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Die
Sehnsucht der Veronika Voss
Memories
are made of this
„Take
one fresh and tender kiss
Add
one stolen night of bliss
One
girl, one boy
Some
grief, some joy
Memories
are made of this.“ (1)
„Licht
und Schatten sind die beiden Geheimnisse des Films“, sagt Veronika Voss (Rosel
Zech) zu dem Sportreporter Robert Krohn (Hilmar Thate), den sie kurz zuvor im
prasselnden Regen kennen gelernt hatte. Schon die Eingangsszene des Films deutet
auf etwas wie das Verschwimmen von Realität, Fiktion und Phantasie. Veronika
sitzt im Kino und schaut sich einen alten UFA-Film an, in dem eine Schauspielerin
(sie?) eine Spritze verabreicht bekommt. Schräg hinter ihr sitzt Rainer
Werner Fassbinder. Der Film treibt sie aus dem Kino, die Diva von einst, die
in der jungen Bundesrepublik der 50er Jahre keine Rolle mehr bekommt.
Es
mutet paradox an: Die Schatten, das Dunkle in „Die Sehnsucht der Veronika Voss“
geben eher etwas Warmes ab, während das Licht, das Helle, manchmal fast
Grelle Kälte und Angst produzieren. Die Voss war ein UFA-Star, eine, von
der man gar munkelte, sie habe etwas mit Goebbels gehabt (2), eine, die glaubt,
jeder müsse sie kennen, und die weiß, dass kaum jemand sie noch kennt.
Durch diese zerreißende Spannung aus Glauben (bzw. Glauben-Wollen) und
Wissen (bzw. Nicht-Wissen-Wollen) ist aus der Voss eine hysterische Person geworden,
eine, die sich in den Zeiten des Wirtschaftswunders nicht mehr zurecht findet,
eine, die sich nur durch Tabletten und Morphium „über Wasser hält“.
„Don't
forget a small moonbeam
Fold
in lightly with a dream
Your
lips and mine
Two
sips of wine
Memories
are made of this.“
Robert
Krohn hingegen, der für eine Münchener Zeitung Sportberichte schreibt,
ist von dieser merkwürdigen Frau angezogen. Das hat weniger berufliche
Gründe. Er weiß andererseits nicht einmal, ob er sich in die Voss
verliebt hat. Die Blicke zwischen beiden sind gestört durch das diametral
unterschiedliche Interesse am je anderen. Als er sie anfangs zufällig im
strömenden Regen trifft, ihr seinen Regenschirm anbietet und sie zur Straßenbahn
begleitet, da antwortet sie „Schirm und Schutz“, und Krohn begreift den Sinn
dieses zusätzlichen Wortes „Schutz“ noch nicht – eine Art Forderung, ein
Bedürfnis, und dann auch wieder nicht. Veronika Voss verhält sich
ambivalent. Als er sie verlässt, mit der Bahn davon fährt, verschwimmen
ihre Blicke zueinander im auf die Scheiben der Straßenbahn niederprasselnden
Regen. Und so, wie es in dieser Symbolik zum Ausdruck kommt, wird es fast bis
zum Schluss bleiben.
Krohn
entwickelt ein undefinierbares Interesse an dieser Frau. Er lässt sich
von seiner Kollegin Grete (Elisabeth Volkmann) Informationen besorgen – aber
über sie schreiben? Er weiß nicht, was ihn an ihr fasziniert. Ist
es überhaupt Faszination? Als er sich nach ihrer Adresse erkundigt, trifft
er auf das alte, freundliche Ehepaar Treibel (Rudolf Platte, Johanna Hofer),
die ihn auf das Praxisschild einer Nervenärztin aufmerksam machen. Doch
Frau Dr. Marianne Katz (Annemarie Düringer) hält sich bedeckt, ja,
die Voss sei ihre Patientin, und sicher würde sie ihm die 300 Mark irgendwann
wieder zurückzahlen, die sich die Voss bei Krohn anlässlich einer
Verabredung geliehen hatte – angeblich für eine Brosche, die die Voss jedoch
wieder zurückbrachte, um das Geld anderweitig zu verwenden – für Tabletten.
„Then
add the wedding bells
One
house where lovers dwell
Three
little kids for the flavour
Stir
carefully through the days
See
how the flavour stays
These
are the dreams you'll savour.“
Die
Praxis der Frau Dr. Katz ist so weiß wie Schnee, nicht nur die Einrichtung
und die Wände, auch Schränke, Kunstgegenstände, der Boden, die
Decke – alles weiß. Nur der GI (Günter Kaufmann), der sich in der
Praxis aufhält, trägt eine dunkle Uniform, spricht kein Wort, ist
aber immer irgendwie beschäftigt – mit dem Verpacken von Tabletten, Drogen
...
Krohn
scheint die Bekanntschaft mit der Voss verändert zu haben. Er lebt zusammen
mit Henriette (Cornelia Froboess), einer Fotografin, die sofort merkt, dass
mit ihm etwas nicht stimmt, eine Frau, die nicht hysterisch reagiert, sondern
ruhig, manchmal fast gelassen, überlegt. Krohn hatte Veronika Voss auf
ihre Frage, ob er Henriette liebt, geantwortet: „Wir ertragen uns.“ Aber tatsächlich
liebt Henriette ihn, während er nichts weiß. Er weiß nicht,
wie er zu Henriette steht, er weiß nicht, wie er zu Veronika steht, er
weiß nicht, was er will. Krohn hat nur eine Ahnung, eher einen Hauch von
Ahnung, so eine unschuldige, zwecklose, oder besser: nicht zweckgerichtete Ahnung
über das, was geschieht. Krohn, das ist die Personifizierung des Nachkriegsdeutschen,
der seiner Arbeit nachgeht, seinen privaten Beziehungen, in dessen Leben aber
nichts Dramatisches, Erfreuliches, Spannendes passiert. Dies korreliert mit
einem Bezug zur Vergangenheit, der eigentlich keiner ist. In Krohn ist die Vergangenheit
fast ausgelöscht. Nur in der Voss kommt sie als eine Spur von Ahnung, unbewusst,
zurück.
Als
er einen schönen Abend mit Henriette verbracht hat, steht die Voss vor
beider Wohnungstür und verkündet, sie wolle mit Krohn die Nacht in
ihrer Villa verbringen. Alles in dieser Villa ist mit weißen Laken abgedeckt,
unbewohnt gemacht. „Ich verführe gern ... wehrlose Männer“, sagt sie
zu ihm und schläft mit Krohn. Danach bekommt sie einen ihrer Anfälle,
will sich nicht mehr an Krohn erinnern, der sie zu Dr. Katz fährt.
Veronika
Voss ist einer dieser Geister der Vergangenheit, die in der „neuen“ Bundesrepublik
keine Chance mehr haben. Sie lebt in ihrer Erinnerung, auch an ihren Ex-Mann,
den Drehbuchautor Max Rehbein (Armin Mueller-Stahl), der sich von ihr trennte,
weil er ihre Sucht und deren Folgen nicht mehr ertragen konnte. Nur in diesen
Momenten der Erinnerung und der Phantasie ist es Veronika Voss „erlaubt“, für
kurze Zeit Gefühle anderen gegenüber zu zeigen. Sie schläft mit
Krohn und lebt in diesen Momenten in der Vergangenheit. Sie „erwacht“ und ist
entsetzt.
Die
beiden anderen Geister der Vergangenheit sind das alte Pärchen, ein Ehepaar,
das in Treblinka war, auch er morphiumabhängig. Später werden Henriette
und Krohn die beiden finden, nachdem sie Selbstmord begangen haben. Später
wird Henriette von einem Auto totgefahren, weil sie bei Dr. Katz anonym Erkundigungen
eingezogen hatte, Dr. Katz aber wusste, wer sie ist und warum sie kam. Später
wird sich an einem Ostersonntag, während der Papst sein „urbi et orbi“
predigt, Veronika Voss das Leben nehmen. Später wird sich herausstellen,
dass Dr. Katz sowohl Veronika, als auch das alte jüdische Ehepaar von Morphium
abhängig gemacht und sich aller Vermögen überschreiben hat lassen.
Später wird sich herausstellen, dass der Leiter der Gesundheitsbehörde,
Dr. Edel (Erik Schumann) gemeinsame Sache mit Dr. Katz gemacht hat.
„With
His blessings from above
Serve
it generously with love
One
man, one wife
One
love through life
Memories
are made of this
Memories
are made of this.“
„Die
Sehnsucht der Veronika Voss“ ist Teil der so genannten „BRD-Trilogie“ Fassbinders,
zu der noch die beiden Filme „Lola“
und „Die
Ehe der Maria Braun“
gehören. Man könnte den Film als scharfe Abrechnung Fassbinders mit
der Nachkriegszeit bezeichnen. Täter wie Opfer der Vergangenheit scheinen
in dieser Gesellschaft der „Stunde Null“ keine Chance mehr zu haben: die in
Treblinka gefolterten Treibels ebensowenig wie die Nutznießer des Nazi-Regimes,
wie Veronika Voss eine war. Die Sieger heißen Dr. Katz und Dr. Edel, Repräsentanten
des „Wirtschaftswunders“, eiskalte, skrupellose Nutznießer des Wiederaufbaus,
gegen die Krohn als Repräsentant eines neuen Versuchs von Demokratie keine
Chance hat.
Krohn
will Veronika retten, sagt er irgendwann zu deren Ex-Mann Rehbein. Der weiß
bereits, dass dies unmöglich ist. Veronika will sich nicht retten lassen.
Sie hat ihren Tod einkalkuliert. Sie weiß, dass sie alles abtreten muss.
Was sich in der individuellen Beziehung zwischen der Voss und der Dr. Katz abspielt,
ist daher auch symptomatisch für die verquere Beziehung zwischen dem alten
Regime und den neuen, angeblich durch und durch demokratischen Machthabern.
Dr. Katz beerbt die Verlierer im eigenen Land, die keine Chance mehr haben.
Eine Zeitlang kann man sich ihrer noch bedienen, aber die Zeichen der Zeit sind
nun anders gestellt, nicht, weil das Nazi-Regime verbrecherisch war, sondern
weil es Deutschland in der Welt desavouiert hat. Eine taktische Variante? Dr.
Katz hätte genauso gut unter Hitler ihre Machenschaften treiben können?
Vielleicht, doch eher nicht. Dr. Katz repräsentiert eher den Typ von neuer
Wirtschaft, in der eine Art „ursprüngliche Akkumulation“ von Kapital erforderlich
ist, um mit Hilfe von Geld und Macht das aufzubauen, was in den Medien so plakativ
als „soziale Marktwirtschaft“ propagiert wurde. Sie ähnelt hier in manchem
der Person des Baunternehmers Schuckert in „Lola“.
Krohn,
der Sportreporter, bleibt in diesem Spiel der „Dumme“. Er weiß nicht,
wie ihm geschieht, aber schließlich nimmt er alles, was geschehen ist,
hin – als ob es sich um Schicksal handeln würde. Man kann auch sagen: Weil
Krohn sich gegen Dr. Katz nicht durchsetzen kann, weil er sie nicht bloßstellen
kann, wird alles schicksalhaft. Er begreift, dass Veronika Voss sterben wollte,
irgendwann. Er begreift, dass seine Freundin Henriette Opfer der neuen Machthaber
werden musste, weil sie und er sich zu intensiv mit ihnen beschäftigt hatten.
Er wird sich fügen. Sein letztes Aufbäumen, als er mit der Polizei
bei Dr. Katz auftaucht, ist sinnlos. Ganz am Schluss schaut er – hinter einer
Mauer versteckt – zu, wie Dr. Katz, Dr. Engel und Josefa (Doris Schade), die
treue Seele von Dr. Katz, ihren Triumph feiern: Der Grundstein für eine
solide Wirtschaftsordnung ist gelegt.
Rosel
Zech fängt durch ihr Spiel die hysterische Mentalität der UFA-Diva,
die nach 1945 keine Chance mehr bekam, überzeugend ein. Ihr gegenüber
steht ein Hilmar Thate als Krohn, der durch eine Mischung von trockener Sachlichkeit
und innerer Ruhe hier, Neugier und kaum zu versteckender Faszination dort zur
phantastischen Inszenierung Fassbinders und der mit Licht und Schatten spielenden
Fotografie Schwarzenbergers eine schauspielerische Glanzleistung bietet.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
(1)
Geschrieben von Terry Gilkyson, Richard Dehr, and Frank Miller (The Easy Riders),
1956 aufgenommen von Dean Martin und The Easy Riders. Veronika Voss singt dieses
Lied auf der Abschiedsparty gegen Schluss des Films.
(2)
Das Drehbuch basiert u.a. auf der Geschichte der Schauspielerin Sibylle Schmitz,
die vor und nach 1933 spielte, nach dem Krieg aber keine Rollen mehr bekam.
Ihr wird – wie vielen anderen Schauspielerinnen eine Affäre mit Goebbels
nachgesagt, der sie allerdings als Schauspielerin nicht bevorzugte. 1955 nahm
sich Sibylle Schmitz das Leben.
Die
Sehnsucht der Veronika Voss
Deutschland
1982, 104 Minuten
Regie:
Rainer Werner Fassbinder
Drehbuch:
Peter Märthesheimer, Pea Fröhlich, Rainer Werner Fassbinder
Musik:
Peer Raaben
Kamera:
Xaver Schwarzenberger
Schnitt:
Juliane Lorenz
Produktionsdesign:
Rolf Zehetbauer
Darsteller:
Rosel Zech (Veronika Voss), Hilmar Thate (Robert Krohn), Annemarie Düringer
(Dr. Katz), Doris Schade (Josefa), Cornelia Froboess (Henriette), Eric Schumann
(Dr. Edel), Armin Mueller-Stahl (Max Rehbein), Rudolf Platte (Herr Treibel),
Johanna Hofer (Frau Treibel), Elisabeth Volkmann (Grete), Hans Wyprächtiger
(Chefredakteur), Günter Kaufmann (GI, Dealer), Lilo Pempeit (Chefin)
©
Ulrich Behrens 2004
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