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Seabiscuit
Langstreckenlauf
Erschreckend,
wie gut dieser Film hätte werden können. Chris Cooper als einsamer
Cowboy, Tobey Maguire als rothaariger Preisboxer, Jeff Bridges als neureicher
Automonteur, William H. Macy als ausgeflippter Radiomoderator. Gary Ross, der
sich mit dem klugen "Pleasantville"
seine Lorbeeren verdient hat, führt Regie. Dazu eine wahre Geschichte voll
epochaler Tragik und ebenso epochalem Erfolg… herrjeh, daraus könnte und
müßte man vier gute Filme machen!
Aber
sie haben es versaut. Wer genau es versaut hat, das ist nicht mehr festzustellen.
Tatsache ist, daß "Seabiscuit" das erste Opfer eines hinterhältigen
Virus' ist, der im amerikanischen Film mehr und mehr um sich greift: der Überlänge.
Ihr Ursprung liegt in den großen Epen aus der Zeit der wiedergewonnenen
Selbstsicherheit des Kinos Mitte der 90er Jahre. Prominent befeuert wurde er
jüngst vom "Herrn der Ringe" - eigentlich ein Einzelfilm, der
in drei Teile à drei Stunden noch brennend unterhaltsam ist, das mußte
Hollywood ja auf dumme Gedanken bringen. Spätestens seitdem denkt man gar
nicht mehr daran, es Woody Allen gleichzutun und seine Erzählungen in 90
Minuten über die Runden zu bringen. Unter 150 Minuten macht es ja nicht
einmal mehr der neue Michael-Bay-Actionkracher.
Mancherorts
ist die Überlänge ja nicht unpassend. An anderer Stelle ist sie ärgerlich.
Und hier nun, um endlich zu "Seabiscuit" zurückzukehren, kommt
der vermutlich erste Film in die Kinos, der in seiner Gesamtwirkung durch diesen
einen Umstand zerstört wird. Es hätte eine grandiose Wiederbelebung
klassisch-altmodischer Hollywoodwerte werden können, eine Geschichte von
Verlierern, von Geschädigten, die am Boden liegen und sich, wie in einem
Swing-Klassiker gefordert, aufrappeln, den Staub abklopfen und es noch mal von
vorne probieren. Dieser zutiefst humanitäre Gedanke, der ja immerhin solchen
sozialen Sprengstoff wie Fairneß gegenüber den Verlierern der Gesellschaft
und ein ausgewogenes Sozialsystem beinhaltet, ist zu lange vergessen gewesen
in einem Hollywood, das nur noch ausgemachte Sieger liebte und vergessen hat,
daß seine große Zeit sich eigentlich auf die Darstellung einiger
wirklich charmanter Verlierertypen von Bogart bis Lemmon gründete.
Aber man kann den Gedanken eben auch übertreiben, oder besser: zu sehr in die Länge ziehen.
Ein
Fahrradmechaniker wird arbeitslos und verzweifelt. Dann rappelt er sich auf,
sattelt zum Automechaniker um, wird reich - und verliert seinen Sohn bei einem
Unfall. Dann rappelt er sich wieder auf, sattelt zur Pferdezucht um... man merkt
schon, so richtig oft funktioniert das Schema nicht. Und spätestens, wenn
der Jockey sich alles bricht und dann wiederkommt und dann doch verliert und
dann wiederkommt und dann blind wird und dann aber trotzdem wiederkommt, dann
kann dieser Film sogar schwer nerven.
Und
so ist spätestens nach dem dritten Umschwung die Luft raus, man wartet
minütlich darauf, daß dies nun endlich bitte die letzte Wendung zum
Guten gewesen sein mag. Die Wiederholung ist der Tod des Pathos. Aber bis der
Film vorbei ist, wird es wohl noch etwas dauern.
Daniel
Bickermann
Diese
Kritik ist zuerst erschienen im:
Seabiscuit
USA
2003. R,B: Gary Ross. K: John Schwartzman. S: William C. Goldenberg. M: Randy
Newman. P: Larger Than Life, Kennedy, Marshall. D: Tobey Maguire, Jeff Bridges,
Chris Cooper, William H. Macy u.a. 140 Min. UIP ab 25.9.03
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