoop,
USA/GB 2006)
Regie
& Buch: Woody Allen; Kamera: Remi Adefarasin; Schnitt: Alisa Lepselter -
Darsteller: Hugh Jackman, Scarlett Johansson, Woody Allen, Ian McShane u.a.
Länge:
96 Minuten - Verleih: Concorde - Start: 16.11.2006
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