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Die durchschnittliche Romantic Comedy endet mit dem Kuss. Nicht die Liebe der Protagonisten
zueinander bildet die eigentliche Geschichte, sondern der Weg dorthin. Die Schwierigkeiten,
die es aus dem Weg zu räumen, die Hindernisse, die es zu überkommen gilt, sind ins Bild gesetzt, nicht die folgende erfüllte Liebe.
Secretary folgt dieser Regel, und auch der Rest des Films tut sein Bestes, den
Gesetzen des Genres zu gehorchen - nur dass in Steven Shainbergs Filmwelt alles
ein wenig anders ist, als gewohnt. Die Welt der Liebenden ist ein wenig brüchiger
als die Hochglanzoberfläche der fließbandproduzierten Liebesgeschichten
es je zu sein vermag, die Welt von Lee Holloway (Maggie Gyllenhaal) und E. Edward
Grey (James Spader) besteht nicht aus weichen Plüschsofas und wohligen
Pelzmänteln, sondern aus dem genauen Gegenteil: Schmerz ist es, der die
Helden verbindet, die Masochistin Lee findet in dem sadistischen Edward ihr
perfect match.
Nach einem ungerechtfertigt von Familie und Ärzten
als Selbstmordversuch eingestuften missglückten Akt der Selbstverletzung
("ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte, immerhin mache ich
das seit der achten Klasse") wird Lee psychiatrisch behandelt. Dass man
nichts von dieser Behandlung sieht, sondern erst nach deren Ende in Lees Leben
tritt, ist symptomatisch für die durchwegs sympathische Herangehensweise
des Regisseurs (Drehbuch: Erin Cressida Wilson): die Psyche der Protagonistin
wird nicht zum zu heilenden Problem, das nur durch den verständnisvoll
liebenden Mann in Form eines Arztes oder Liebhabers gelöst werden kann,
sondern die Begierden der Heldin, das Verlangen nach Schmerz und Verletzung
werden als Normalfall akzeptiert, die Geschichte der erwachenden Liebe wird
trotz sadistischer Lust und masochistischer Befriedigung mit genau der Unbefangenheit
erzählt, die das Genre verlangt.
Lee schafft nach
ihrer Therapie den Einstieg ins Berufsleben mit einer Stelle als Sekretärin
bei Edward Grey, und jener ist genau der Chef zum Verlieben, der in einer gängigen
Produktion vermutlich dazu beigetragen hätte, dass Lee ihren liebevoll-mädchenhaft
gestalteten Kasten voller Utensilien zur Selbstverletzung reuig von einer Brücke
geworfen hätte, um sich folglich von der liebenden Wärme des Patriarchen
und Ernährers belehren zu lassen, wie schön das Leben ohne Schmerz
doch sein kann. Nicht so in Secretary: zwar gibt es ihn auch hier, den Wurf der Folterinstrumente
von der Brücke, aber nicht, weil irgendjemand von irgendetwas geheilt werden
muß, sondern weil mit ihrem Vorgesetzten jemanden
gefunden wurde, dessen sadistische Lust Lees Träume weit besser erfüllen
kann als jeder masturbatorische Schnitt in den Oberschenkel.
Eine Mausefalle drapiert Lee hinter einem Sessel, und
dabei rutscht ihr Rock so weit hoch, dass er den Blick freigibt auf ihre Beine.
Dies ist jene genretypische Szene, in welcher der lüsterne Blick des Mannes
auf das Objekt der Begierde inszeniert werden muss, und
erneut beugt sich Secretary dem Gesetz des Genres. Nicht allerdings die Beine der
Heldin sind es, die den männlichen Blick fesseln, sondern die fein säuberlich
aufgereihten Pflaster in geometrischer Exaktheit, durch die jede einzelne Wunde
im Körper verdeckt wird. Die Haut wird zur Oberfläche, in die mit
dem Schmerz die Gewissheit der eigenen Existenz eingetragen wird, und das Genre
bietet in diesem Film seinem Regisseur eben jenes: eine Oberfläche, auf
der er sich lustvoll abarbeiten kann, nicht ohne mit zahlreichen Schnitten und
Narben auf die Künstlichkeit jeder Genrekonstruktion zu verweisen.
Die Charaktere sind liebevoll gezeichnet und in ihrer
Schüchternheit, ihrer - nicht nur körperlichen - Verletzlichkeit niemals
der Lächerlichkeit preisgegeben. Man lacht ob der Situation, nicht ob der
Charaktere, man schmunzelt über all die Allgemeingültigkeit dieser
scheinbar so exotischen Beziehung, die sich zwischen den wunderbar zueinander
passenden Gestalten entwickelt. Insbesondere Maggie Gyllenhaal füllt ihre
Rolle der schüchternen, leidenden, verliebten Sekretärin mit großartiger
Präsenz.
In Secretary funktioniert alles: die Schauspieler, das Drehbuch und
die parodistische Umformung des Genres, die zugleich blendend unterhält
und sich niemals arrogant über die Grenzen der Romantic Comedy hinwegsetzt, sondern jene lustvoll dehnt. Den letzten
Schliff verleiht dem Films sicher die betörende Musik von Angelo Badalamenti,
dessen Arbeit mit Lynch und Jeunet/Caro ihn geradezu dazu prädestiniert,
diesen Film musikalisch begleiten zu lassen, der es schafft, so viel unter der
Oberfläche zu entdecken, und die verletzenden Öffnungen dieser Oberfläche
dabei so lustvoll mit zu inszenieren.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Steven
Shainberg
USA,
2002
Start: 25.09.2003
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